Kommentar zur SolidaritätGastfamilien verdienen mehr Respekt
Zehntausende Schweizerinnen und Schweizer nahmen Geflüchtete aus der Ukraine bei sich auf. Die Behörden gingen von einem kurzfristigen Hype aus. Sie haben sich getäuscht.
Die Betroffenheit der Schweizer Bevölkerung war gross. Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine meldeten sich Zehntausende als Gastfamilie für Flüchtlinge. Die Behörden gingen von einem Hype aus. Die Kantone befürchteten, dass während der Sommerferien viele Gastfamilien ihr Engagement beenden würden. Deshalb bauten sie in Windeseile Containerdörfer. So schnell, dass zum Beispiel in Bern die humanitären Mindeststandards nicht eingehalten werden konnten.
Sechs Monate später zeigt sich: Die Behörden haben sich getäuscht – zumindest bis jetzt. Das Engagement der Schweizer Bevölkerung hält an. Statt die ukrainischen Gäste während der Sommerferien vor die Tür zu setzen, wurden sie in den Urlaub mitgenommen, wie die Caritas Zürich feststellte. Etwa 40’000 ukrainische Flüchtlinge befinden sich gemäss einer neuen Erhebung der Sozialdirektorenkonferenz privat untergebracht. Bis vor den Sommerferien mussten nur zwischen 5 und 10 Prozent umplatziert werden, und seither verzeichnen angefragte Kantone keine Zunahme.
Die Gastfamilien fühlten sich im Stich gelassen. Dass sie den Bettel trotzdem nicht hingeschmissen haben, verdient Respekt.
Das ist bemerkenswert, weil die Gastfamilien auch in die eigene Tasche greifen, um die Geflüchteten über die Runden zu bringen. Dies neben ihren eigenen alltäglichen Verpflichtungen. Ihnen wehte auch im Hitzesommer ein eisiger Wind entgegen. Anstatt von den Behörden unterstützt zu werden, legten ihnen diese sogar Steine in den Weg, wie zahlreiche Berichte aus der Leserschaft zeigten. Sie knauserten bei der Entschädigung oder stellten hohe bürokratische Hürden auf.
So mussten die Gastgeber vielerorts mit den Geflüchteten einen Mietvertrag abschliessen, um die ihnen zustehende finanzielle Unterstützung zu erhalten. Für Alltägliches wurde von den Flüchtlingen verlangt, Dokumente aus der Heimat zu besorgen, wo der Krieg tobt. Die Gastfamilien wurden von Amt zu Amt geschickt und verbrachten vergeblich Stunden an diversen Schaltern. Kein Wunder, fühlten sie sich im Stich gelassen. Dass sie den Bettel trotzdem nicht hingeschmissen haben, verdient Respekt.
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