Gastbeitrag«Nehmen Sie Platz, Mesdames!»
Es irritiert, dass im Zürcher Ständeratswahlkampf die Frauenfrage kein Thema ist.
Man wähnt sich beim Besuch der Ausstellung «ReCollect» im Zürcher Kunsthaus in längst vergangenen Zeiten: «Nehmen Sie Platz, Madame» liest man auf einem Schild vor einem roten Liegestuhl. «Machen Sie Platz, Monsieur» heisst es vor einem blauen Liegestuhl. So thematisieren die Künstlerinnen Andrea Bislin und Brigit Meier die ungleichen Geschlechterverhältnisse in der Kunstwelt und im öffentlichen Raum.
«Nehmen Sie Platz, Madame, machen Sie Platz, Monsieur» – das war einer der Slogans am landesweiten Frauenstreiktag vom 14. Juni 1991, also vor 32 Jahren.
In der Politik hat sich seither Einiges zum Positiven verändert. Aber offensichtlich nicht genug: Am Tag, an dem die Kunstausstellung eröffnet wurde, veröffentlichte der «Tages-Anzeiger» seine Wahlprognose zu den Ständeratswahlen in allen 26 Kantonen.
«Die Frage ‹links oder rechts› dominiert. Aber die Frauenfrage? Sie ist kein Thema.»
Den grössten Platz nahm die Beschreibung der Ständeratswahl im Kanton Zürich ein. Der Tagi bilanziert die Ausgangslage so: Es sei heute schwer vorstellbar, dass der Sitz des zurücktretenden freisinnigen Ruedi Noser an die Linke fiele – sofern der wieder kandidierende Sozialdemokrat Daniel Jositsch wiedergewählt wird.
Die Frage «links oder rechts» dominiert. Aber die Frauenfrage? Sie ist kein Thema.
Sicher: Seit 1991 haben die Frauen sich in der Politik auf Gemeinde-, Kantons- und Bundesebene so etabliert, dass man nicht mehr verzweifelt nach ihnen suchen muss.
Auch die Aussage, es handle sich eben um «Alibi»-Frauen, ist passé. Sind zwei Sitze zu besetzen und stehen überzeugende Politikerinnen zur Wahl, wird auf Diversität geachtet. Das müsste auch bei den Zürcher Ständeratswahlen betont werden.
Denn neben vier männlichen Kandidaten mit Wahlchancen stellen sich zwei Frauen zur Verfügung: die Nationalrätinnen Regine Sauter von der FDP und Tiana Angelina Moser von den Grünliberalen.
Ab 1978 war – mit einem kurzen Unterbruch – immer mindestens eine Zürcher Frau im Stöckli. Von 1996 bis 1998 waren es gar zwei Frauen. Aber seit 2015 ist der Kanton Zürich durch zwei männliche Ständeräte vertreten. Ausgerechnet im repräsentativen Kanton Zürich!
In meinem Umfeld habe ich in Gesprächen mit weiblichen Persönlichkeiten gehört, dass sie über das bisherige Schweigen zur Frauenfrage ebenso befremdet sind wie ich.
«Genau diese Frauen sind sonst die Ersten, die sich gegen mehr Regulierung und für liberale Lösungen starkmachen.»
Darunter die Unternehmerin und ehemalige Multi-Verwaltungsrätin Rosmarie Michel, die Investorin und Philanthropin Carolina Müller-Möhl, Headhunterin und Ex-Präsidentin des Zürcher Arbeitgeberverbands, Claudia Bucheli Ruffieux, Europarechts-Professorin Christa Tobler, Stiftungs- und Verwaltungsrätin Beate Eckhardt, Kunsthaus-Kuratorin Mirjam Varadinis, Ärztin und Verwaltungsrätin Sandra Thoma, Rechtsanwältin und Unternehmerin Katja Berlinger.
Leider nicht selten sagten mir andere weibliche Persönlichkeiten aber, dass sie zum Beispiel wegen der Listenverbindung der FDP mit der SVP oder weil sie sich ganz allgemein nicht politisch äussern wollen, nicht öffentlich Position zugunsten der Frauen beziehen können. Das irritiert. Denn genau diese Frauen sind sonst die Ersten, die sich gegen mehr Regulierung und für liberale Lösungen starkmachen. Nehmen Sie Platz, Mesdames, engagieren Sie sich.
Korrigendum 5. September: In der ursprünglichen Fassung hiess es, die Installation «Nehmen Sie Platz, Madame»/«Machen Sie Platz, Monsieur» stamme vom Künstlerinnenkollektiv Hulda Zwingli. Die wahren Autorinnen sind aber Seline Fülscher und Brigit Meier. Autorinnen des ursprünglichen Slogans von 1991 sind Andrea Bislin und Brigit Meier.
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