Feministischer AktionstagFrauenstreit vor dem Frauenstreik
Am 14. Juni soll wieder eine grosse violette Welle über die Schweiz schwappen – wie 2019. Wird das klappen? Oder hemmt ein kürzlich erfolgter Eklat ein breites Engagement?
Der Frauenstreik 2019 war ein Grosserfolg. Rund eine halbe Million Frauen zogen durch die Strassen und machten sich für ihre Rechte stark. Mütter, Töchter, Grossmütter und Enkelinnen – es war ein violettes Happening, an dem nicht nur Linke teilnahmen.
Und es hatte politische Folgen: Bei den nationalen Wahlen im Herbst 2019 wurden so viele Frauen gewählt wie noch nie. Im Nationalrat stieg ihr Anteil von 32 auf 42 Prozent, im Ständerat von 15 auf 26 Prozent. Neben dem Frauenstreik trug auch die Kampagne «Helvetia ruft» des Frauendachverbands Alliance F. dazu bei. Sie hatte die Frauen zum Kandidieren ermuntert und sie dabei unterstützt.
Frauen- oder feministischer Streik?
Nun soll sich wiederholen, was vor vier Jahren derart gut gelang. Nach dem ersten Frauenstreik von 1991, jenem von 2019 und diversen kleineren ist dieses Jahr erneut ein grosser Streiktag geplant. Wieder am 14. Juni. Offiziell heisst er jetzt aber «feministischer Streik». Das soll auch Männer, nicht binäre und trans Personen ansprechen.
Die eine oder andere Frau könnte es aber auch abschrecken. Verstehen sich doch etliche potenzielle Mitstreiterinnen etwa auf der bürgerlichen Seite eher als Frauen denn als Feministinnen. Viele unter ihnen wollen auch nicht wirklich streiken. Sie setzen sich aber sehr wohl für die Frauenrechte ein.
«Wir Frauen sollten nicht nur fordern, sondern selbst etwas unternehmen.»
Gegenwärtig bereiten sich die «feministischen Kollektive» in den Regionen auf den 14. Juni vor – zusammen mit der SP und den Grünen sowie deren Jungparteien. In allen grossen Städten und in vielen Betrieben sind Aktionen geplant, wobei die Demonstrationen vor allem gegen Abend stattfinden.
Unterstützt werden die Kollektive vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund, was sich auch in den offiziellen Forderungen zeigt. So wird etwa ein Mindestlohn von 4500 Franken verlangt, bei abgeschlossener Berufslehre 5000 Franken. Überdies eine kürzere Arbeitszeit von maximal 35 Wochenstunden bei einem vollen Pensum. Und um 10.46 Uhr soll man «wütend» sein «über die mickrigen Renten» der Altersvorsorge.
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Was für Linke eine Selbstverständlichkeit sein mag, hält andere eher von einer Teilnahme ab. Etwa Bäuerinnen und Landfrauen. Sie haben vor vier Jahren einen Sitzstreik organisiert, dem rund 400 Teilnehmerinnen folgten. Dieses Jahr wird er nicht mehr stattfinden. Das liegt zum einen daran, dass die damalige Organisatorin, Lotti Baumann, nicht mehr Präsidentin der Aargauer Landfrauen ist. Aber nicht nur. «Es hat auch mit den Forderungen zu tun», sagt Baumann.
Sie findet ohnehin: «Wir Frauen sollten nicht nur fordern, sondern selbst etwas unternehmen» – etwa im eigenen Umfeld für Gleichberechtigung einstehen oder für politische Ämter kandidieren. Die Präsidentin des Schweizerischen Bäuerinnen- und Landfrauenverbands, Anne Challandes, setzt denn auch vor allem auf eine Internetplattform, die Mitglieder beim Kandidieren für die Wahlen unterstützten soll.
«Nicht einmal angefragt»
Die Business & Professional Women (BPW) Switzerland wollen sich ebenfalls nicht beim Frauenstreik engagieren. «Das ist eindeutig als linke Aktion angedacht, wir wurden von den Organisatorinnen nicht einmal angefragt», sagt BPW-Präsidentin Claudine Esseiva. Vor vier Jahren hatten die Berufsfrauen den Aktionstag noch genutzt, um zusammen mit bürgerlichen Frauenparteien auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen – wobei sie erst wenige Tage vor dem Streiktag auf den Zug aufsprangen. Damals, so FDP-Frau Esseiva, sei der Frauenstreik noch eine breite Bewegung gewesen. Jetzt sei es eine gewerkschaftliche Aktion.
Laut Simone Curau-Aepli, der Präsidentin des Katholischen Frauenbunds, werden sich auch ihre Mitglieder weniger stark engagieren als 2019, als sie mit pinken Bischofsmützen unterwegs waren. Etliche würden aber den Slogan «Gleichberechtigung. Punkt. Amen» nochmals aufnehmen, und dies insbesondere bei der katholischen Kirche einfordern – auf allen Ebenen.
Die FDP-Frauen laden am 14. Juni zu einem Gedenkanlass für Elisabeth Kopp nach Zumikon, und die Mitte-Frauen veranstalten ein Hula-Hoop-Training «zum Stärken der Mitte». Das Streiken und Demonstrieren entspreche ihnen dagegen eher weniger, so die Präsidentinnen der beiden Frauenparteien. Tamara Funiciello, Co-Präsidentin der SP-Frauen, ist dennoch zuversichtlich, dass der Frauenstreik über die Linke hinaus zu mobilisieren vermag: «Die Frauen werden selbst entscheiden, das ist keine Top-Down-Geschichte».
Aufstand der SP-Frauen
Die SP-Frauen ihrerseits haben Ende März für einen Eklat gesorgt. Sie haben ihre Mitgliedschaft beim Dachverband Alliance F. sistiert, der sich als parteiübergreifende Stimme der Frauen versteht. Bis Ende September wollen sie prüfen, wie es weitergehen soll. «Wir prüfen alles», sagt Funiciello – vom Verlängern der Mitgliedschaft bis zur Gründung einer linken Dachorganisation als Alternative zu Alliance F. Auch dieser Konflikt dämpft auf der bürgerlichen Seite da und dort die Lust an einer Teilnahme am Frauenstreik.
Grund für den Frauenstreit vor dem Frauenstreik ist die Reform der beruflichen Vorsorge. Dafür hat sich Alliance F. engagiert – zum grossen Ärger der Linken. Die SP, die Grünen und die Gewerkschaften haben gegen die Vorlage das Referendum ergriffen und warnen auch am 14. Juni vor einem Rentenabbau bei den Pensionskassen.
Bereits die AHV-Reform hatte die Frauen gespaltet. Damals initiierte Alliance F. gleich zwei Abstimmungskomitees: eines dafür und eines dagegen. Das Ja-Komitee führte Kathrin Bertschy (GLP) an, Co-Präsidentin von Alliance F. Das Nein-Komitee leitete Maya Graf (Grüne), die andere Co-Präsidentin von Alliance F.
Bei der Pensionskassen-Vorlage geht das nicht mehr. Haben doch im Parlament beide Verbandspräsidentinnen zugestimmt. Alliance F. dürfte aber bemüht sein, die Wogen zu glätten. Man sei weiterhin im guten Gespräch mit den SP-Frauen, sagt Bertschy, die den Sistierungsentscheid bedauert.
Breite Allianz ist entscheidend
Allen ist klar: Eine breite Allianz ist entscheidend, um Frauenanliegen durchzubringen. Das hat sich in der Vergangenheit wiederholt gezeigt. Am 14. Juni organisiert Alliance F. ein Treffen im Bundeshaus, um auf die zu Ende gehende Legislatur zurückzublicken und die nächste zu planen.
Die Bilanz darf sich laut Kathrin Bertschy sehen lassen. Fortschritte sind etwa bei der dauerhaften Finanzierung von Kindertagesstätten durch den Bund in Sicht. Die Individualbesteuerung, die ein Zweiteinkommen attraktiver macht, kommt voran. Und das Sexualstrafrecht wird verschärft, indem es künftig keine körperliche Gegenwehr mehr braucht, damit eine Vergewaltigung vorliegt; auch eine Schockstarre genügt als Nein-Signal. (Mehr dazu im Tickereintrag vom Do, 1. Juni, 9.16 Uhr)
Das ästimiert auch Tamara Funiciello. Für sie ist die Bilanz aber «durchzogen bis negativ». Sie kritisiert insbesondere die Erhöhung des Frauenrentenalters in der AHV, die ungenügende Revision der beruflichen Vorsorge und die nach wie vor grosse Differenz zwischen Frauen- und Männerlöhnen. Grund genug für sie und ihre Leute, um am 14. Juni den Unmut lautstark kundzutun.
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