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Frauenrentenalter 65 gilt
Bundesgericht lehnt Beschwerden zu AHV-Abstimmung ab

Des femmes manifestent devant la presse pendant une audience au Tribunal federal sur les recours contre la votation sur le relevement de l'age de la retraite des femmes le jeudi 12 decembre 2024 a Lausanne. Le Tribunal federal a decide de rejeter les recours des Vert-e-s et des Femmes socialistes demandant l'annulation de la votation sur l'AVS. Le vote est donc maintenu. Les juges ont invoque la securite du droit. (KEYSTONE/Jean-Christophe Bott)
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In Kürze:
  • Die Abstimmung zum Frauenrentenalter 65 ist gültig.
  • Das Bundesgericht hat die Beschwerden der Grünen und der SP-Frauen abgewiesen.
  • Aus Sicht des Bundesgerichts war der Fehler der Bundesbehörden zu wenig gravierend für eine Wiederholung der Abstimmung.
  • Die Klägerinnen kritisieren, der Fehler der Behörden werde banalisiert.

Nun ist es definitiv: Das Frauenrentenalter steigt ab dem kommenden Jahr schrittweise von 64 auf 65 Jahre an. Die Abstimmung von 2022 ist gültig. Dies hat das Bundesgericht am Donnerstag einstimmig entschieden. Bereits nach den Voten war klar geworden, dass die Beschwerden keine Chance haben würden. Wichtige Argumente waren die Rechtssicherheit und der Schutz von Treu und Glauben. Das Gericht entschied schliesslich einstimmig, die Beschwerden abzuweisen.

Umstritten war unter den drei Richtern und zwei Richterinnen aber, wie gravierend die Fehlleistung der Behörden war. Die beiden Richterinnen wollten sie als gravierend einstufen. Mit 3 zu 2 Stimmen entschied das Gericht schliesslich, die Frage offenzulassen, ob es sich um eine Verletzung der politischen Rechte handelt.

Der Bundesrat teilte nach dem Urteil mit, die Erkenntnisse aus dem Urteil des Bundesgerichts würden in seine Überlegungen zur Qualitätssicherung einfliessen.

Frauen vor dem Bundesgericht «rot vor Wut»

Die Beschwerden hatten die Grünen und die SP-Frauen eingereicht. Sie forderten, dass die Abstimmung wiederholt wird, weil dem Stimmvolk bei der Abstimmung falsche Zahlen vorlagen.

Nach dem Urteil zeigten sich die Klägerinnen enttäuscht. «Nous sommes rouges rouges rouges de colère», skandierten Frauen vor dem Bundesgerichtsgebäude in Lausanne. Rot vor Wut. SP-Nationalrätin Tamara Funiciello gab sich kämpferisch: «Heute haben wir verloren, morgen werden wir gewinnen.» Es sei ein Fehler auf Kosten der Frauen. «Die Gründe des Gerichts mögen korrekt sein, aber der Bundesrat hat falsch informiert.» Dafür sei er nun immerhin gerügt worden.

Grünen-Präsidentin Lisa Mazzone beklagte den fehlenden Mut der Richter. Der Fehler der Behörden werde banalisiert, weil er Frauen betreffe, sagte sie. Es seien Männer, die nun sagten: «Nicht so schlimm.» Die beiden Richterinnen dagegen hätten den Fehler, von dem Millionen Frauen betroffen seien, als gravierend anerkannt. 

Zahlen waren laut Richter «nicht kreuzfalsch»

Das Interesse an der öffentlichen Beratung war gross, die Schlange vor dem Bundesgericht lang. Die Beratung begann kurz nach 10 Uhr. Als erster äusserte sich Bundesrichter François Chaix (FDP), der den Urteilsvorschlag entworfen hatte. Er argumentierte, der Bundesrat habe vor der Abstimmung genügend transparent informiert. 

So habe er etwa deutlich gemacht, dass es sich bei den Zahlen um Prognosen handle, die von Natur aus mit Unsicherheit behaftet seien. Das habe sich an der Verwendung des Konjunktivs in der Kommunikation gezeigt. Chaix’ Fazit: Es liege keine schwerwiegende Verletzung der Pflicht zur objektiven Information und der Transparenzpflicht durch den Bundesrat vor. Eine Annullierung der Abstimmung wäre zudem mit der Rechtssicherheit nicht zu vereinbaren.

Richter Stephan Haag (GLP) plädierte dafür, einen strengen Massstab anzuwenden, wenn es darum gehe, ein Abstimmungsresultat nachträglich zu annullieren. Es müssten gravierende Mängel vorliegen, die das Resultat massiv beeinflusst haben könnten. Nach Ansicht von Haag war das bei der Abstimmung über das Frauenrentenalter 65 nicht der Fall. Die Zahlen seien falsch, aber nicht «kreuzfalsch» gewesen. Ausserdem seien die fehlerhaften Informationen nicht wider besseres Wissen, sondern mangels besseren Wissens erfolgt.

Kritik an Bundesbehörden

Richterin Marie-Claire Pont Veuthey (Mitte) dagegen vertrat die Ansicht, der Bundesrat sei dem Transparenzprinzip nicht genügend nachgekommen. Namentlich habe er im Abstimmungsbüchlein nicht auf die Unsicherheiten verwiesen, mit denen Prognosen behaftet seien. Für Pont Veuthey ist aber die Rechtssicherheit höher zu gewichten. Zudem ändere der Fehler nichts daran, dass der AHV ein Defizit drohe.

Richterin Tanja Petrik-Haltiner (SP) sah das Transparenzgebot ebenfalls verletzt. Der Fehler sei aber nicht so gravierend wie damals bei der CVP-Initiative zur Abschaffung der Heiratsstrafe.

Auch Lorenz Kneubühler (SP) als vorsitzender Richter sah keine rechtliche Möglichkeit, die Beschwerden gutzuheissen. Er übte aber Kritik an den Bundesbehörden. Die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger müssten sich auf deren Informationen verlassen können, sagte er. Das sei äusserst wichtig in einer Demokratie.

Lage der AHV besser als angenommen

Im Sommer hatte der Bund bekannt gegeben, dass er sich bei den AHV-Prognosen getäuscht hat. Für das Jahr 2033 seien die Ausgaben wohl um 4 Milliarden Franken zu hoch berechnet worden, hiess es damals.

Neue Berechnungen bezifferten den Fehler für das Jahr 2033 zwar später auf 2,5 Milliarden Franken. Doch im Kern bleibt es dabei: Die AHV steht in den nächsten Jahren finanziell besser da als angenommen. Und: Der Stimmbevölkerung lagen falsche Zahlen vor, als sie über die AHV-Vorlagen abstimmte. 

Wichtiges Argument im Abstimmungskampf

Die Grünen und die SP-Frauen argumentierten, die finanzielle Lage der AHV habe im Abstimmungskampf eine wichtige Rolle gespielt, und der Entscheid sei knapp gewesen. Das Stimmvolk nahm die Reform mit 50,5 Prozent an. Deutlicher fiel die Zustimmung zur Erhöhung der Mehrwertsteuer zugunsten der AHV aus, über die am selben Tag abgestimmt wurde. 

Beide Vorlagen waren verknüpft: Im Abstimmungsbüchlein hiess es: «Wird eine der beiden Vorlagen abgelehnt, scheitert die ganze Reform.» Einzig die Abstimmung über die Reform AHV 21 aufzuheben, wäre laut dem Bundesgericht nicht möglich gewesen. Anders als das Frauenrentenalter 65 ist die höhere Mehrwertsteuer aber bereits seit Anfang Jahr in Kraft. Wäre die Abstimmung aufgehoben worden, hätten die Konsumentinnen und Konsumenten somit ein Jahr lang zu viel Mehrwertsteuer bezahlt. Es hätte zu Rückzahlungsforderungen kommen können.

Kritiker der Beschwerden machten geltend, die Zukunft der AHV sei zwar weniger düster als angenommen, doch werde immer noch ein Defizit erwartet. Ausserdem müsse das Rentenalter von Männern und Frauen allein schon aus Gleichstellungsgründen angeglichen werden. 

Nicht der erste Fall

Das Bundesgericht hat bisher erst eine Abstimmung kassiert: 2019 erklärte es den Volksentscheid zur CVP-Volksinitiative gegen die Heiratsstrafe – ein knappes Nein – für ungültig.

Auch in diesem Fall hatte das Abstimmungsbüchlein falsche Zahlen enthalten: Statt wie angegeben 80’000 Paare waren 454’000 von der Heiratsstrafe betroffen. Damals kam das Gericht zum Schluss, durch die falschen Informationen sei die Abstimmungsfreiheit verletzt worden. Es verlangte eine Wiederholung der Abstimmung. Die CVP (heute Mitte-Partei) bevorzugte es aber, eine neue Initiative zu lancieren. 

Abgelehnt hat das Bundesgericht dagegen eine Beschwerde zur Abstimmung über die Unternehmenssteuerreform II. Die SP verlangte eine Annullierung, weil der Bundesrat die Steuerausfälle für den Bund zu tief eingeschätzt hatte. In diesem Fall argumentierte das Bundesgericht ebenfalls mit der Rechtssicherheit: Die Reform war bereits in Kraft.