AHV-EntscheidKippt das Bundesgericht die Erhöhung des Frauenrentenalters?
Heute entscheidet das höchste Gericht, ob nochmals über das Frauenrentenalter 65 abgestimmt werden muss. Die Grünen und die SP-Frauen haben Beschwerden eingereicht.
- Das Bundesgericht entscheidet über die Gültigkeit der Abstimmung zum Frauenrentenalter.
- Die SP-Frauen und die Grünen haben Beschwerden eingereicht.
- Der Grund: Der Bund hatte sich bei den AHV-Prognosen getäuscht.
- Es wäre nicht das erste Mal, dass das Bundesgericht eine Abstimmung kassiert.
Ab dem kommenden Jahr steigt das Frauenrentenalter schrittweise von 64 auf 65 Jahre an – es sei denn, das Bundesgericht entscheidet am Donnerstag, dass die Abstimmung von 2022 ungültig ist. Das würde in der Politik für grosse Aufregung sorgen. Grund für die Neubeurteilung wäre ein Fehler des Bundes.
Die Nachricht hatte im Sommer die Öffentlichkeit überrascht: Der Bund gab bekannt, dass er sich bei den AHV-Prognosen verrechnet hat. Für das Jahr 2033 seien die Ausgaben wohl um 4 Milliarden Franken zu hoch berechnet worden, hiess es damals. Neue Berechnungen bezifferten den Fehler für das Jahr 2033 zwar später auf 2,5 Milliarden Franken.
Doch im Kern bleibt es dabei: Die AHV steht in den nächsten Jahren finanziell besser da als angenommen. Und: Der Stimmbevölkerung lagen falsche Zahlen vor, als sie über AHV-Vorlagen abstimmte.
Hauchdünne Ja-Mehrheit
Brisant ist das vor allem mit Blick auf die Abstimmung über die Erhöhung des Frauenrentenalters von 64 auf 65 Jahre. Zum einen sagte das Stimmvolk nur ganz knapp Ja – mit 50,5 Prozent. Zum anderen spielte die finanzielle Lage der AHV im Abstimmungskampf eine wichtige Rolle. Die Grünen und die SP-Frauen fordern aus diesem Grund, dass die Abstimmung wiederholt wird. Sie haben Beschwerden eingereicht, über die nun das Bundesgericht entscheidet.
Offen ist, ob auch die Erhöhung der Mehrwertsteuer zugunsten der AHV hinfällig würde, die das Stimmvolk am selben Tag angenommen hatte wie das höhere Frauenrentenalter. Die beiden Vorlagen waren verknüpft. Im Abstimmungsbüchlein hiess es: «Wird eine der beiden Vorlagen abgelehnt, scheitert die ganze Reform.»
Anders als das Frauenrentenalter 65 ist die höhere Mehrwertsteuer bereits in Kraft. Eine Aufhebung könnte somit zu Rückzahlungsforderungen führen. All das muss das Bundesgericht berücksichtigen, wenn es über die Abstimmungsbeschwerden entscheidet. Die SP-Frauen fordern, dass nur die Abstimmung über das Frauenrentenalter 65 aufgehoben wird. Die Grünen beantragen eventualiter, dass auch der Entscheid zur Erhöhung der Mehrwertsteuer rückgängig gemacht wird.
AHV-Probleme bleiben
Kritiker der Beschwerden machen geltend, die Zukunft der AHV sei zwar weniger düster als angenommen, doch werde immer noch ein Defizit erwartet. Ausserdem sagen sie, das Rentenalter von Männern und Frauen müsse allein schon aus Gleichstellungsgründen angeglichen werden. Die Grünen und die SP-Frauen argumentieren, es gehe ums Prinzip. Die Bevölkerung müsse in Kenntnis der Fakten entscheiden können.
Für das Urteil hat das Bundesgericht eine öffentliche Beratung angesetzt. Eigentlich würde das Richtergremium aus fünf Männern bestehen. Nun sind es aber drei Männer und zwei Frauen. Das Reglement des Bundesgerichts sieht vor, dass in Fällen, «in denen es die Natur der Streitsache als angezeigt erscheinen lässt», Mitglieder beiderlei Geschlechts mitwirken. Aus diesem Grund wurden zwei nebenamtliche Bundesrichterinnen in den Spruchkörper aufgenommen. Das Urteil dürfte um die Mittagszeit fallen.
Nicht der erste Fall
Es wäre nicht das erste Mal, dass das Bundesgericht eine Abstimmung kassiert: 2019 erklärte es den Volksentscheid zur CVP-Volksinitiative gegen die Heiratsstrafe – ein knappes Nein – für ungültig. Das Abstimmungsbüchlein hatte falsche Zahlen enthalten. Statt wie angegeben 80’000 Paare waren 454’000 von der Heiratsstrafe betroffen. Damals kam das Gericht zum Schluss, durch die falschen Informationen sei die Abstimmungsfreiheit verletzt worden. Es verlangte eine Wiederholung der Abstimmung. Die CVP (heute Mitte-Partei) bevorzugte es aber, eine neue Initiative zu lancieren.
Abgelehnt hat das Bundesgericht dagegen eine Beschwerde zur Abstimmung über die Unternehmenssteuerreform II. Die SP verlangte eine Annullierung, weil der Bundesrat die Steuerausfälle für den Bund zu tief eingeschätzt hatte. In diesem Fall argumentierte das Bundesgericht mit der Rechtssicherheit: Die Reform war bereits in Kraft.
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