Energieträger der ZukunftDie Ukraine soll Wasserstoff für die EU produzieren – mit Atomkraft
Brüssel will mit Kiew eine Partnerschaft zum Import von Wasserstoff abschliessen. Davon solle auch die Nuklearbranche profitieren. Umweltschützer sind alarmiert.
Es wird um weitere Waffenlieferungen und Finanzhilfen gehen – aber auch um grüne Energie: Am Freitag kommen in Kiew Spitzenvertreter der EU mit der ukrainischen Regierung zum 24. EU-Ukraine-Gipfeltreffen zusammen. Dort soll unter anderem eine «Strategische Partnerschaft bei Gasen aus erneuerbaren Quellen» verkündet werden. Die Ukraine soll der EU demnach in Zukunft grünen Wasserstoff liefern. In der Vereinbarung geloben beide Seiten, beim Umrüsten und Verlegen von Pipelines und bei der Regulierung zu kooperieren. Aus der EU sollen kräftig Investitionen in Ökostrom- und Wasserstoffprojekte in der Ukraine fliessen. Nach dem Willen der französischen und acht weiterer europäischer Regierungen könnte jedoch die Atombranche ebenfalls profitieren.
Das umstrittene Adjektiv
Frankreich, Ungarn, Kroatien, Slowenien, Polen, Tschechien, die Slowakei, Rumänien sowie Bulgarien haben gemeinsame Änderungswünsche für die Erklärung zur strategischen Partnerschaft formuliert. Dieser Zeitung liegt das elfseitige Papier vor, adressiert an die Arbeitsgruppe Energie des Rats der EU. Die neun Regierungen wollen in einer Passage einfügen, dass die Ukraine auch deshalb so gut geeignet sei als Produktionsstandort für Wasserstoff, weil dort Kernkraftwerke stünden.
Zudem wird in der gesamten Erklärung der Begriff «Gase aus erneuerbaren Quellen» ersetzt durch «Gase aus erneuerbaren und CO₂-armen Quellen». Wasserstoff aus erneuerbaren Quellen – sogenannter grüner Wasserstoff – wird hergestellt, indem Ökostrom in Elektrolyse-Anlagen Wasser in Wasser- und Sauerstoff aufspaltet. Wird für diesen Prozess statt Öko- bloss Atomstrom genutzt, gilt der Wasserstoff nicht mehr als grün, aber immerhin noch als CO₂-arm. Durch das Einfügen dieses Adjektivs wollen die neun Regierungen also gewährleisten, dass Kernkraftwerke und mit Atomstrom produzierter Wasserstoff ebenfalls von der neuen Partnerschaft profitieren.
Es mangelt an Ökostrom
Für die EU ist grüner Wasserstoff unverzichtbar, um die ehrgeizigen Klimaschutzziele zu erreichen. Der Energieträger soll in der Industrie und in Kraftwerken das klimaschädliche Erdgas ersetzen. Klar ist aber, dass die EU-Staaten niemals ausreichend Wasserstoff selbst herstellen können, weil es an Ökostrom mangelt. Daher wird die Europäische Union klimafreundlich produzierten Wasserstoff im grossen Stil importieren müssen. Wichtige Lieferregionen und -länder werden Nordafrika, Grossbritannien, Norwegen und eben die Ukraine sein, schätzt die EU-Kommission.
Kernkraftbegeisterte Regierungen wie die französische drängen jedoch darauf, dass die Zukunft nicht nur Wasserstoff gehört, der mit Ökostrom gewonnen wird, sondern auch Wasserstoff auf Basis von Atomstrom. Das steckt hinter dem Eifer beim Umschreiben der Partnerschaftserklärung.
Frankreich und Ungarn verhindern Sanktionen
Dass es diese Hinweise auf die Segnungen ukrainischer Atommeiler in die finale Version des Dokuments schaffen, ist aber unwahrscheinlich. Schliesslich war das Kernkraftwerk Saporischschja im Süden der Ukraine – das grösste Europas – zuletzt vor allem deshalb in den Schlagzeilen, weil der Betreiber wegen des Beschusses vor dem Austritt von Radioaktivität gewarnt hat. Die Umweltschützer von Greenpeace verurteilen jedenfalls den Vorstoss Frankreichs und der osteuropäischen Regierungen: «Das ist noch ein weiterer Beleg dafür, dass eine Gruppe von EU-Staaten den nachhaltigen Wiederaufbau einer krisenfesten Ukraine sabotiert», sagt Ariadna Rodrigo vom Brüsseler Greenpeace-Büro.
Die atomkraftfreundliche Position von Frankreich oder Ungarn hat bisher auch verhindert, dass die EU Sanktionen gegen den russischen Nuklearkonzern Rosatom verhängt. Die Regierungen der Ukraine sowie von Polen und den baltischen Staaten fordern, dass dies Teil des zehnten Sanktionspakets sein soll, das Brüssel bis zum Jahrestag des russischen Überfalls Ende Februar verabschieden will. Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban sprach sich allerdings am Freitag erneut gegen eine Isolierung Rosatoms aus. Und für Sanktionen ist Einstimmigkeit nötig.
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