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Meinung

Analyse zur Frankfurter Buchmesse
Italien als Gastland – und der Protest bleibt aus

Händeschütteln mit Rechts: Jürgen Boos (links), Direktor der Frankfurter Buchmesse, neben Alessandro Giuli, Kulturminister von Italien.
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In Kürze:
  • Die Frankfurter Buchmesse wurde offiziell mit Italien als Ehrengast eröffnet.
  • Der Protest blieb aus: Die öffentlichen Reaktionen in Deutschland bewegen sich zwischen freundlichem Desinteresse und völliger Teilnahmslosigkeit.
  • Melonis Regierung präsentiert sich öffentlich als gesprächsbereit, verfolgt jedoch kritische Intellektuelle im Land.
  • Die Buchmesse sollte genutzt werden, um mit den Italienern ins Gespräch zu kommen.

Im Vokabular der rechtsnationalen Kräfte gibt es den Begriff des «Vorfelds». Damit sind jene Bereiche gemeint, in denen die Gesellschaft zusammenkommt, ihre Gepflogenheiten kalibriert, über falsch und richtig befindet, ohne dass daraus gleich Gesetze gegossen werden: Bürgerversammlungen, Vereinssitzungen, Grillfeste der freiwilligen Feuerwehr. Für die politische Rechte sind das Orte, an denen sie ihre eigene Normalisierung vorantreiben kann.

In Deutschland ist der mit Abstand grösste und bedeutendste dieser öffentlichen Verständigungsorte die Frankfurter Buchmesse. Innerhalb weniger Tage kommen hier publizistische, akademische und politische Akteure auf engstem Raum zusammen und stecken vor grossem Publikum die Köpfe zusammen. Und aus genau diesem Grund ist auch die Buchmesse schon lange einer der zentralen Angriffspunkte der Rechten.

Manche werden sich erinnern: Als der völkisch-rassistische Antaios-Verlag im Jahr 2017 auf der Messe einen Stand aufbaute, bildeten sich auf den Gängen spontan Demonstrationen. Als der AfD-Politiker Björn Höcke auftrat und kurz darauf der Verschwörungsunternehmer Akif Pirinçci sprechen sollte, kam es zu Zusammenstössen mit linken Gruppen. In der Folge hagelte es Aufrufe und offene Briefe, der Skandal hielt die Öffentlichkeit in Deutschland wochenlang in Atem.

Viele fühlten sich offen angegriffen, andere sahen die Verantwortung für den Aufruhr nicht bei den Rechten, sondern bei denen, die gegen diese demonstriert hatten. Auch in den Jahren darauf traten rechte Verlage regelmässig in Frankfurt auf, und jedes Mal entspann sich aufs Neue eine Debatte über die Grenzen der Meinungsfreiheit, die vor allem denen nutzte, über die da gestritten wurde. Für die Rechten waren diese Buchmessen vor allem deshalb so ein spektakulärer Erfolg, weil sich die demokratische Öffentlichkeit darstellen liess als handlungsunfähiger Hühnerhaufen, der sich ganz von selbst zerlegt, sobald man ihn von rechts nur einmal böse anblinzelt.

Nach aussen tritt Melonis Regierung gesprächsbereit auf

In diesem Jahr ist nun Italien als geladener Gast in Frankfurt – und damit ein Land, das seit zwei Jahren von einer postfaschistischen Ministerpräsidentin regiert wird. Die Verträge über den Auftritt des Gastlandes werden mit jahrelangem Vorlauf geschlossen, und als Meloni in Italien die Regierungsgeschäfte übernahm, kam man auch in Frankfurt da nicht mehr raus. Doch die öffentlichen Reaktionen in Deutschland pendeln bislang zwischen freundlichem Desinteresse und völliger Teilnahmslosigkeit. Das hat womöglich auch damit zu tun, dass die italienische Literatur in der Delegation auf den ersten Blick gut repräsentiert ist. Dass das aber nun schon als Nachricht gilt, die für Entwarnung sorgt, zeigt, wie weit sich die Öffentlichkeit seit 2017 an die Anwesenheit rechtsradikaler Kräfte in ihrer Mitte gewöhnt hat.

Italian writer Roberto Saviano, Torino, 10th May 2024. (Photo by Leonardo Cendamo/Getty Images)

Zur Wahrheit gehört eben auch, dass Melonis Regierung nach aussen hin zwar gesprächsbereit auftritt, im eigenen Land aber konsequent gegen kritische Intellektuelle vorgeht. Erst in diesem Frühjahr sollte Italiens bekanntester Faschismusexperte Antonio Scurati vor dem Nationalfeiertag im öffentlich-rechtlichen Rundfunk eine Meloni-kritische Rede halten, die dann kurzfristig aus dem Programm genommen wurde. Der Skandal machte die Rede zwar erst recht bekannt, aber das Signal war gesetzt: Wer sich mit den regierenden Rechten anlegt, bekommt Schwierigkeiten, selbst als einer der renommiertesten Autoren des Landes. Der Name des bekannten Journalisten, Regierungskritikers und «Gomorrha»-Autors Roberto Saviano fand sich zunächst nicht einmal auf der Liste der offiziellen italienischen Delegation.

Das mögen auf den ersten Blick kleinere Vorfälle sein, aber die Geschichte von Ländern, die in den Autoritarismus gerutscht sind, hat oft genug gezeigt, wozu diese Politik der Nadelstiche dient: Beim ersten Mal hat die Öffentlichkeit vielleicht noch die Kraft, eine kraftvolle Gegenreaktion zu organisieren, beim zweiten Mal auch noch. Aber schon beim dritten Mal könnte es aussehen wie jetzt auf der Frankfurter Buchmesse: Man kann den Ärger nicht schon wieder gebrauchen, der Protest fällt aus.

Der wäre ohnehin schwer zu organisieren. Die italienischen Autorinnen und Autoren, die in Frankfurt auftreten, gehören allesamt zur ersten Garde und verdienen unbedingt ein offenes Gespräch, rechte Autoren reisen gar nicht erst an. Im besten Fall kann man die Gelegenheit jetzt nutzen, um mit den Italienern ins Gespräch zu kommen und zum Beispiel in Erfahrung zu bringen, wie man eine politische Landschaft navigiert, in der nicht nur das Vorfeld von den Rechten erobert wurde, sondern die Regierung. Einige der führenden Experten auf diesem Gebiet werden diese Woche in Frankfurt sein.