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Kritik an Milliardendeal
SBB brauchen Interregio – und kaufen S-Bahn bei Stadler

Ursprünglich als S-Bahn gekauft, jetzt auch als Interregio unterwegs: der Stadler-Zug Kiss.

Als die SBB vor einem Monat ihre jüngste Zugbeschaffung bei Stadler Rail bekannt gaben, schrieben sie den Widerspruch sogar in die Medienmitteilung: Die interne Bezeichnung des bestellten Interregio-Doppelstöckers beim Thurgauer Zugbauer laute «komfortabler, innovativer, spurtstarker S-Bahn-Zug», kurz Kiss. Interregio – also Fernverkehr – und S-Bahn: Das sind unterschiedliche Kategorien.

Von Belang ist das, weil Stadler sich in diesem Fall nicht in einer Ausschreibung gegen konkurrierende Anbieter durchgesetzt hat. Stattdessen lösten die SBB für 1,3 Milliarden Franken eine Option ein, die sie sich bei vorherigen Bestellungen des Kiss bei Stadler gesichert hatten. Optionen gelten jeweils für Nachbestellungen des gleichen Fahrzeugs. Weil sie diese Bedingung nicht erfüllt sehen, äussern Aussenstehende Kritik an diesem Vorgehen.

Bis heute haben die SBB 93 Kiss-Kompositionen gekauft. Die ersten Tranchen der Doppelstöcker hatten sie 2008, 2010 und 2014 mit dem Ziel bestellt, sie als S-Bahnen und Regioexpress-Züge, also im Regionalverkehr, einzusetzen. Das zeigen Medienmitteilungen von damals, in denen es zum Beispiel um einen Dosto RV geht. Das steht für Doppelstöcker Regionalverkehr.

Seit 2012 als Interregio unterwegs

Ab Ende 2012 nutzten die SBB einige dieser Kompositionen auch als Interregio-Züge; 2018 begannen sie, 43 davon inwendig entsprechend auszurüsten. «Damit gleicht sich der Komfort an den Fernverkehrsstandard an», schrieben die SBB damals.

Jetzt bestellen die SBB weitere 60 Kiss-Züge. Sie nennen sie in der Medienmitteilung aber nicht mehr Dosto RV, sondern IR Dosto, also Interregio-Doppelstöcker. Sie sollen ab Ende 2023 auf Interregio-Strecken wie Bern–Zürich–Chur, Basel–Zürich oder Olten–Luzern zum Einsatz kommen.

Gegenüber den Modellen der ersten Tranche warten die neuen Züge mit Neuerungen wie Crashnorm-konformen Führerkabinen, mehr WCs oder hochwertigeren Sitzen auf. In der ersten Klasse baut Stadler zudem nur drei statt wie zuvor vier Sitze pro Reihe ein, dafür grössere Tische und breitere Armlehnen. Für die zweite Klasse gibt es Steckdosen.

«Wir waren erstaunt über die direkte Vergabe. Eine öffentliche Ausschreibung mit Wettbewerb um das beste Angebot hätten wir bevorzugt.»

Claas Belling, Siemens-Sprecher

Walter von Andrian, Chefredaktor der «Eisenbahn-Revue», hält diese Art der Beschaffung für problematisch. Die nun bestellten Züge hätten nicht mehr viel mit der Erstbestellung zu tun. In der jüngsten Ausgabe des Fachmagazins wirft er kritisch die Frage auf, «warum die SBB diesen Auftrag nicht rechtlich korrekt neu ausschreiben».

Auch Stadlers Konkurrenten, die jeweils ebenfalls um SBB-Aufträge kämpfen, zeigen sich teilweise enttäuscht. Andreas Bonifazi, Sprecher der kürzlich fusionierten Konzerne Alstom und Bombardier, schreibt, dass man passende Fahrzeuge für dieses interessante Projekt mit grossem Volumen im Portfolio gehabt hätte.

Siemens-Sprecher Claas Belling wird deutlicher: «Wir waren erstaunt über die direkte Vergabe. Eine öffentliche Ausschreibung mit Wettbewerb um das beste Angebot hätten wir bevorzugt.» Allerdings erhob keiner der nicht berücksichtigten Konzerne nach Publikation des Entscheids innerhalb der vorgeschriebenen Frist Einsprache dagegen.

SBB braucht schnell neue Züge

Mit der Kritik konfrontiert, sehen die SBB kein Problem. «Es handelt sich nicht um andere Fahrzeuge. Die SBB haben die Optionsfahrzeuge nur im Rahmen des vertraglich Zulässigen sowie Notwendigen angepasst», schreibt Sprecher Reto Schärli. «Der Werklieferungsvertrag von 2008 sieht die freihändige Vergabe von zusätzlichen Fahrzeugen auch in einer Fernverkehrsausstattung explizit vor.»

Man habe sich für die Optionslösung entschieden, weil man zeitnah mehr Züge benötige, schreibt Schärli weiter. Das Behindertengleichstellungsgesetz schreibt den SBB nämlich ab Ende 2023 einen hindernisfreien Einstieg in Fernverkehrszüge vor: zu jenem Zeitpunkt also, wenn die neuen Doppelstöcker bereitstehen sollen. Sie lösen dann Modelle des Einheitswagens IV und des EC-Wagens ab, die noch über Stufen beim Eingang verfügen.

«Wenn Siemens tatsächlich so viel günstiger wäre, freuen wir uns auf ein entsprechendes Angebot bei der nächsten Ausschreibung.»

Reto Schärli, SBB-Sprecher

Hätte man die Beschaffung ausgeschrieben, hätte man diese Frist nicht einhalten können, schreibt Schärli. «Bestehende Optionen einzulösen macht Sinn, wenn eine bewährte Flotte mit kompatiblen Fahrzeugen ergänzt werden kann. Und der Regio-Dosto ist unser zuverlässigstes Fahrzeug mit den wenigsten Störungen.»

Peter Spuhler, Chef von Stadler Rail.

Der grosse Profiteur in der Sache ist Stadler. Von Andrian schreibt in der «Eisenbahn-Revue», dass der «ausgezeichnete Preis» von 21,7 Millionen Franken pro Komposition «nach Einschätzung von Branchenexperten etwa drei Millionen über dem aktuellen Marktpreis» liege.

Ein Blick auf Projekte in den vergangenen Jahren zeigt, dass die SBB nicht deutlich mehr bezahlt haben als andere Bahnbetreiber bei ähnlichen Beschaffungen von Stadler-Kiss-Zügen. Die Konkurrenz dagegen schreibt, dass sie bei einer Ausschreibung billiger hätte offerieren können: Siemens-Sprecher Belling nennt die Summe von rund 15 Millionen Franken pro Fahrzeug vom Typ Desiro HC.

Siemens’ Konkurrenzprodukt für den Stadler-Dosto: Ein Desiro HC in Diensten des Rhein-Ruhr-Express.

Das wären 6,7 Millionen weniger als der Preis eines Stadler-Fahrzeugs. Hochgerechnet auf 60 Kompositionen ergäbe das 400 Millionen Franken, die die SBB – und damit indirekt die öffentliche Hand als Eigentümerin – zu viel bezahlt hätten.

Doch so einfach ist die Sache wohl nicht. Eine grosse Flotte mit vielen Fahrzeugen desselben oder eines vergleichbaren Typs sei im Unterhalt günstiger als mehrere verschiedene Flotten, schreibt Schärli. Die SBB hätten einen «sehr guten Preis ausgehandelt».

Ausserdem werde da ein nicht durchgehend doppelstöckiger Zug als Vergleich herangezogen, der die Schweizer Normen nicht erfülle, behauptet er. «Wenn Siemens tatsächlich so viel günstiger wäre, freuen wir uns auf ein entsprechendes Angebot bei der nächsten Ausschreibung.»