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Sommerausstellung in Riehen
Ein Hauch Kunst­biennale in der Fondation Beyeler

Philippe Parreno: «Membrane», 2023. Kybernetische Struktur mit sensomotorischen Fähigkeiten und generativer Sprachverarbeitung.
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Alles fliesst. Der griechische Aphorismus «Panta rhei» ist das Motto der diesjährigen Sommerausstellung in der Fondation Beyeler. Sie stellt mit ihrem experimentellen Ansatz alles infrage, was Museumsarbeit gewöhnlich meint. Hier zeigt uns nicht ein einzelner Ausstellungsmacher das Werk eines Künstlers. Hier hat vielmehr ein Team von acht Kuratorinnen und Kuratoren mit nicht weniger als zwei Dutzend Künstlerinnen und Künstlern in zweijähriger Arbeit eine Ausstellung der Superlative auf die Beine gestellt.

«Dance with the Demons» ist einer von 16 sich in den nächsten Tagen und Wochen abwechselnden Ausstellungstiteln, die auf Vorschlägen der beteiligten Künstlerinnen und Künstler beruhen. Bei unserem Besuch kurz vor der Eröffnung der Show begegnen wir dem Berliner Künstler Tino Sehgal. Er schaut mit prüfendem Blick auf eine Wand, auf der abstrakte Gemälde von Kazimir Malevich, Piet Mondrian, Ellsworth Kelly und zwei Eulen von Roni Horn dicht an dicht gehängt sind und einen grossen Bogen über die Wand beschreiben.

Installationsansicht in der Fondation Beyeler, Riehen/Basel, 2024

Zwei Mitarbeiter des Museums beginnen damit, einzelne Bilder abzuhängen. Wie ein Dirigent überwacht Tino Sehgal die Verwandlung der Szenerie. Bei dieser Arbeit fühle er sich wie ein Choreograf, erzählt er. Ein Choreograf, der die grandiose Sammlung der Fondation Beyeler zum Tanzen bringt. 100 Werke aus der Sammlung, ergänzt um neu entstandene Werke von Marlene Dumas, Pierre Huyghe und Michael Armitage, sind an diesem Reigen beteiligt, der zu immer wieder neuen Situationen führt.

Museum im Nebel

Grossartig die Idee, die übergrossen Frauenskulpturen von Alberto Giacometti, die «Grande femme III» und die «Grande femme IV», aus der Sammlung des Museums zu Betrachterinnen von Francis Bacons Triptychon «In Memory of George Dyer» zu machen, der Erinnerung an den früh verstorbenen Liebhaber des Künstlers. Je nach Position des Besuchers schieben sich Körper und Kopf der Frauenskulpturen vor den Porträtierten, dessen verrenkte Glieder und verzerrte Gesichter das Innerste nach aussen zu kehren scheinen. Aber nicht genug, Tino Sehgal paart die Teile des Bacon-Triptychons mit abstrakten Leinwänden von Rudolf Stingel, die einem auf einmal wie Zerrspiegel erscheinen, auf denen das Geschehen der Bacons noch potenziert wird.

Begegnung von Alberto Giacomettis «Grande femme III» (1960) vor dem mittleren Bild aus Francis Bacons «In Memory of George Dyer» (1971), daneben Rudolf Stingels «Untitled» (2019).

So fliessend sich die Sammlung in diesen Tagen präsentiert, so entrückt und ungreifbar erscheint das Museumsgebäude von Renzo Piano, da es regelmässig in einen dichten, künstlich erzeugten Nebel gehüllt wird. Die inzwischen 91 Jahre alte japanische Künstlerin Fujiko Nakaya hat vor und hinter dem Museum mehrere kräftige Nebelmaschinen installiert, welche die Luft in Sekundenschnelle in einen dichten Vorhang aus feinsten Wassertropfen verwandeln, hinter dem der Garten oder, je nach Standpunkt des Betrachters, das Museum verschwindet.

Allmählich erscheinen wieder Bäume und Sträucher, und wer dann auf den Museumseingang zugeht, gewahrt, wie sich einzelne Personen aus dem Nebel lösen und allmählich alles wieder deutlich erscheint.

Das giftige Paradies

Die Schau gleicht einer Kunstbiennale, wie man sie aus Venedig oder Lyon kennt. Und die Namensliste der Beteiligten liest sich wie das Who’s who der zeitgenössischen Kunst. Dem Kuratorenteam gehören unter anderen an: Sam Keller, Direktor der Fondation Beyeler, Hans Ulrich Obrist, Co-Direktor der Serpentine Gallery in London, Maja Hoffmann, Roche-Erbin und Gründerin der Luma Foundation mit ihrem Museumskomplex in Arles.

Spezifisch für diese Ausstellung haben unter anderem Tino Sehgal, Philippe Parreno, Fujiko Nakaya, Marlene Dumas, Wade Guyton, Peter Fischli, Carsten Höller, Cyprien Gaillard, Pierre Huyghe, Adrián Villar Rojas, Rirkrit Tiravanija Kunstwerke entwickelt.

The installation THE SUN EATS HER CHILDREN (2024) by Precious Okoyomon at the Fondation Beyeler in Riehen, Switzerland, on Friday, May 17, 2024. The entire museum and its park are transformed into the site of an experimental exhibition. The exhibition is organised by Fondation Beyeler in partnership with LUMA Foundation. (KEYSTONE/Georgios Kefalas)

Im Park vor dem Museum lädt die nigerianische Künstlerin Precious Okoyomon die Besucherinnen und Besucher in ein geheimnisvolles Gewächshaus, das dicht mit Rhododendren, Perückensträuchern, Rizinus und anderen Pflanzen gefüllt ist. Es handelt sich bei dieser natürlichen Pracht aber um lauter giftige Pflanzen, wie wir bei unserem Rundgang mit Mouna Mekouar erfahren.

Ein vergiftetes Paradies sozusagen, das bewohnt wird von einer Kolonie wunderschöner Schmetterlinge, die sich hier vermehren sollen. Und hinten im Gewächshaus ruht ein grosser Teddybär, der ab und zu seinen elektrisch mobilisierten Arm hebt und allem einen surrealen Anstrich verleiht.

Wade Guyton: «Untitled», 2023–24, 26 Gemälde, Inkjet auf Leinen.

Wir eilen mit Mouna Mekouar, die zum achtköpfigen Kuratorenteam gehört, zu dem Hügel vor dem Museumsteich, wo ein seltsames Gebilde von Philippe Parreno in den Himmel ragt. Auf den ersten Blick erinnert es an einen Freifallturm an der Herbstmesse, dann aber bekommt es in dem bedächtigen Auf und Ab zweier Manschetten am Turm, die mit losen schwarzen Drahtseilen mit dem Boden verbunden sind, geradezu humanoide Züge.

Man sieht dem Wesen mit zunehmender Sympathie zu und lauscht seinem aus riesigen Lautsprechern plärrenden Gequake, das, wie unsere Begleiterin erzählt, ein Echo auf die Frösche im Museumsteich ist.

Ein Tempel für Bücher

Unser Verhältnis zur Natur, zur Welt, Ökologie und Naturschutz, das seien die Themen dieser Ausstellung, erklärt uns Sam Keller. Themen, die schon Museumsgründer Ernst Beyeler wichtig waren. Dafür hat man neben den Künstlerinnen und Künstlern auch Schriftsteller, Philosophen und Musikerinnen geladen.

Im Zentrum der atemberaubenden Ausstellung, im grössten Saal des Museums, betreten wir etwa einen runden, raumfüllenden, aus Bambusstangen und Pappmaché gebauten Büchertempel. Der italienische, in London lebende Philosoph Federico Campagna, der gemeinsam mit der Architektin Frida Escobedo für diese Arbeit verantwortlich zeichnet, hat 800 Bücher ausgewählt, in denen das Wissen über unsere Welt aufbewahrt wird, das für die Besucherinnen und Besucher zugänglich gemacht werden soll.

The artwork PINK PANTHER (1988) by Jeff Koons at the Fondation Beyeler in Riehen, Switzerland, on Friday, May 17, 2024. The entire museum and its park are transformed into the site of an experimental exhibition. The exhibition is organised by Fondation Beyeler in partnership with LUMA Foundation. (KEYSTONE/Georgios Kefalas)

Denn diese Ausstellung erfindet und erprobt nicht nur, was ein Museum heute sein kann, sondern macht aus den Besuchern Lesende, die aufgefordert sind, auf dem Boden des Büchertempels sitzend oder liegend sich in die Texte zu vertiefen. Macht aus ihnen Zuhörende, die sich auf Kissen ausruhen, während sie singend vorgetragenen Kompositionen von Ludwig van Beethoven lauschen.

Sie lädt zum mehrmaligen Besuch ein, denn nur dann wird das Museum in Bewegung überhaupt spürbar. Die immersiven, mit den Besuchern interagierenden und sie auf vielfältige Weise einbeziehenden Kunstwerke sollen, wie sich Sam Keller wünscht, jeden Besuch zum Erlebnis machen. Und so können Interessierte sich auf dem Bett, das der deutsche Künstler Carsten Höller in einer dunklen Höhle aufgebaut hat, auch mal ausruhen und dabei einem Traum hingeben, der durch eine in Zusammenarbeit mit dem Traumforscher Adam Haar entwickelte Lichttechnik induziert werden soll.

Die Ausstellung in Riehen bei Basel dauert vom 19. Mai bis zum 11. August. Die Tickets berechtigen zu einem zweimaligen Eintritt. Besuchende mit geringem Einkommen bezahlen so viel, wie sie können.