Dan Flavin im Kunstmuseum BaselWie man mit Kunst die Räume zum Leuchten bringt
Eine grosse Ausstellung in Basel zeigt den amerikanischen Lichtkünstler Dan Flavin. Seine Werke sprengen jeglichen Rahmen, der üblicherweise Kunst umfasst.
Ein Zaun aus Leuchtstoffröhren pumpt giftig grünes Licht bis unten in das Treppenhaus des Neubaus des Kunstmuseums. Im zweiten Stock bildet er auf sechzehn Metern Länge eine Barriere, die den offenen Verbindungsraum zwischen zwei Ausstellungssälen in eine betretbare und eine verbotene Zone aufteilt. Die leuchtenden Röhren sind zu Quadraten von rund einem Meter Seitenlänge montiert, die hälftig übereinandergeschoben sind, sodass ein dichtes Lichtgitter entsteht.
Dan Flavin, der 1933 in Queens, New York, geboren wurde, nannte dieses 1973 entstandene Werk «untitled (to you, Heiner, with admiration and affection)». Sein Freund und Förderer war Heiner Friedrich, ein deutscher Kunsthändler, der 1970 in die USA ausgewandert war. Dort war er Mitbegründer der Dia Art Foundation, die grosszügig die Kunstrichtung Minimal Art förderte, der neben Flavin so berühmte Namen wie Donald Judd, Sol LeWitt und der kürzlich verstorbene Carl André angehörten.
Eine Diagonale für Constantin Brancusi
Schon früh galt Flavin als talentierter Zeichner. Er arbeitete nach der Schule rund vier Jahre als Meteorologe bei der amerikanischen Luftwaffe. Kenner von Flavins Kunst vermuten, dass seine Leidenschaft für atmosphärische Lichtkunst in dieser Tätigkeit seinen Ursprung gehabt haben könnte.
In seiner Freizeit widmete sich Soldat Flavin der Kunst und dem Besuch von Museen. Nach dem Militärdienst, ab 1956, besuchte er ein paar Kurse an der Hans Hofmann School of Fine Arts in New York und schrieb sich dann für drei Semester an der Columbia University als Student der Kunstgeschichte ein. Daneben fertigte er Collagen und Assemblagen an und verdiente seinen Lebensunterhalt mit Gelegenheitsjobs. Eine eigentliche Kunstschule absolvierte der Autodidakt nicht.
1963 wurde er berühmt mit einer weissen Leuchtstoffröhre, die er im 45-Grad-Winkel an die Wand montierte und dem grossen rumänischen Bildhauer Constantin Brancusi widmete. Das Werk, das im ersten Raum der Basler Ausstellung hängt, nimmt auf Brancusis Skulptur «Säule der Unendlichkeit» Bezug, die in einem Park in Bukarest fast dreissig Meter in die Höhe ragt.
Sie ist dem Gedenken der rumänischen Soldaten gewidmet, die im Ersten Weltkrieg gefallen waren. Mit ihrer einfachen Formensprache übte die Stele eine unerhörte Faszination auf die Minimalisten aus. Von Flavin gibt es in der Ausstellung einige Dutzend Zeichnungen zu sehen, unter anderem eine, die Brancusi im Porträt vor seiner «Coloana Infinitului» zeigt.
Karriere mit der Leuchtstoffröhre
«The diagonal of May 25, 1963 (to Constantin Brancusi)» steht am Beginn einer Karriere, in der Flavin ein denkbar einfaches oder eben minimalistisches Vokabular aus farbigen und weissen Leuchtstoffröhren entwickelte, das in der Ausstellung chronologisch-thematisch nachgezeichnet wird.
So begegnen wir im zweiten Raum einzelnen oder zu Gruppen zusammengefassten Leuchtstoffröhren, die Künstlern wie Henri Matisse, Jasper Johns und Donald Judd gewidmet sind.
Jede Leuchte wirft ihren roten, gelben, blauen, grünen oder weissen Schein in den Raum, bildet einen bunten Lichthof auf der Wand und spiegelt sich auf dem matt glänzenden Gitterparkett. So wird buchstäblich jeder Rahmen, der üblicherweise Kunstwerke umfasst, gesprengt. Die Kunst tritt aus der Wand heraus in den Raum.
Gemäss Flavin können seine aus einfachen, industriell gefertigten Leuchtröhren bestehenden Werke aber nicht als Skulpturen betrachtet werden, da ihr Lichtschein nicht zu klaren Umrisslinien führt.
Es sind leuchtende, zu geometrischen Figuren gruppierte Stäbe, deren Licht sich immateriell, gasförmig ausbreitet und ganze Räume ins Kunstlicht tauchen kann. Im Grunde haben wir es mit immersiver Kunst zu tun, freilich in einer Nachkriegsmoderne entstanden, bevor dieser Begriff überhaupt verwendet wurde.
Eintauchen in die Farbenwelt
Der dritte Raum in der Ausstellung ist dann ganz in Rot getaucht und wird dominiert von einer diagonal in eine Ecke montierten Leuchtstoffröhre, auf der eine zweite Röhre in den Raum hinausragt. Das sieht ein bisschen aus wie eine Kanone, wenn die konkrete Assoziation in diesem abstrakten Kunstuniversum erlaubt ist.
Es handelt sich bei dem 1966 entstandenen «Monument 4 for those who have been killed in ambush (to P.K. who reminded me about death)» um ein Kunstwerk gegen den Vietnamkrieg. Mit der Abkürzung P.K. ist ein mit Flavin befreundeter Fotograf gemeint, ein Kriegsveteran, der am Guggenheim Museum arbeitete.
Vom rot erleuchteten Raum geht es dann in einen mit lauter weissen Lampen, von denen die meisten dem russischen Konstruktivisten Vladimir Tatlin gewidmet sind. Danach taucht man als Besucher in das giftige Grün der Barriere im Verbindungsraum zum zweiten Teil der Ausstellung ein, um dann vor wundervoll bunten Lichtkunstwerken zu stehen, die dem Maler Otto Freundlich gewidmet sind und erstmals 1990 von der Galerie Verna in Zürich ausgestellt wurden.
Reinste Farbpoesie ist auch die aus fünf T-förmigen Teilen bestehende Werkserie, die aus der Panza Collection in Mendrisio stammt, die im italienischen Varese ein grossartiges Museum mit unzähligen fest installierten Flavin-Lichtwerken betreibt.
Der Rundgang führt uns schliesslich in das Zeichnungskabinett der Ausstellung, in dem sechs Federzeichnungen des Renaissancekünstlers Urs Graf aufgehängt sind. Die «vulgären Skizzen», wie sie Flavin nannte, als er 1975 wegen seiner Ausstellung in der Kunsthalle in Basel weilte, hatten ihm derart gefallen, dass er seine Installation aus Leuchtstoffröhren im Hof des Kunstmuseums dem Schöpfer dieser Werke widmete.
«Untitled (in memory of Urs Graf)» besteht aus je elf 120 Zentimeter langen Leuchtstoffröhren, die in den vier Ecken des Hofs montiert sind und in den Farben Rosa, Gelb, Blau und Grün leuchten. Hinzu kommen noch je zwei Leuchtstoffröhren in den Ecken des Hofumgangs. Dan Flavin bringt damit jene Bereiche der Architektur zum Leuchten, die normalerweise übersehen werden.
Bis 18. August, Kunstmuseum Basel.
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