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Fondation Beyeler in Riehen
Jeff Wall, der Meister der inszenierten Fotografie

«Morning Cleaning, Mies van der Rohe Foundation, Barcelona» (1999).
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Jeff Walls «Morning Cleaning» hängt gleich im Foyer des von Renzo Piano erbauten Museums der Fondation Beyeler. Das riesige Leuchtkastenbild schlägt den Betrachter, die Betrachterin schon bei der ersten Begegnung in seinen Bann. Entstanden ist es 1999 im deutschen Pavillon, den Mies van der Rohe für die Weltausstellung in Barcelona 1929 entworfen hat. Es bildet den Auftakt einer 55 grossformatige Bilder umfassenden Ausstellung. Verteilt auf zehn Räume, gewährt sie einen umfassenden Einblick in das Werk des 1946 in Vancouver geborenen Fotokünstlers.

Der Schein trügt fast immer. Das lehren uns Jeff Walls grossformatige Fotoarbeiten. Sie kommen einem, je länger man sie ansieht, immer unheimlicher vor. Auf seinen Bildern wirken oft winzige Verschiebungen verfremdend. Sind Bewegungen plötzlich zum Stillstand gekommen. Sind Figuren, wie etwa in «Man with a Rifle» oder in «Boy falls from a Tree», in seltsamen, aber bedeutungsvollen Posen erstarrt. Oder aber es beginnen die Gipsskulpturen zu tanzen, wie in «Morning Cleaning» aus Barcelona.

«Boy Falls from Tree» (2010).

Jeder Raum in dieser Ausstellung ist einem anderen Thema, einer anderen Motivgruppe gewidmet: Vancouver, Männerbilder, Grausamkeiten, Ausgrabungen, Landschaften, Stadtleben, Innenräume, Schauspielkunst und Luftsprünge. Die Bildauswahl, die munter zwischen den früher und später entstandenen Bildern des Künstlers hin und her springt und dabei neue, unerwartete Sichtweisen und Vergleiche nahe legt, ist in enger Zusammenarbeit zwischen Jeff Wall und Martin Schwander, dem Kurator der Ausstellung, erfolgt.

Tagelang warten auf den richtigen Moment

Diese Kunst sprengt die Traditionen der Fotografie in mehrfacher Weise. Es ist nicht nur die Grösse der Bilder, die manchmal geradezu monumentale Dimensionen annehmen. «Morning Cleaning» misst beinahe zwei Meter in der Höhe und dreieinhalb Meter in der Breite. Es ist auch der Bildträger. Viele seiner Fotoarbeiten hat Jeff Wall als Grossbilddias entwickelt und dann auf einem Leuchtkasten montiert, wie man das aus der Plakatwerbung kennt. So wird jedes Bild zum Unikat und leuchtet quasi von innen heraus, was ihm eine überaus frische und natürliche Anmutung gibt. Seit den 1990er-Jahren gestaltet Jeff Wall auch grossformatige Farb- und Schwarzweissbilder auf Papier.

«In Front of a Nightclub» (2006).

Fast alles auf seinen Fotoarbeiten, das betont Jeff Wall immer wieder, ist in tagelanger, ja monatelanger Arbeit mit grosser Sorgfalt arrangiert worden. So hat der Künstler etwa den Mann auf seinem Bild «Volonteer», einer Schwarzweissfotografie aus dem Jahr 1996, einen Monat lang für fünf Nächte pro Woche zum Putzen angestellt und andauernd fotografiert, wie er in einem Interview einmal erklärte. Am Schluss fand er aus Hunderten von Fotos das eine Bild, das er behielt und auf dem nun der Freiwillige jenes verträumte Gesicht macht, das Jeff Wall in eigenen Worten so beschreibt: «Du kannst sehen, wie auf seinem Gesicht eine Art von Freude und Vergnügen flackert, wie wenn ihm diese Beschäftigung nicht nur Mühe, sondern auch eine gewisse Befriedigung gebracht hätte.»

«Volunteer» (1996).

Zusammengesetzt aus unzähligen Fotos

Jedes Detail ist mit Bedacht gesetzt und trägt Bedeutung in einem Sinne, wie wir das nur aus der Malerei kennen. Jeff Wall, der im Katalog zur Ausstellung ausführlich über seine Ausstellung schreibt, macht im Grunde Gemälde mit den Mitteln der Fotografie. Dabei bedient er sich der Inszenierungskünste, wie wir sie aus Theater und Kino kennen. Er lässt den Menschen auf seinen Bildern aber sehr viel Freiheit. Er sei weit davon entfernt, sie zu dirigieren, sagte er einmal. Eher noch warte er ab, bis er den richtigen Moment mit seiner Kamera erhasche.

«After ‹Invisble Man› by Ralph Ellison, the Prologue» (1999/2000).

Und dann setzt er die Teile zusammen, seit den 1990er-Jahren fotografiert er digital und fügt seine Bilder, wie etwa «In Front of a Nightclub» (2006) oder «After ‹Invisible Man› by Ralph Ellison, the Prologue» (2001) aus unzähligen Fotos zusammen. Er nennt sein Verfahren cinematographisch, weil er wie ein Regisseur die Realität nicht nur dokumentiere, sondern sie ganz neu gestalte. Ihn interessiert allerdings nicht die jeder Bewegung innewohnende Zeitdimension, wie das im Film der Fall ist, sondern der eine Moment.

Die Kunst wirkt lebendiger als der Mensch

Auf «Morning Cleaning» bückt sich Alejandro, so heisst die Putzkraft, wie Jeff Wall im Katalog schreibt, über einen knallgelben Kessel. Er wirkt in seiner Pose erstarrt. Der rote Vorhang auf der rechten Seite ist zusammengerafft. Die Ränder des braunen Teppichs sind umgelegt, damit der weisse Travertinboden mit dem Mopp besser aufgezogen werden kann.

Die von Mies van der Rohe extra für Barcelona entworfenen weissen Hocker stehen in einer genau choreografierten Unordnung am linken und rechten Bildrand. Auf einem der beiden Lehnstühle im Zentrum des Bildes, das von einer Säule in zwei Teile geschnitten ist, liegt, was einem erst vor dem Grossformat in der Ausstellung auffällt, sogar noch ein Putzlappen.

Die Wände dieses aus Stahl, Beton, Naturstein und Glas konstruierten Gebäudes, die aus Marmor und Onyxplatten gefugt sind, leuchten im Morgenlicht, wie wenn es sich um Rorschachtests handelte. Der Barcelona-Pavillon auf dem Bild ist übrigens nicht das Original, das kurz nach der Weltausstellung abgerissen wurde, sondern ein Remake aus dem Jahr 1986.

«Morning Cleaning» (1999), Ausschnitt.

Das Bild zeigt das morgendliche Erwachen eines Gebäudes, das sich zwischen der Betrachterin oder dem Betrachter und einem weiblichen Akt abspielt, den der deutsche Bildhauer Georg Kolbe einst für die Weltausstellung geschaffen hat. Diese Kunstfigur befindet sich quasi am Schnittpunkt aller Perspektiven in diesem Bild und erwacht hinter der mit Seifenschaum bedeckten Glaswand zum Leben. Ist es nicht seltsam, wenn die Kunst in Form der Skulptur, aber auch der im Sonnenlicht leuchtenden Wand, im Vergleich zu der zur Pose erstarrten menschlichen Putzkraft das weitaus Lebendigste auf dieser modernistischen Bühne ist?

Die Demut vor der Kreatur

Wem das zu viel der Bildinterpretation ist, der werfe seinen Blick auf Jeff Walls «A Donkey in Blackpool», der im Foyer des Museums neben «Morning Cleaning» hängend einen programmatischen, durch und durch dokumentarischen Kontrapunkt bildet.

«A Donkey in Blackpool» (1999), Grossbilddia in Leuchtkasten.

Das Bild, das in einem Stall in der verarmten Küstenstadt Blackpool entstanden ist, lässt die für Jeff Wall immer wieder bedeutungsvolle Spannung zwischen high and low anklingen, die ja auch das Barcelona-Bild durchzieht. Im Vergleich dazu strahlt es aber eine unglaubliche Wärme aus. Und auch eine Demut vor der Kreatur, die hier so ganz unheroisch zwischen einer halb vollen und einer leeren Futterraufe vor der Stallwand verharrt. «Harmonie in Dissonanz» nennt der Künstler diese Art der Gegenüberstellung seiner Bilder, die auch in den anderen Räumen der Ausstellung sichtbar wird.

Die Ausstellung in der Fondation Beyeler dauert bis zum 21. April.