Ausstellung in der Fondation BeyelerDie modernistische Puppenwelt des Niko Pirosmani
Die Fondation Beyeler zeigt die in Europa bisher grösste Ausstellung des georgischen Künstlers, der mit seiner Malerei auf der Schwelle zur Moderne die alte Welt Georgiens festgehalten hat.
Real oder irreal? Irritation ist Programm in der Kunst des georgischen Künstlers Nikos Pirosmani (1862–1918), von dem die Fondation Beyeler die bisher umfassendste Schau in Europa zeigt. Über siebzig seiner Gemälde hängen an den Wänden des Museums. Die Ausstellung entstand in enger Zusammenarbeit mit dem Georgischen Nationalmuseum in Tbilissi (Tiflis). Mit über 150 Bildern besitzt es die grösste Sammlung des Malers, der erst posthum Berühmtheit erlangte.
Die Fondation Beyeler hat der Pirosmani-Schau im Foyer drei Bilder vorgeschaltet. Die Besucher der grossen Herbstausstellung werden mit Henri Rousseaus Meisterwerk «Le lion, ayant faim, se jette sur l’antilope» (1898/1905) und je einer Pirosmani-Hommage von Pablo Picasso und Georg Baselitz begrüsst. Das Museum macht damit klar, dass der beim breiten Kunstpublikum noch wenig bekannte Künstler in einem Atemzug mit Rousseau genannt werden darf und in avantgardistischen Künstlerkreisen hoch geschätzt war und immer noch ist.
Der Bauernbub in der Hauptstadt
Der «Fischer in rotem Hemd» ist zweifellos eines der farbenprächtigsten Bilder in der Ausstellung, dessen Entstehungsdatum, wie bei vielen Werken dieses Künstlers, unbekannt ist. Immerhin weiss man, dass der 1862 im georgischen Dorf Mirsaani in eine bäuerliche Familie hineingeborene Niko Pirosmanaschwili im Alter von acht Jahren seine Eltern verlor und danach bei den adligen Kantarows in der Hauptstadt Tbilissi aufwuchs, wo er Georgisch und Russisch lesen gelernt hat und auch mit seiner Malerei begann.
Pirosmani versuchte sich zuerst in verschiedenen Brotberufen, arbeitete als Schildermaler, dann als Bremser bei der Eisenbahn und führte mit wenig Erfolg einen Laden mit Milchprodukten. Ab 1901 widmete er sich ausschliesslich seiner Kunst. Der Grossteil seines heute bekannten Werks entstand in den folgenden 17 Jahren, bis der Künstler 1918 völlig verarmt und vergessen verstarb.
Der Maler als Vagabund
Im Alter von 39 Jahren begann er ein vagabundisches Leben, das er mit seiner Malerei finanzierte. Er malte für die Duchan genannten Wirtshäuser von Tbilissi, die ihm im Gegenzug Kost und Logis anboten. Es handelte sich bei diesen Häusern, wie Nana Kipiani in ihrem erhellenden Katalog-Essay schreibt, um eine Mischung zwischen europäischer Taverne und orientalischer Maikhana – Treffpunkte für Arme und Reiche, die sowohl Restaurants als auch politische und künstlerische Diskussionsforen waren. Hier fanden poetische Lesungen statt, nicht selten unter der Leitung der Wirte. Hier veranstalteten die georgischen Modernisten ihre Kunstabende. Und die Wände dieser Kulturzentren waren von oben bis unten dicht mit Kunstwerken behangen.
Ein Gang durch die Ausstellung bringt eine Übersicht: Wie beim «Fischer in rotem Hemd» malt Pirosmani meist eine einzelne Figur, sei es ein Mensch oder ein Tier. Nur vereinzelt begegnen wir Landschaftspanoramen oder Massenspektakeln, wie etwa dem «Fest am Fluss Zcheniszkali» oder dem «Fest des heiligen Georg in Bolnissi». Und wie beim Fischer, der knöcheltief im Wasser steht und den Betrachter mit seinen dunklen Augen direkt ansieht, besteht der Malgrund der Gemälde oft aus schwarzem Wachstuch, auf dem mit wenigen Pinselstrichen eine Landschaft mehr angedeutet als ausgeführt ist.
Der gelbe Hut auf dem Kopf des etwas ungelenk wirkenden Fischers, der wie angewurzelt aus dem Bild schaut, erinnert an einen Heiligenschein, auch wenn es fotografische Aufnahmen von georgischen Fischern gibt, die ihre Beute ganz ähnlich halten und ebenso kurze Hosen tragen. In Pirosmanis Kunst findet man Einflüsse der byzantinischen Ikonenmalerei ebenso wie der aufkommenden Fotografie, wirken doch viele Figuren so, wie wenn sie im Atelier eines Fotografen oder gar nach einer Fotografie gemalt worden wären. Auch die folkloristische Malerei Georgiens und die mittelalterliche Kunst etwa von Giotto haben Spuren in seinen Gemälden hinterlassen.
Gefangen auf dem Bild
Oft erscheinen einem die Bilder wie Gleichnisse. Bei einigen bekommt man Lust, die diversen Bibelreferenzen zu entziffern und zu einer Erzählung zu formen. So bilden Weiderute und Regenschirm des Reiters auf dem Bild «Der Arzt auf dem Esel» ein Kreuz und die Männer auf dem «Gelage mit dem Leierkastenmann» erinnern an die christliche Ikonografie des Abendmahls. Doch Pirosmani belässt es bei Andeutungen. Er zeigt wenig Interesse an einer realistischen oder naturalistischen Malerei, sondern reduziert das Komplexe auf das Wesentliche und manipuliert die Grössenverhältnisse zwischen den Elementen des Bildes.
Bei den Tierbildern fällt auf, dass die Hirsche, Rehe, Esel, Schweine, Bären und Giraffen so gemalt sind, dass sie die Bildfläche mehr oder weniger ausfüllen, manchmal den Rahmen des Bildes gar zu sprengen drohen. Als ob sie nicht genug Platz hätten, wirken die Tiere wie Gefangene der Bilder. Der Maler hält sie in oft demütiger Haltung auf geradezu liebevolle Weise fest. Pirosmani, so scheint es, der Sohn eines Bauern, hat es in die Stadt verschlagen, wo er sich vornehmlich ländlichen Motiven widmet, die ihm aber allesamt fremd geworden sind. Fast so fremd wie seine berühmte Giraffe oder der Löwe, exotische Tiere, die er bloss von Abbildungen gekannt haben dürfte.
Auf den Bildern des Georgiers ist die Welt zum Stillstand gekommen. Meist scheinen ihm die Menschen für seine Bilder Modell gestanden zu haben. Sie posieren so steif wie beim Fotografen oder wirken geradezu erstarrt, wenn sie dem Maler zuprosten. Es sind Bilder, aus denen keine grosse Wehmut über den Verlust einer alten Welt zu sprechen scheint. Da ist nichts von Idealisierung oder Sentimentalität zu spüren. Vielmehr erscheinen uns die Reichen wie die Armen, der Herr in der georgischen Landestracht und die schwer tragenden Lastenträger wie komische Puppen, die nicht mehr so recht ins Bild zu passen scheinen.
Die Ausstellung dauert bis zum 28. Januar.
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