Ausstellung in RiehenDie Gespenster des Jean-Michel Basquiat
1982 malte der afroamerikanische Künstler in Modena acht Grossformate. Diese bringt die Fondation Beyeler nun erstmals zusammen – ein Leihgeber baute dafür seine Haustür um.
Die acht Modena-Paintings von Jean-Michel Basquiat gehören zum Besten, was der in New York geborene Künstler geschaffen hat. Im Juni 1982, damals war Basquiat erst 22 Jahre alt und am Beginn seiner kometenhaften Karriere, malte er in der italienischen Stadt Modena in etwas mehr als einer Woche acht monumentale Gemälde.
Eingeladen hatte ihn der Galerist Emilio Mazzoli, der mit den Bildern eine Ausstellung machen wollte. Diese kam aber nie zustande. Stattdessen wurden die Bilder von Basquiats Galeristen verkauft. Vier Bilder der Modena-Serie erwarb Basquiats wichtigster Galerist Bruno Bischofberger aus Zürich. Er verkaufte sie weiter an private Sammler.
800 Millionen Franken Versicherungssumme
41 Jahre nach den Ereignissen in Modena lässt Museumsdirektor Sam Keller in der Fondation Beyeler das Projekt der einst gescheiterten Ausstellung Wirklichkeit werden und versammelt alle acht Bilder, sieben davon in einem einzigen Saal, das achte im Foyer des Museums. Es sei ein Kraftakt gewesen, die Bilder nach Riehen zu bekommen, wie Keller erzählt.
Die acht Bilder gehören zum Teuersten, was man heute auf dem Kunstmarkt bekommt. 800 Millionen Franken beträgt allein die Versicherungssumme für die Museumsausstellung. Hundert Millionen pro Bild, wobei die einzelnen Werke unterschiedlich bewertet werden. Der höchste Preis, den je ein Basquiat-Gemälde aus der Modena-Serie erzielte, beträgt 85 Millionen Dollar. Für diesen Betrag verkaufte der japanische Milliardär und Kunstsammler Yusaku Maezawa im Jahr 2022 das Gemälde «Untitled (Devil)» im Auktionshaus Philipps.
2022 befand man sich in Riehen mitten in den Verhandlungen mit dem japanischen Sammler über die Ausleihe des Gemäldes für die geplante Ausstellung. Zum Glück habe sich auch der neue, nicht genannt sein wollende Besitzer bereit erklärt, das Bild dem Museum auszuleihen, sagt Keller im Gespräch mit dieser Zeitung erleichtert. Einige der Sammler, die man als Leihgeber habe gewinnen können, hätten nicht einmal gewusst, dass sie ein Modena-Painting besässen, fährt er fort, denn bei sechs der acht Gemälde habe Basquiat nur auf der Rückseite vermerkt, dass es in Modena gemalt worden sei.
Keller erzählt auch, dass ein Schweizer Sammler, der wie die meisten Leihgeber dieser Ausstellung nicht genannt werden will, seine riesige Basquiat-Leinwand noch nie ausgeliehen habe und extra für diese Ausstellung die Tür seiner Villa mit baulichen Massnahmen habe vergrössern müssen, um das Bild zum Transport freigeben zu können.
Monumentale Leinwände voller Energie
2 bis 2,5 Meter hoch sind Modena-Paintings und 4,2 bis 5 Meter breit. Für Basquiat bedeuteten die monumentalen Leinwände einen Quantensprung, denn er, der seine Arbeiten vor Modena erst zweimal in Ausstellungen in New York vorstellen konnte, hatte vorher nur mit kleinen Formaten gearbeitet. Die Leinwände standen in Mazzolis Atelier bereit, sie waren zwar für einen anderen Künstler gerüstet, nämlich für den in Rom lebenden Marion Schifano, der immer wieder bei Mazzoli in Modena malte. Aber Basquiat konnte sie für seine Bilder verwenden.
Ins Zentrum von fünf seiner Modena-Paintings setzte Basquiat jeweils eine männliche Figur, eines der Gemälde zeigt eine Frau mit lockigem Haar und einen weiblichen Torso, auf zwei weiteren sind Kühe zu sehen. Sieben der acht Bilder sprühen vor Energie, während «The Field Next to the Other Road» eine beinahe ländliche Ruhe ausstrahlt. Das Bild, das mit kindlich wirkenden Strichen eine Kuh an der Leine einer roten, zum Skelett gewordenen männlichen Figur zeigt, nimmt Bezug zu der bäuerlichen Umgebung der italienischen Stadt, deren Ruhe und Harmonie dem New Yorker Künstler offenbar Eindruck machte.
Figuren aus einem Totentanz
Die Ruhe ist allerdings von trügerischer Natur, da die ländliche Idylle auf der rechten Seite des Bildes mit einer Figur konterkariert wird, die aus einem Totentanz stammen könnte. Dennoch trägt sie ein auffällig rotes Gemächt zwischen den Beinen. Wie wenn der Künstler dem potenten Toten noch seinen ganz persönlichen Segen geben wollte, krönt er die Figur mit einem Heiligenschein.
Trotz ihrer Aggressivität stehen Basquiats Schreckgespenster, die mit aufgerissenen Augen und Mündern den Betrachter anzuspringen scheinen, oft unter einer manchmal ernst, manchmal auch ironisch gemeinten Gloriole. Das ovale Zeichen gibt es nicht nur beim roten Skelett mit der Kuh. Es findet sich auch beim Engel in «Untitled (Angel)» und über der Figur des Profiteurs in «Profit I», der seine Hände in die Luft hält, auch wenn man ihm seine Unschuld nicht glauben mag.
Transatlantischer Tauschhandel
Auch die nackte schwarze Frau auf «Untitled (Woman with Roman Torso ‹Venus›)», die mit ihren gekräuselten, an Schlangen gemahnenden Haaren an die von Poseidon vergewaltigte Medusa aus der griechischen Mythologie erinnert, erfreut sich einer sonnenhaft strahlenden Gloriole. In diesem Bild, in dem Basquiat einen schwarzen und einen gelben Bildkontinent durch einen blauen Ozean voneinander trennt, gehört der Heiligenschein über der Medusa zur Sphäre der helleren, von dem antiken Venus-Torso bewohnten gelben Zone. Umgekehrt gewinnt man den Eindruck, dass die linke Hand der schwarzen Medusa die Früchte, die über dem Ozean verteilt sind, in Richtung der europäischen Venus-Statue schickt, wie wenn auf dem Bild ein komplexer transatlantischer Tauschhandel mit Waren und Werten stattfinden würde.
So primitiv und kindlich die Malweise von Basquiat auf viele Betrachter wirken mag, so gross sind seine Themen und Erzählungen, die er mit seinen rasch mit dem Pinsel skizzierten Figuren, seinen mit Farbe aus der Dose gesprayten oder mit dem Filzstift gemalten Buchstaben und Zahlen auf die Leinwand bannt.
Basquiat, der nie eine Kunstschule besuchte und schon im Alter von 28 Jahren an einer Überdosis Drogen starb, zeigt sich in seinen Bildern, die immer wieder die Unterdrückung, Ausgrenzung und Ausbeutung von Menschen schwarzer Hautfarbe thematisieren, sehr offen für kunsthistorische Einflüsse jeder Art.
In der Malweise seiner Modena-Paintings kann man den Einfluss der italienischen Transavanguardia und des Abstrakten Expressionismus erkennen. Im vielleicht besten Bild der Modena-Serie bedient er sich der Technik des Drippings, die Jackson Pollock zur Perfektion gebracht hat: Im schon erwähnten «Untitled (Devil)» bahnt sich der Teufel seinen Weg durch einen Vorhang aus Farbschlieren. Die Figur erscheint als furchteinflössendes Stilamalgam aus afrikanischer Maske und modernistischem Porträt à la Picasso. Man traut diesem Teufel zu, dass er die ganze Welt in seine tödliche Umarmung nehmen wird.
Die Ausstellung in der Fondation Beyeler dauert bis zum 27. August.
Fehler gefunden?Jetzt melden.