Künstlergruppe Fauves im Kunstmuseum BaselAls die «Bestien» die Ketten sprengten
Sie waren die ersten Avantgardisten des 20. Jahrhunderts. Das Basler Museum widmet der Bewegung um ihren Star Henri Matisse eine umfassende Schau.

Vier, nein fünf gemalte Akte eröffnen im ersten Saal die Ausstellung zur Avantgarde-Bewegung der Fauves im Kunstmuseum Basel. Neben Henri Matisse’ geradezu düsterer «Nu aux souliers roses», einer nackten Frau in einem dunklen Raum, die einzig mit rosa Schuhen bekleidet ist, hängen vier auffallend ähnliche Atelierbilder. Im Zentrum steht jeweils ein hell erleuchtetes weibliches Modell. Es wird von einem Herrn gemalt – einmal ist auch eine Malerin zu erkennen –, der mit Hut und Frack bekleidet im abgedunkelten Hintergrund sitzt.
Diese Atelierbilder thematisieren den Ursprung der Fauves (auf Deutsch Raubkatzen, wilde Tiere, Bestien). Die Pariser Künstlerbewegung ist aus Abgängern der Klasse des Symbolisten Gustave Moreau entstanden und malte oft zusammen im gleichen Atelier. Auf den drei Bildern aus dem Jahr 1905 steht die Nackte frontal zum Betrachter, sodass sie dem Maler ihren Rücken zuwendet.
Den Körper der weiblichen Figur modellieren die Kunstmaler Albert Marquet und Henri-Charles Manguin sowie ein nicht identifizierbarer Anonymus aus unzähligen rosa, weissen, braunen und im Schatten auch blauen Farbtupfern.

Die Farbigkeit der Realität ist hier eine prismatisch zerlegte, die vom Maler in einem expressiven Duktus neu zusammengesetzt wird. Bei Albert Marquets mit «Matisse dans l’atelier de Manguin» betiteltem Gemälde entdecken wir sogar blaue Umrisslinien, wie wenn hier der Zeichner dem Maler den Pinsel entwendet hätte.
Und siehe da, es sind genau diese Linien, denen wir später wieder begegnen, im Raum mit den längst ikonisch gewordenen Aktzeichnungen von Henri Matisse. Sie zaubern mit einem Minimum an Linien ein Maximum an Emotion aufs Papier und erzielen an Auktionen, je nach Ausführung und Schönheit des Blattes, leicht Preise zwischen 10’000 und 50’000 Franken – was für Zeichnungen beträchtliche Summen sind.
Gemälde zu horrenden Preisen
Es liegen nur etwa vier Jahre zwischen den frühesten und spätesten Bildern, die man der Bewegung der Fauves zurechnet. Museumsdirektor Josef Helfenstein und Gastkurator Arthur Fink erzählen die Geschichte dieser ersten Avantgardebewegung des 20. Jahrhunderts mit nicht weniger als 160 Werken, viele Leihgaben aus Europa, den USA und Japan, die noch nie in der Schweiz zu sehen waren.
Wobei auffällt, dass von André Derain mehr Gemälde (24 von insgesamt 41 Werken) zu sehen sind als von Henri Matisse, dem Star der Bewegung, der zwar mit 49 Werken vertreten ist, aber nur mit 16 seiner inzwischen zu horrenden Preisen gehandelten Gemälden.

Die Ausstellungserzählung beginnt mit den skandalisierten Auftritten an den Pariser Salonausstellungen im Herbst und im Frühling 1905. Dann folgen die Ausflüge ins südfranzösische, nahe der spanischen Grenze liegenden Fischerdorf Collioure. Im Licht des Südens bekommen die Gemälde von Henri Matisse und André Derain eine Farbigkeit, die fern jeder Realität ist. Und eine Flächigkeit, die auf Hell-dunkel-Schattierungen verzichtet.
Eines der berühmtesten Bilder aus dem Jahr 1905 ist Matisse’ «La plage rouge», in dem der Sandstrand aus knallroten Pinselstrichen zusammengefügt ist, auf denen sich ein paar kindlich wirkende Strichmännchen tummeln.
Von Okzitanien bis in die Normandie
Nach dem Pariser Herbstsalon von 1905 stossen die Maler Raoul Dufy und Georges Braque zu den Fauves, die ihren Namen übrigens von einem konservativen Kunstkritiker bekamen, der ihre Kunst zutiefst verabscheute. Die Fauves und ihrer Galeristen eigneten sich das Schimpfwort flugs als Markennamen an, um so ihre Kunst besser verkaufen zu können.
Bald wurde neben Collioure auch Trouville in der Normandie – wo die wohlhabenden Pariser Ferien zu machen pflegten, bevor die Côte d’Azur als Feriendomizil entdeckt wurde – zu einem Hotspot der Malergruppe. Hier entstand 1906 etwa Albert Marquets «Affiches à Trouville», bei dem es sich um eines der ersten Gemälde handelt, das Werbeplakate zum Thema macht.

Ein besonderes Augenmerk wirft die Schau auf das Verhältnis der Maler zu den Prostituierten. Dabei stellen die Ausstellungsmacher fest – sie stützen sich dabei auf die Expertise der feministischen Pariser Historikerin Gabrielle Houbre –, dass Porträts von Sexarbeiterinnen, wie etwa die hingebungsvoll blickende «Gitane» von Matisse, den «male gaze» darstellen.
Der «male gaze» und die weibliche Subjektivität
Nur ganz selten, etwa bei André Derains «La Femme en chemise», wird der Frau im Bild eine eigene Subjektivität zugebilligt. Die Künstler frönten in Bezug auf die Bordelle einer besonderen lustvollen Form der «appropriation art», insofern sie die einschlägigen Etablissements zur eigenen Triebabfuhr frequentierten, wie Sigmund Freud sagen würde. Aber auch, weil sie dort billige Modelle fanden, die sie für ihre sexualisierte Porträtmalerei ausbeuten konnten.
Auch der Kolonialismus hinterliess seine Spuren in dieser Kunstbewegung, die die Konventionen der Malerei des 19. Jahrhunderts über Bord warf. Künstler der Fauves gehörten zu den ersten, die sich Statuen und Masken aus Afrika kauften. Matisse weilte 1906 in Algerien, von wo er Bilder heimbrachte, welche die flirrende Hitze dortiger Städte unmittelbar spürbar machen. Und die Reduktion der Porträts auf wenige Linien und farbige Flächen, wie sie stilbildend für die Fauves ist, erinnert einen immer wieder an die für afrikanische Masken typische Abstraktion.

Von Maurice de Vlaminck hängt in der Ausstellung ein atemberaubender «Nu rouge» aus dem Jahr 1905, der aus einer Privatsammlung stammt und das letzte Mal vor rund 60 Jahren öffentlich ausgestellt wurde. Der gedrungene Akt, der mit seiner prallen Körperlichkeit das Bild beinahe sprengt, versteckt sein Gesicht hinter einer Maske. Sie hat grosse Ähnlichkeit mit einer sogenannten Fang-Maske aus Gabun, die sich im Besitz des Künstlers befand, wie man im Katalog nachlesen kann.
Die Pointe dabei ist, dass Vlamincks Maske von einem afrikanischen Künstler nicht für den Gebrauch seines Stammes geschnitzt wurde, sondern um sie an Europäer zu verkaufen.
Wir haben es also mit einer besonders komplexen Form von «appropriation art» zu tun: In «Nu rouge» drückt ein französischer Maler im Stil der Fauves sein sexuelles Begehren aus, indem er sich eine afrikanische Maske aneignet, mit der sich ein afrikanischer Künstler ein weisses Gesicht angeeignet hat. Der weisse Betrachter erblickt in diesem Gemälde also weniger ein exotisches Begehren als ein Bild, das sich die Schwarzen von ihm gemacht haben.
Kunstmuseum Basel, bis 21. Januar.
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