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Caspar David Friedrich in Winterthur
In der Romantik sieht man heute die Gefühle der Klimabewegten

Caspar David Friedrich: «Wanderer über dem Nebelmeer» (um 1817).
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Locker, ja beinahe lässig steht der «Wanderer über dem Nebelmeer» auf dem Felsvorsprung, der im Vordergrund als dunkles Dreieck ins Bild hineinragt. In ihrem grünen Kurzmantel, dessen Schnitt an die altdeutsche Tracht erinnert, wirkt die Figur leicht overdressed, als hätte es sie direkt aus der Schreibstube oder dem Malatelier in die Natur verschlagen.

Dichte weissblaue Nebelschwaden steigen aus der Tiefe empor, aus denen nur wenige Felsen hervorlugen. Das Naturschauspiel ist von einer wilden Dynamik. Die Bühne gehört in diesem Landschaftsbild weniger den Bergen als einem flüchtigen atmosphärischen Ereignis, wie es auch William Turner und andere Maler der Romantik auf die Leinwand bannten.

Muss man sich nicht fürchten vor dieser erhabenen Natur?

Das Treiben des Gewölkes zieht den blonden Herrn, den manche Interpreten wegen der Haarfarbe für den Maler selbst halten, in seinen Bann. Aber das Naturschauspiel bringt ihn offenbar nicht aus der Ruhe oder gar zum Erschaudern – was ja durchaus auch ein für die Romantik typisches Gefühl ist.

Er steht auch nicht da wie ein zu Stein erstarrtes Denkmal, wie man in einigen Interpretationen lesen kann. Vielmehr hat der anscheinend von seinem Weg abgekommene Stadtmensch den linken Fuss auf die Felskante gestellt und stützt sich mit seinem Gehstock auf einem Felsblock zu seiner Rechten ab, als ob ihm das Geschehen nicht allzu viel anhaben könnte.

Caspar David Friedrich: «Morgennebel im Gebirge» (1808).

Mit der interessierten Distanz eines Touristen, den man aufgrund seiner Kleidung auch schon als deutschen Patrioten ausgemacht hat, blickt dieser friedrichsche Wanderer über das Nebelmeer hinweg in eine ungewisse, wolkenverhangene Ferne, die nicht wirklich Hoffnung verspricht oder eine Wendung zum Besseren.

Vielmehr hängt eine melancholische Stimmung über dem Bild, nicht wirklich gefährlich, aber irgendwie beklemmend, sodass man aus heutiger Perspektive geneigt ist, in diesem Bild auch die Emotionen und Befürchtungen von Klimabewegten zu sehen. Denn muss man sich nicht fürchten vor dieser erhabenen Natur?

250-Jahr-Jubiläum von Friedrichs Geburt

Als wir ihn auf diese Vermutung ansprechen, muss David Schmidhauser, der Kurator der grossartigen Schau im Museum Reinhart am Stadtgarten, schmunzeln. Er verweist auf die zahlreichen Interpretationen, die dieses Bild schon erfahren habe, und erklärt, dass bei Friedrich immer auch das religiöse und das patriotische Moment mitgedacht werden müsse. Aber ihm sei es in dieser Ausstellung weniger um die ideologischen und politischen Implikationen von Friedrichs Kunst gegangen. Sondern mehr um die kunsthistorische Tradition, in der seine grandiose Landschaftsmalerei stehe.

1774 in der Stadt Greifswald an der deutschen Ostseeküste auf die Welt gekommen, jährt sich der Geburtstag von Caspar David Friedrich 2024 zum 250. Mal. Ein Grund für viele deutsche Museen, den deutschen Nationalkünstler par excellence, den der Friedrich-Biograf Detlef Stapf im Katalog zur Ausstellung als «wortkargen, verschlossenen, unzugänglichen und zuweilen misanthropischen Charakter» beschreibt, mit einer Jubiläumsausstellung zu feiern.

Caspar David Friedrich: «Kreidefelsen auf Rügen» (1818).

Winterthur ist da so etwas wie ein Vorlauf, ein Versuch, die neuesten Erkenntnisse zur Friedrich-Forschung zu bündeln. Warum Winterthur? Weil das dortige Museum dank dem Vermächtnis des grossen Kunstsammlers Oskar Reinhart im Besitz von Caspar David Friedrichs «Kreidefelsen auf Rügen» ist, das vielen als das Meisterwerk der deutschen Romantik gilt. Und weil das Kunstmuseum Winterthur die bedeutendste Werkgruppe zur deutschen Romantik ausserhalb Deutschlands sein Eigen nennt.

Zusammen mit dem Museum Georg Schäfer in Schweinfurt, das seinerseits über umfangreiche Friedrich-Bestände verfügt, hat das Kunstmuseum Winterthur die Ausstellung mit dem Titel «Caspar David Friedrich und die Vorboten der Romantik» erarbeitet. 70 Bilder hängen nun in einem langen Saal des Museums, angefangen bei den Sepiazeichnungen von Friedrich, weiter zu seinen Naturstudien. Dann zu den Vorboten der Romantik, unter anderen Carl Gustav Carus und Johan Christian Dahl. Schliesslich zu den Schweizern wie Caspar Wolf, dem in Dresden lehrenden Kupferstecher David Zingg und dem Berner Johann Ludwig Aberli, der als Erfinder der kolorierten Umrissradierung gilt.

Vorläufer und Vorbilder 

David Schmidhauser zeigt in seiner Zusammenstellung von Bildern, dass Friedrichs Vorstellung von Bergen, Wasserfällen und Gletschern ganz wesentlich von schweizerischen Vorbildern geprägt war. Auch wenn dieser selbst, aus finanziellen Gründen, wie er einmal behauptete, die Alpen so wenig bereist hat wie Italien. Der grosse Romantiker lebte und arbeitete in Greifswald, auf Rügen, in Kopenhagen und Dresden, wo er im Alter von 44 Jahren mit seiner 19 Jahre jüngeren Frau eine Familie gründete. Gestorben ist er im Jahr 1840. 

Caspar David Friedrich: «Ruine Eldena im Riesengebirge» (um 1830/34).

Für seine Bergbilder brauchte der Maler von der Ostsee Vorbilder, die seine Vorstellungskraft befruchteten, bei denen er abkupfern konnte. Überhaupt, es gehörte zu seinem Credo, innere Landschaften zu malen, die er erfühlte und in Gedanken zusammenbauen konnte, bevor er sie auf die Leinwand brachte. Dabei hätten Themen wie Jenseitsorientierung und die mystische Erneuerung der protestantischen Kirche (Stichwort Erweckungstheologie) einen festen Platz in den Bilderzählungen des Landschaftsmalers bekommen, wie Detlef Stapf in seinem Katalogessay schreibt.

Komponiert und «erfühlt»

Friedrichs Landschaften – gleichviel ob Seestücke bei Greifswald, Kreidefelsen auf Rügen oder sanfte Hügelzüge im Riesengebirge – sind also Eigenkreationen. Komposita oder Collagen, zusammengesetzt aus Einzelstudien. In der Ausstellung sehr schön zu sehen etwa an der Bleistiftskizze einer Eiche, deren Äste und Verästelungen sich dann in verschiedenen Gemälden finden. Oder an der Ruine Eldena in Greifswald, die Friedrich zuerst isoliert malte und dann 1830/34 vor die Kulisse des Riesengebirges schob («Ruine Eldena im Riesengebirge»).

Caspar David Friedrich: «Der Watzmann» (1824/25).

Auch für das Gemälde «Kreidefelsen auf Rügen» gilt das, ebenso für die erstmals in der Schweiz ausgestellten friederichschen Ikonen der deutschen Romantik, das erwähnte Gemälde «Wanderer über dem Nebelmeer» oder das monumentale, 1824/25 entstandene Bild «Der Watzmann» aus den Staatlichen Museen zu Berlin.

Der Watzmann ist der zentrale Gebirgsstock der Berchtesgadener Alpen, den Friedrich nachweislich nie mit eigenen Augen gesehen hat. Umso mehr konnte er sich, befreit von jedem Realismus, auf die Komposition, die Gestaltung und innere Stimmung seiner Gemälde konzentrieren.

Kunstmuseum Winterthur, Reinhart am Stadtgarten, bis 19. November.