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Provenienzforschung in Basel
Kunstmuseum will Rousseau-Bild nicht zurückgeben

Henri Rousseau: «La muse inspirant le poète / Apollinaire et sa muse» (1909).
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Das Gemälde gehört zu den 50 Meisterwerken des Kunstmuseums Basel, hat aber einen grossen Makel: Henri Rousseaus «La muse inspirant le poète» (1909) gelangte im September 1940 zu einem «schandbar billigen Preis», wie sich der damalige Basler Kunstmuseumsdirektor Georg Schmidt ausdrückte, in die Sammlung des Museums.

Bloss 12’000 Franken liessen sich die Basler das Gemälde kosten, das von Lotte Gräfin von Wesdehlen verkauft wurde, einer Berliner Jüdin, die vor den Nationalsozialisten nach Genf geflüchtet war. Sie hatte ganz andere Preisvorstellungen: 30’000 bis 40’000 Franken. Und musste schliesslich, weil sie das Geld dringend brauchte, auf die Basler Bedingungen eingehen.

Im März 2021 meldeten sich die Anwälte der Erben von Lotte Gräfin von Wesdehlen beim Kunstmuseum Basel und forderten die Rückgabe des Gemäldes. Das Museum war zu jenem Zeitpunkt bereits an einer Tiefenrecherche zum Bild, wie die Leiterin der Provenienzforschung am Kunstmuseum Basel, Tessa Rosebrock, dieser Redaktion sagt. Diese Recherchen sind nun abgeschlossen.

Juristisch aufgearbeitet wurden sie von dem Präsidenten der Kunstkommission des Kunstmuseums Basel, Felix Uhlmann. Jetzt lautet der Bescheid des Kunstmuseums an die Erben der Gräfin von Wesdehlen: Man wolle das Bild keineswegs zurückgeben, aber gemeinsam mit den Erben eine «faire und gerechte Lösung» finden. Das kommt einer finanziellen Entschädigung in noch zu bestimmender Höhe gleich.

Jüdisches Grossbürgertum

Charlotte Gräfin von Wesdehlen (1877–1946) stammte aus einer sehr wohlhabenden jüdischen Familie. Ihre Eltern Margarete Oppenheim und Georg Reichenheim lebten im vornehmen Berliner Tiergartenviertel und sammelten unter anderem französische Impressionisten. Mit ihrem Ehemann, dem vermögenden und kunstsinnigen Bankier Paul von Mendelssohn-Bartholdy, baute Charlotte in den ersten zwei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts eine weit über Berlin hinaus bekannte Sammlung mit exquisiten Kunstwerken von Picasso, Van Gogh, Degas, Manet, Monet, Renoir, Derain und Henri Rousseau auf.

(Eingeschränkte Rechte für bestimmte redaktionelle Kunden in Deutschland. Limited rights for specific editorial clients in Germany.) Charlotte Mendelssohn-Bartholdy- PortraitVintage property of ullstein bild (Photo by Frieda Riess/ullstein bild via Getty Images)

Charlotte und Paul von Mendelssohn-Bartholdy waren grosszügige Förderer von Architektur, Malerei und Plastik und luden in ihrem riesigen Palais an der Alsenstrasse 3/3a in Berlin, unweit der Schweizer Botschaft (das Mendelssohn-Gebäude wurde von den Nazis niedergerissen), regelmässig zu gesellschaftlichen Festivitäten. 1927 wurde das Ehepaar geschieden.

Charlotte heiratete 1930 den schweizerischen Rittmeister der preussischen Armee a.D. Georges Frédéric Petitpierre Graf von Wesdehlen aus Neuenburg (1869–1959). Sie wurde durch diese Heirat Schweizer Bürgerin und wanderte 1938 nach Genf aus, wobei Graf von Wesdehlen in Berlin blieb. Bei dem Umzug verlor die Gräfin wegen der Reichsfluchtsteuer, die ausreisewilligen Juden auferlegt wurde, und sonstigen Repressalien fast das ganze Vermögen.

Feilschen wie auf einem Basar

Was sie mitnehmen konnte, das waren sehr viele Möbel und eine nicht genau bezifferte Anzahl von Bildern, welche sie zu Geld zu machen versuchte. So kamen nicht nur die Basler zu einem spottbilligen Rousseau, auch das Kunsthaus Zürich feilschte mit der kunstsinnigen Dame um ein «Blumenstillleben» und den «Pierre Loti» von Henri Rousseau, die sie verkaufen wollte. Wobei sie, wieder liquide geworden durch den Verkauf des «Apollinaire» nach Basel, von Zürich deutlich höhere Preise forderte, obwohl es sich dabei um relativ kleine Gemälde handelt. 40’000 für das Stillleben und 38’000 für den Loti sollten es schon sein, liess sie dem Zürcher Museumsdirektor Wilhelm Wartmann ausrichten. Da dieser Kenntnis von dem Basler Kaufpreis bekommen hatte, wollte er aber auch runter mit dem Preis.

Henri Rousseau: Porträt des Herrn X (Pierre Loti), ehemals Sammlung Charlotte Gräfin von Wesdehlen, heute Kunsthaus Zürich

Es begann ein Hin und Her, bis der Kunsthändler Max Dreyfus, der als Vermittler zwischen Wesdehlen und dem Kunsthaus Zürich fungierte, dem Kunsthaus für beide Bilder zusammen einen Preis von 60’000 Franken vorschlug, worauf der dem Kunsthaus eng verbundene Claus Vogel für beide Bilder ein Angebot von 45’000 Franken machte. Als die Gräfin sich damit einverstanden erklärte, erhielt sie schliesslich einen Scheck über 43’000 Franken. Dem Kunsthaus überliess Vogel den «Pierre Loti» für 22000 Franken, das «Blumenstillleben» behielt er für sich.

Zürich diskutierte dann im Jahr 1942 noch über zwei weitere Bilder von Gräfin Wesdehlen, nämlich den «Leiermann mit Söhnchen» von Picasso und einen «Blumenstrauss» von Alfred Sisley. Nachdem die Gräfin für den Picasso zuerst 26’000 Franken verlangte, liess sie sich auf sage und schreibe 11’000 Franken runterhandeln.

Die Schweizer Museen handelten mit der von den Nazis verfolgten Jüdin, als wäre man auf einem Basar. Auch in Zürich würden die Bilder aus dem ehemaligen Besitz von Lotte von Wesdehlen zurzeit einer Tiefenforschung unterzogen, schreibt der Kunsthaussprecher auf Anfrage. Er wolle aber keine Zwischenresultate zu der Provenienzforschung mitteilen. Er versichert, dass man die Vorgänge in Basel aber aufs Genaueste beobachte.

Moralische Verantwortung

In der Tat, das Basler Museum unter der Leitung von Direktor Josef Helfenstein, der Ende 2023 pensioniert wurde, und Kommissionspräsident Felix Uhlmann handelt geradezu vorbildlich: Die Forschungsresultate und die juristische Argumentation werden transparent dargelegt. Dabei handelt es sich insofern um Zwischenresultate, als erst jetzt die Verhandlungen über eine Entschädigung der Erben beginnen.

Zudem hat die Reaktion der Basler auf die Rückgabeforderung der Erben auch den Charakter eines Pilotprojekts: Beim Rousseau handelt es sich um Fluchtgut, das man hierzulande bislang weder restituiert noch entschädigt hat. Nun sagt das Kunstmuseum Basel: Wir übernehmen eine moralische Verantwortung für das Verhalten in Zusammenhang mit dem Kauf des Bildes und suchen darum nach einer finanziellen Entschädigung der Erben. Es soll eine Lösung sein irgendwo zwischen dem «Befürworten und dem Ablehnen einer Restitution», eine «Graustufe», wie sie unter den Washington Principles von 1998 möglich ist, heisst es in der Dokumentation, die am Dienstag veröffentlicht wurde.