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Kunsthaus Zürich
Ferdinand Hodler – eine erfrischend neue Sicht auf eine nationale Ikone

Die Kuratorinnen wollten den grossen Künstler aus der Ecke des Nationalen und des Konservativen befreien: Relax (Chiarenza & Hauser & Co): «Je suis une femme pourquoi pas vous?» (1995–2001).
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«Haben Sie eine Anti-Blocher-Ausstellung gemacht?»

«Nein, nicht im Geringsten», sagen die beiden Kuratorinnen der neuen Ausstellung im Kunsthaus Zürich, Cathérine Hug und Sandra Gianfreda, auf unsere Frage, die wir anlässlich der Pressekonferenz stellen. Aber um eine Aktualisierung Ferdinand Hodlers, des schweizerischen Nationalkünstlers par excellence, sei es ihnen schon gegangen. Sie wollten den grossen Künstler aus der Ecke des Nationalen und des Konservativen befreien, sagen sie unisono. Eher als eine Ergänzung zum vorherrschenden Hodler-Bild denn als eine Antithese sei diese Ausstellung zu verstehen.

Christoph Blocher ist als Leihgeber mit vier Werken an dieser 127 Werke umfassenden, «Apropos Hodler» genannten Ausstellung beteiligt. Das Kunsthaus habe ihm das Ausstellungskonzept natürlich vorgelegt, als es wegen der Leihgaben angefragt habe, heisst es an der Pressekonferenz. Der SVP-Doyen – der über eine reichhaltige Hodler-Sammlung verfügt – habe seine Werke grosszügigerweise zur Verfügung gestellt.

Keine Dekonstruktion der Ikone

Und wie sieht nun diese Ergänzung aus, die keine Dekonstruktion des Künstlers sein will, wie Direktorin Ann Demeester an der Pressekonferenz ebenfalls versicherte?

Am Eingang zum Bührle-Saal wacht die Büste des längst nicht mehr als edel eingeschätzten Waffenproduzenten und Spenders Emil G. Bührle über die Eintretenden. Ja, liebes Kunsthaus, warum müssen wir immer noch an diesem steinernen Kopf vorbeigehen? Für uns ist es ein bisschen, wie wenn wir jedes Mal den Gesslerhut grüssen müssten, denken wir beim Eintreten in leiser Vorahnung, was uns in dieser Ausstellung erwarten könnte. Gäbe es nicht viel dezentere Möglichkeiten, an diesen Sponsor zu erinnern?

Der blasse Wilhelm Tell

Und tatsächlich, in der Ausstellung gibt es einen kaum bekannten, etwas blass geratenen Wilhelm Tell von Hodler zu sehen, der eine Armbrust in der linken und einen Pfeil in der erhobenen Rechten trägt (entstanden 1895). Seit über hundert Jahren sei das hochformatige Bild nicht mehr öffentlich gezeigt worden, sagt Cathérine Hug. Es sei eine wahre Entdeckung und stamme aus der Sammlung des verstorbenen Bruno Stefanini, die heute von der Stiftung für Kunst, Kultur und Geschichte in Winterthur betreut werde.

Ausstellungsansicht mit Ferdinand Hodlers «Lied der Ferne» auf der Berglandschaft von Nicolas Party.

Aber eilen wir, Hodlers immer wieder hinreissende Landschaftsbilder am Anfang der Schau hinter uns lassend, mal in die Mitte des Saales. Dort hat der 1980 in Lausanne geborene und überaus erfolgreiche Künstler Nicolas Party mit Kreide ein fantastisches Alpenpanorama auf eine der raumhohen mobilen Wände dieser Ausstellung gezaubert.

Nein, realistisch ist das nicht. Auch nicht fotorealistisch. Aber es setzt dafür unsere Fantasie in Gang und bildet einen formidablen Hintergrund für Hodlers um 1914 entstandene Frauenfigur mit dem Sehnsuchtstitel «Lied in der Ferne». Natürlich werden jetzt die Puristen sagen: Warum muss man den Hodler noch vor einen poppigen Hintergrund hängen, ist er nicht Kunst genug, um auf einer einfarbigen Museumswand zu bestehen?

Hodlers Ambivalenz

Die Temperatur steigt auf der Rückseite der Wand, wo quasi die andere Seite der Hodler-Medaille in Szene gesetzt wird. Party malt hier, abermals mit Kreide, einen gelb-orange-rot glühenden Wald, auf dem ein finster dreinblickender «Krieger mit Hellebarde» aus dem Jahr 1895 platziert wird. Der Krieger angesichts des Klimawandels.

Da haben wir es, das Ausstellungskonzept: der spirituelle Hodler auf der Vorderseite der Wand und der wehrhafte Hodler hinten, blau und weiblich kontra rot und männlich, wobei Hodler immer beides zugleich machte: Auftragskunst malte, mit der er Geld verdienen konnte, und freie, oftmals symbolistische Bilder verfertigte. Diese hätten ihm ungleich mehr Spass gemacht als die nicht selten etwas müde dreinschauenden Helden, erfahren wir in einem der Aufsätze des Katalogs zur Ausstellung.

Ferdinand Hodler: Landschaft bei Caux mit aufsteigenden Wolken, 1917

Nicolas Party ist nicht nur der Gestalter dieser zentralen, die Hodler’sche Ambivalenz thematisierenden Wand im Zentrum, er ist auch verantwortlich für die Szenografie der Schau. Die riesige, lang gezogene Halle wird von fächerförmig schräg in den Raum gestellten Wänden strukturiert, die einem regelrecht in die Ausstellung hineinziehen, aber immer auch wieder Kojen bilden, um einzelne Werke oder Werkgruppen in einem quasiintimen Rahmen zu zeigen.

Die Wände auf der rechten Seite sind blau, während jene auf der linken Seite rot bemalt sind. Sie bilden den Hintergrund für die anregendste und erfrischendste Auseinandersetzung mit Hodler, die wir je gesehen haben.

Ann Demeesters Handschrift

Und was die Puristen angeht, sie kommen in dieser Ausstellung längstens auf ihre Rechnung. Das Kunsthaus Zürich, das nach dem Musée d’art et d’histoire Genf über die grösste Hodler-Sammlung in der Schweizer Museumswelt verfügt, breitet seine Schätze aus. 41 der 47 Hodler-Werke kommen aus den eigenen Beständen. Und sie werden konfrontiert mit interessanten Positionen aus der Gegenwartskunst.

Andriu Deplazes: «Zwei Körper, zwei Bäume und See» (2018).

Die beiden Kuratorinnen des Kunsthauses entwickelten die Ausstellung in enger Zusammenarbeit mit folgenden Künstlerinnen und Künstlern: Sabian Baumann, geb. 1962, Ishita Chakraborty, geb. 1989, und dem Kollektiv Relax (Marie-Antoinette Chiarenza, geb. 1957, und Daniel Hauser, geb. 1959). Auch wenn sie diese Ausstellung nicht selbst kuratiert habe, so trage sie doch auch ihre Handschrift, sagt die Direktorin Ann Demeester im Gespräch. Sie gab vor rund einem Jahr den Impuls dazu und steuerte die Arbeiten von der Konzeption bis zur Eröffnung.

Landschaften und Körper

Die Künstler-Kuratorinnen und -Kuratoren brachten eigene Werke in die Ausstellung und halfen dem Kunsthaus bei der Auswahl von rund 30 weiteren Künstlerinnen, die nun in den vier Ausstellungskapiteln «Landschaften», «Körperlichkeiten», «Zugehörigkeiten» und «Rätselhaftigkeit/Transzendenz» mit Hodlers Bildern in einen vielstimmigen Dialog treten.

Wobei sehr rasch auffällt, dass die zeitgenössischen Kunstschaffenden gegenüber dem Meister, der von 1853 bis 1918 lebte, keinen einfachen Stand haben. Qualität, Präsenz, Experimentierfreude, Bildkomposition, manchmal auch nur die schiere Grösse der Hodler’schen Gemälde stellen die Mehrheit der anderen Bilder dieser Schau in den Schatten.

Laura Aguilar: «Grounded 107» (2006/2007).

Besser haben es da in der Regel die Installationen oder Filme, von denen es ein paar wirklich sehenswerte gibt. Man denke an Frantiček Klossners (geb. 1960, wohnt in Bern) interaktive Videoinstallation von 2001 mit dem Titel «Wie du in den Wald rufst» oder an das paradoxale Video «1941» des jemenitischen Künstlers Asim Abdulaziz (geb. 1996), das zehn Männer aus Jemen zeigt, die in einem ehemaligen Kloster in Aden einer eindeutigen Frauenarbeit nachgehen: In einer seltsamen Umkehrung der Geschlechterrollen stricken sie mit roter Wolle, wobei die Jahreszahl 1941 auf amerikanische Soldatenfrauen verweisen soll, die damals für ihre Männer an der Front zu stricken pflegten.

Mit Haut und Haar

Hodlers Arbeiten bieten aber auch Anschlussstellen für Künstler, die sich mit Homosexualität auseinandersetzen. So passt etwa der etwas geziert über die Schulter blickende «Krieger mit Hellebarde» aus dem Jahr 1895 wunderbar zu Urs Lüthis (geb. 1947, lebt in München) Diptychon mit dem Titel «Selbstporträt» aus dem Jahr 1976. In den Bereich des Queeren greift auch Hodlers «Weib am Bach» (1905) aus, das in dieser Ausstellung in den Bildern von nackten Frauen im Wald, die von der amerikanischen Fotografin Laura Aguilar (1959–2018) stammen, seinen Widerhall findet.

Schliesslich sei noch der grandiose Katalogbeitrag von Kim de l’Horizon zur Lektüre empfohlen, laut dem de l’Horizon sich Hodler mit «Haut und Haar und Knochen und Schleim ausliefert».

Die Ausstellung dauert bis zum 30. Juni.