Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Britische Migrationspolitik
Flüchtende sterben vor der Küste, doch Sunak will seine Pläne durchzwingen

Tote, Verletzte und Vermisste: Aus dem Ärmelkanal gerettete Asylbewerber wurden am Wochenende nach Dover gebracht. 
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Der Tod von mindestens sechs afghanischen Flüchtlingen im Ärmelkanal am Wochenende hat in Grossbritannien teils heftige Reaktionen ausgelöst. Wohlfahrtsverbände und empörte Kommentatoren warfen der Regierung vor, mit ihrem kompromisslosen Anti-Asyl-Kurs eine rundum «inhumane» Strategie zu verfolgen. Auch in der Tory-Partei mehren sich die Zweifel am Sinn dieser Politik.

Die afghanischen Flüchtlinge waren ums Leben gekommen, als sie zusammen mit anderen Asylsuchenden in den frühen Morgenstunden des Samstags in einem kleinen, völlig überfüllten Boot vom französischen Sangatte ins englische Dover übersetzen wollten und das Boot kenterte. Mehrere Dutzend Personen wurden in eine Klinik in Calais eingeliefert. Andere wurden nach Dover gebracht. Sechs Tote wurden geborgen. Zwei Flüchtlinge werden noch vermisst.

Einreise muss vorher genehmigt werden

Grossbritanniens Innenministerin Suella Braverman sprach von einem «tragischen» Vorfall. Der britische Flüchtlingsrat erklärte dagegen, in Übereinstimmung mit vielen anderen Hilfsorganisationen, London hätte die Todesfälle mit einer anderen Politik verhindern können: «Wir wissen, dass Leute bei Überfahrten über den Kanal ihr Leben riskieren, weil die Zahl sicherer Routen so begrenzt ist, und so ineffizient.»

Asylbewerber können derzeit «legal» nur auf offiziellen Wegen und nach vorheriger Genehmigung nach Grossbritannien kommen. Das ist etwa bei ukrainischen Flüchtlingen der Fall. «Ungemeldeten» Afghanen und Angehörigen der meisten anderen Nationen, aus denen Menschen fliehen, wird kein freier Zugang gewährt auf die Britischen Inseln. Sie werden als illegale Migranten klassifiziert.

Demonstranten im französischen Calais tragen ein Banner mit den Namen von Migranten, die seit 1999 im Ärmelkanal gestorben sind.

Kritiker der britischen Regierung halten diese Behandlung Asylsuchender für vollkommen unakzeptabel. Sie verlangen nicht nur mehr Aufnahmebereitschaft ihres Landes, sondern auch die Möglichkeit, Asylanträge von britischen Beamten bereits in Frankreich prüfen zu lassen, sodass akzeptierte Bewerber auf sicherem Weg nach England reisen können, nicht in seeuntüchtigen Booten über den Kanal.

«Statt solche Routen zu eröffnen und Asylsuchende mitfühlend und fair zu behandeln, hat die Regierung drakonische und unbrauchbare neue Gesetze erlassen, die gefährdeten Männern, Frauen und Kindern die Tür vor der Nase zuschlagen», klagt der Flüchtlingsrat.

Deportationen nach Ruanda geplant

Seit Ende Juni sind Personen, die «unerlaubt» ins Land kommen, nicht länger berechtigt, nach ihrer Ankunft in England noch einen Asylantrag zu stellen. Sie alle haben jegliches Asylrecht verwirkt, werden auf unbestimmte Zeit festgehalten und sollen – so sieht es das Gesetz vor – in Staaten wie das afrikanische Ruanda deportiert werden, sobald die Gerichte dies zulassen. Im Augenblick ist die Deportation nach Ruanda vom höchsten Appellationsgericht, mit Verweis auf die Europäische Menschenrechtskonvention, gestoppt.

Sollte der Regierung in diesem Herbst auch das Oberste Gericht in letzter Instanz eine solche Auslieferung verwehren, denkt man in Regierungskreisen bereits daran, aus der Menschenrechtskonvention auszutreten – obwohl Grossbritannien diese mitbegründet hat. Einwanderungs-Staatssekretär Robert Jenrick erklärte vergangene Woche, man werde «alles tun, was sich als nötig erweist», um die Regierungspläne durchzuzwingen und Migranten abzuschrecken von der Fahrt über den Kanal.

Auf einem Containerschiff im Hafen von Portland will die britische Regierung Hunderte Asylsuchende unterbringen. 

Dagegen machen moderate Tories wie der frühere Justizminister und Ex-Vizepremier David Lidington deutlich, dass eine Aufkündigung der Menschenrechtskonvention durch London das «sehr echte Risiko» mit sich bringe, «dass wir wieder in den Ruf der hässlichen Partei geraten». Auch konservative Wähler wollten sicher sein, «dass eine Konservative Partei Verträge einhält und sich für Menschenrechte einsetzt zu einer Zeit, da diese rund um die Welt angegriffen werden», findet Lidington.

Als äusserst problematisch hat sich für die britische Regierung in den letzten Tagen bereits die Verfrachtung von Asylsuchenden auf die im südenglischen Hafen Portland verankerte Wohnbarkasse Bibby Stockholm erwiesen, nachdem die Feuerwehr ernste Bedenken zur Sicherheit im Falle eines Brandes geäussert hatte. Zudem war bekannt geworden, dass in der Wasserversorgung der Barkasse Legionella-Bakterien gefunden worden waren, die zur Legionärskrankheit führen können. In aller Eile mussten Ende letzter Woche die bereits auf das Schiff Verbrachten wieder evakuiert werden.

Die Boote lassen sich nicht stoppen

Unterdessen reisst der Strom der Kanalboote nicht ab. Und auch im Tory-Lager kommt man immer mehr zum Schluss, dass Premierminister Rishi Sunak sein feierliches Gelöbnis, «die Boote zu stoppen», nicht einzulösen vermag.

Am Samstag, als das Boot mit den afghanischen Flüchtlingen kenterte, schafften es immerhin 509 Migranten in zehn Booten auf englischen Boden. Am Donnerstag davor, einem sonnigeren und windstillen Tag, lag die Zahl für dieses Jahr rekordhoch, bei 756 Menschen und 14 Booten. Insgesamt sind seit Jahresanfang rund 16’700 Asylsuchende auf diese Weise nach Grossbritannien gekommen. Letzte Woche allein meldeten die Rettungsdienste, dass sie bei sieben separaten Vorfällen Menschen aus dem Wasser ziehen mussten, die über Bord gegangen waren.