Britische MigrationspolitikLondon will 500 Flüchtlinge auf Containerschiff unterbringen
Die Regierung in London will Flüchtlingen gegenüber so hart wie möglich auftreten. Geld spart sie damit kaum, und die Feuerwehr warnt vor einer Tragödie.
Die Bibby Stockholm ist ein Schiff, sieht aber aus wie ein schwimmender Wohnblock oder, je nach Perspektive, wie ein schwimmendes Gefängnis. Aus Sicht von britischen Menschenrechtsorganisationen trifft Letzteres zu, aus Sicht der britischen Regierung Ersteres, und weil die britische Regierung mit der Rechtspopulistin Suella Braverman als Innenministerin sich sehr bemüht, gegenüber Flüchtlingen so hart wie möglich aufzutreten, zogen am Montag die ersten 15 Menschen unfreiwillig auf die Bibby Stockholm.
Mindestens weitere 20 lehnten ihre Unterbringung dort mithilfe von Anwälten aber derart resolut ab, dass der Transport von Geflüchteten auf das dauerhaft im Hafen von Portland in Dorset ankernde Lastschiff vorerst gestoppt werden musste.
«Wenn die Flüchtlinge Lastschiffe nicht mögen, dann sollen sie doch zurück nach Frankreich.»
Was die britische Regierung, die eigentlich 500 Flüchtlinge auf dem Schiff einquartieren will, vom juristisch erzwungenen Stopp hält, das fasste der stellvertretende Parteivorsitzende der Konservativen, Lee Anderson, in einem Interview mit dem «Express» so zusammen: «Wenn sie (die Flüchtlinge, Anm. d. Red.) Lastschiffe nicht mögen, dann sollen sie doch zurück nach Frankreich.» Wörtlich sagte Anderson: «... then they should fuck off back to France».
Lee Anderson gilt nicht gerade als Feingeist, spätestens seit ihn Premierminister Sunak aber zum stellvertretenden Parteichef machte, hält er eine wichtige Position bei den Tories. Seine Rhetorik kommt bei den Parteimitgliedern überwiegend gut an – allerdings nur dort. Nicht zuletzt die Opposition kritisierte Andersons neuerliche Entgleisung scharf.
Alex Chalk, der Justizminister, verteidigte Anderson allerdings, er habe zwar womöglich eine etwas zu deftige Sprache benutzt, jedoch «einen guten Punkt» angesprochen. Ja, Anderson habe «die berechtigte Empörung der britischen Bevölkerung» artikuliert, sagte Chalk. Ein Sprecher von Downing Street fügte noch an, Chalk habe in Bezug auf Andersons Kommentar für die Regierung gesprochen.
Eigentlich hat Grossbritannien ganz andere Probleme
Die Sache mit der Bibby Stockholm steht nun symptomatisch für die Migrationspolitik der Tories. Während das Land an der höchsten Inflation aller G-7-Staaten, steigender Armut und einem zunehmend überforderten Gesundheitssystem leidet, betonen Sunak und Braverman noch immer regelmässig, wie wichtig die Mission «Stop the Boats» sei, also das Verhindern, dass jede Woche ein paar Hundert Flüchtlinge aus Frankreich in Schlauchbooten nach England fliehen. Unter dem neuen Migrationsgesetz, das höchstwahrscheinlich gegen die Menschenrechtskonvention der UNO verstösst, kann die Regierung auf diese Weise Geflüchtete automatisch als illegal einstufen und abschieben.
Das eigentliche Problem, den bürokratischen Rückstau bei den Asylanträgen, löst das Gesetz allerdings nicht. Derzeit warten rund 166’000 Antragsteller auf einen Bescheid. Die Zahl schoss, wie der Thinktank Institute for Government ausrechnete, seit Dezember 2017 um mehr als 400 Prozent nach oben, obwohl die Zahl der Asylanträge «nur» um 160 Prozent stieg. Als Gründe gelten insbesondere die teils ausufernde Bürokratie nach dem Brexit, aber auch die schlechte personelle Ausstattung der entsprechenden Behörden.
Weil aber auf der Insel der Platz für die Flüchtlinge zu fehlen scheint, brachte die Regierung viele von ihnen in Hotels unter. Das wiederum verursacht nicht nur erhebliche Kosten – die Rede ist von umgerechnet insgesamt 6,2 Millionen Franken täglich –, sondern ist auch den konservativen Stammwählern schwer vermittelbar.
«Frachtschiff» klingt besser als «Hotel»
Im April entschied die Regierung daher, auf das Lastschiff Bibby Stockholm zurückzugreifen: Rund 500 Geflüchtete sollen auf dem alten Frachtschiff einquartiert werden. Die Kosten dafür sind, wie der «Guardian» ausrechnete, zwar kaum geringer, politisch aber klingt «Frachtschiff» eben doch besser als «Hotel».
Die Bibby Stockholm, 90 Meter lang und 27 Meter breit, hat eine bewegte Geschichte: 1976 wurde sie in Holland gebaut, 1992 vom Frachtschiff in ein Schiff mit Wohncontainern umgewandelt. In den 1990ern lag sie in Hamburg, mehr als 50 Obdachlose waren damals dort vorübergehend untergebracht. In den 2000er-Jahren ankerte die Bibby Stockholm in Rotterdam, um Asylsuchende unterzubringen. 2008 starb ein Flüchtling auf dem Schiff an Herzversagen, schuld soll laut einem Jahre später veröffentlichten Untersuchungsbericht damals auch die schlechte medizinische Versorgung auf dem Schiff gewesen sein.
Später wurde das Schiff von einer Firma in Schottland genutzt, um Arbeiter unterzubringen, einige von ihnen kritisierten menschenunwürdige Zustände an Bord. In den vergangenen Jahren stand das Schiff leer – bis sich irgendjemand in der britischen Regierung an die Bibby Stockholm erinnerte. Der Vertrag mit dem Eigentümer, der britischen Firma Bibby Line, läuft zunächst für 18 Monate.
Anfang Juli schrieben mehr als 50 britische Flüchtlingsorganisationen einen offenen Brief an Bibby Line. Darin forderten sie die Firma nicht nur auf, die problematische Vergangenheit ihres Gründers John Bibby – dem Verbindungen zum Sklavenhandel im frühen 19. Jahrhundert vorgeworfen werden – offenzulegen, sondern auch zu verhindern, dass auf ihren Schiffen Geflüchtete untergebracht werden.
«Wie in vielen britischen Gefängnissen»
«Menschen auf einem Containerschiff einzuquartieren, die traumatische Erlebnisse insbesondere auf Schiffen hinter sich haben, ist nach unserer Ansicht grausam und unmenschlich», heisst es in dem Brief. Und: Dass die britische Regierung vorhabe, in den für eine Person ausgelegten Kabinen zwei Personen unterzubringen, das sei «wie in vielen britischen Gefängnissen».
Vergangene Woche schrieb auch die Gewerkschaft der Feuerwehr, die FBU, einen Brief, und zwar an Innenministerin Suella Braverman. 500 Menschen auf einem Schiff zusammenzupferchen, dessen Wohncontainer für etwas mehr als 200 ausgelegt seien, das sei «ein ernst zu nehmendes Risiko», weshalb man um ein Treffen mit ihr bitte. Die FBU befürchtet eine «Tragödie», sollte die Regierung tatsächlich wie angekündigt Flüchtlinge ohne weitere Sicherheitsmassnahmen dort unterbringen. Eine Antwort hat die FBU bislang nicht erhalten.
Wie ernst die britische Regierung die Kritik von Menschenrechtlern oder Feuerwehrleuten nimmt, das drückte ohnehin schon Oliver Dowden aus, stellvertretender Premierminister. In einem Interview mit der BBC sagte Dowden vor ein paar Tagen, das Schiff sei «bereit», der Plan werde wie vorgesehen ungesetzt. Und: Die FBU kritisiere das Vorgehen der Regierung doch nur, weil sie mit der Labour-Partei unter einer Decke stecke.
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