Haustiere auf der FluchtUkrainische Hunde und Katzen müssen gemeldet werden
Auf der Flucht vor der humanitären Katastrophe bringen Menschen aus der Ukraine auch ihre Haustiere mit. Dabei geht oft vergessen, dass die Haustiere gemeldet werden müssen. Denn die Ukraine ist ein Tollwut-Risikogebiet.
Das Haus, in dem Nadia Denisova im umkämpften Hostomel nahe Kiew gelebt hat, ist zerbombt. Ihre Flucht aus dem Heimatland Ukraine führt im Auto mit anderen Personen durch Rumänien, Ungarn, Österreich und Deutschland in die Schweiz. Mit dabei sind ihre Tochter Melania, etwas Gepäck und die Katze Kleopatra. Ihren Mann und ihre Eltern musste Nadia Denisova zurücklassen.
Seit zwei Wochen befindet sie sich in der Schweiz und wohnt nun bei einer Schweizer Familie im Kanton Zürich. Neben verschiedenen anderen Formalitäten hat sie auch die Einreise ihrer Katze gemeldet, nachdem sie darauf aufmerksam gemacht wurde, dass dies Pflicht ist.
Noch nie so viele meldepflichtige Haustiere
Nadia Denisova ist nicht die Einzige, die auf der Flucht vor dem Krieg ihr Haustier mitgenommen hat. «Wir befinden uns in einer Ausnahmesituation. Dass so viele Haustiere in die Schweiz einreisen, welche die Einfuhrbedingungen nicht erfüllen, ist bisher noch nie vorgekommen», sagt Erik Fröhlicher, Leiter Import und Export beim Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen. Der Grund ist offenkundig: Flüchtlinge aus der Ukraine bringen ihre Haustiere mit in die Schweiz.
Seit Kriegsbeginn hat das Bundesamt mehr als 500 Katzen und Hunde aus der Ukraine registriert (Stand: 23. März). Laut Fröhlicher kommen täglich rund fünfzig weitere hinzu. Dabei gibt es eine Dunkelziffer in unbekannter Höhe.
In der Ukraine besteht ein gewisses Risiko, dass sich Tiere mit Tollwut infizieren – eine Seuche, die auf Menschen übertragbar ist und in der Schweiz vor mehr als zwanzig Jahren ausgerottet werden konnte. Eine Infektion führt neben Schluckbeschwerden und vermehrtem Speichelausfluss zu Hyperaktivität. Wildtiere verlieren ihre Scheu und beissen häufig zu. Die Krankheit führt nach wenigen Tagen zum Tod.
Meldeformular auf Ukrainisch
Unter den Haustieren sind Katzen und Hunde gefährdet. Diese müssen dem Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen gemeldet werden. Ein Meldeformular steht auf dessen Internetseite in den Sprachen Englisch, Ukrainisch und Russisch zum Download bereit. Aufgrund der hohen Dringlichkeit wurde das Formular «quasi über Nacht» erstellt, wie Fröhlicher erzählt.
Entscheidend ist, dass die Behörde den Aufenthaltsort des Haustiers kennt. Neben dieser Adresse werden Telefonnummer und Mailadresse der Besitzerin oder des Besitzers benötigt. Denn der zuständige Tierarzt muss mit den verantwortlichen Personen Kontakt aufnehmen können. Andere Haustiere wie Vögel, Hamster oder Reptilien sind von diesen Vorkehrungen gegen die Verbreitung von Tollwut nicht betroffen.
Als Grund für die Meldepflicht nennt Fröhlicher die Rückverfolgbarkeit: Die Behörden müssen wissen, wo sich die Haustiere aus der Ukraine befinden. So könnten sie im Fall einer Infektion Vorkehrungen treffen, damit sich die Tollwut nicht ausbreitet.
«Streng genommen wäre für ungeimpfte Katzen und Hunde nach der Einreise in die Schweiz eine Quarantäne von bis zu vier Monaten möglich», sagt Samuel Furrer, Zoologe beim Schweizer Tierschutz. Dieser fordert aber, dass Tiere und Halter wenn immer möglich zusammenbleiben können.
Zuständig für Quarantäne-Entscheide sind die kantonalen Veterinärämter. Sie setzen Tierärztinnen und -ärzte ein, die jeweils vor Ort entscheiden. Aufgrund der akuten Situation hat sich aber der Bund als Koordinator eingeschaltet. Die Fäden laufen bei Erik Fröhlicher zusammen. «Ziel der Koordination ist, dass wir in der ganzen Schweiz gleich vorgehen und dieselben Massnahmen umsetzen», sagt er.
Quarantäne zu Hause statt im Tierheim
Wie Fröhlicher einräumt, wären die Kapazitäten in Tierheimen rasch erschöpft, wenn die externe Quarantäne konsequent umgesetzt würde. Aufgrund der akuten Situation hat das Bundesamt nun entschieden, auf eine Isolation im Tierheim zu verzichten.
Stattdessen gibt es eine «Quarantäne à domicile». Das bedeutet, dass die Katze oder der Hund bei der Besitzerin oder dem Besitzer bleiben darf. Diese müssen aber Vorsichtsmassnahmen einhalten, die das Bundesamt auf einem Merkblatt beschreibt. Dazu zählt, dass der Hund stets an der Leine zu führen ist, die Katze nicht aus dem Haus darf und die Tiere grundsätzlich stets beaufsichtigt sein müssen.
Fachleute der kantonalen Behörden entscheiden im Einzelfall, ob allenfalls auf diese Vorkehrungen verzichtet werden kann. Neben Hinweisen auf den Impfstatus der Haustiere spielt auch eine Rolle, ob sie gechipt sind oder nicht.
Und falls bei einer Unterbringung in Asylunterkünften Haustiere nicht erlaubt sind, kann allenfalls der Schweizer Tierschutz professionell geführte Pflegeplätze zur Verfügung stellen.
Nach bisherigen Erfahrungen haben die Ukrainerinnen und Ukrainer in der Schweiz viel Verständnis für die Tierseuchenvorschriften im Zusammenhang mit Tollwut. «Diese Sensibilität fehlt oft bei jüngeren Schweizerinnen und Schweizern, die nicht mit der Tollwut aufgewachsen sind», sagt Fröhlicher. Die Covid-19-Pandemie dürfte allerdings auch bei vielen jüngeren Menschen das Bewusstsein für Seuchenrisiken schärfen.
Bussen sind kein Thema
Bei Missachtung der Meldepflicht für Haustiere aus einem Tollwut-Risikogebiet droht eigentlich eine Busse. Doch für Fröhlicher ist klar, dass das kein Thema sein kann, wenn Menschen wegen eines Krieges und einer humanitären Katastrophe ihre Heimat Hals über Kopf verlassen müssen.
Betroffene werden in Bundesempfangszentren und vereinzelt auch beim Grenzübertritt informiert. Doch viele, die mit dem Zug oder dem Auto einreisen, erfahren gar nichts von der Meldepflicht. Erik Fröhlicher betont, dass es angesichts der Krisensituation nicht das Ziel sein dürfe, auf Betroffene weiteren Druck auszuüben: «Wir wollen Ukrainerinnen und Ukrainer vor allem dafür sensibilisieren, dass sie mit ihren Haustieren vorübergehend einige Vorsichtsmassnahmen treffen.»
Fröhlicher weiss auch von Falschinformationen, die im Umlauf sind. So befürchten manche, dass ihnen die Haustiere weggenommen und getötet werden. Das dementiert er mit Nachdruck: «Im schlimmsten Fall kommen Hunde und Katzen vorübergehend in Isolation in einem Tierheim – aber alle Haustiere kommen wohlbehalten zurück zu ihren Besitzerinnen und Besitzern.»
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