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Freisinn gegen Die Mitte
Ausgebremst, überholt – die Krise von Thierry Burkarts FDP wird noch grösser

Thierry Burkart, Parteipraesident FDP, kommt ins Bundeshaus am Wahltag der Eidgenoessischen Parlamentswahlen, am Sonntag, 22. Oktober 2023 im Bundeshaus in Bern. Die Schweizer Buergerinnen und Buerger waehlen das Bundesparlament mit den beiden Kammern Nationalrat und Staenderat. (KEYSTONE/Peter Klaunzer)
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Da war kein Knall, keine Fanfare, kein Gong. Die FDP verlor leise an diesem Sonntag. Sie schlich in ihr Verderben.

Hochrechnung 1: Nur ruhig, noch ist alles möglich, Die Mitte nur einen Hauch voraus. 

Hochrechnung 2: Ha! Es ist tatsächlich noch alles möglich. Mitte und FDP gleichauf. 

Hochrechnung 3: Wir schaffen das. Wir schaffen das! 

Dann wurde es 22.30 Uhr. Der Redaktionsschluss war bei vielen Zeitungen bereits vorüber, als endlich auch der Kanton Bern sein Resultat bekannt gab und aus diesen Wahlen historische Wahlen machte: Zum ersten Mal überholt Die Mitte, die frühere CVP, die FDP bei den Sitzen im Nationalrat. 29 für Die Mitte, nur noch 28 für die FDP. 

Dann ging es gegen Mitternacht. Die meisten Wählerinnen und Wähler waren bereits im Bett (die Journalisten ebenso), als das Bundesamt für Statistik endlich die amtlichen Wähleranteile vermeldete: 14,6 Prozent für Die Mitte, 14,4 Prozent für die FDP. 

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Und damit fing es erst an. Denn jetzt kommt es für die FDP noch schlimmer. 

Seit Sonntagnacht klammert sich die FDP-Spitze an einen letzten Strohhalm. Schon als sich die mögliche Niederlage vor der Wahl abzeichnete, rückte die FDP den Ständerat in den Vordergrund. Ende August schrieb FDP-Chef Thierry Burkart auf Twitter: «Wir haben gute Chancen, stärkste Gruppe im Ständerat zu werden.»

Letzte Hoffnungen

Am Sonntag hat sich die FDP neun und Die Mitte zehn Ständeratssitze definitiv gesichert, in neun Kantonen kommt es zu zweiten Wahlgängen. Am Montag und Dienstag klärte sich nun, welche Kandidierenden überhaupt antreten. Und diese Vorentscheide machen klar: Die FDP hat keine Chance mehr, Die Mitte im Ständerat zu überholen.

  • Zürich: Am Dienstag zog sich die FDP-Kandidatin Regine Sauter zurück. Damit verliert der Freisinn seinen Ständeratssitz in seiner einstigen Hochburg definitiv.

  • Solothurn: Mit diesem Sitz hatte die FDP fest gerechnet. Doch ihr Kandidat, Regierungsrat Remo Ankli, enttäuschte und erreichte nur Rang vier – hinter den Kandidaten von Mitte, SP und SVP. Franziska Roth (SP) und Christian Imark (SVP) treten zum zweiten Wahlgang an, Ankli hat sich am Dienstagabend zurückgezogen.

  • Schaffhausen: FDP-Kandidatin Nina Schärer wurde lediglich vierte – und verkündete trotzdem, dass sie zum zweiten Wahlgang antreten werde gegen Thomas Minder und Simon Stocker von der SP. Tags darauf verkündete die SVP, dass sie den parteilosen Thomas Minder unterstützen werde. Am Mittwochmorgen zog sich die FDP-Kandidatin Schärer zurück.

  • Genf: Auch hier zieht sich die FDP-Kandidatin, Simone de Montmollin, zurück.

  • Wallis: Philippe Nantermod geht für die FDP zwar in den zweiten Wahlgang, gilt aber als praktisch chancenlos.

  • Waadt: Hier hat die FDP gute Chancen: Pascal Broulis geht als Favorit in den zweiten Wahlgang gegen den Grünen Raphaël Mahaim.

  • Freiburg: Die amtierende FDP-Ständerätin Johanna Gapany geht favorisiert gegen die SP-Kandidatin Alizée Rey in den zweiten Wahlgang. Pierre-André Page von der SVP war Gapany im ersten Wahlgang dicht auf den Fersen, zog sich aber am Dienstagabend zurück.

  • Tessin: Auch hier hat die FDP fest mit einem Sitz gerechnet. Doch ihr Kandidat Alex Farinelli kam nur auf Platz drei, hinter Marco Chiesa (SVP) und Fabio Regazzi (Mitte). Ob Farinelli Regazzi im zweiten Wahlgang noch überholen kann? 50:50, sagen Tessiner Beobachter.

Realistisch ist also, dass die FDP in der Waadt und in Freiburg noch zwei Sitze holt. Im besten Fall (wenn sie auch im Tessin gewinnt) kommt sie auf 12 Sitze. Mehr liegt nicht drin.

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Die Mitte dagegen holt mindestens noch drei Sitze: Im Wallis ist die Wiederwahl von Marianne Maret und Beat Rieder praktisch sicher, ebenso das Freiburger Mandat von Isabelle Chassot. Im allerbesten Fall holt Fabio Regazzi auch noch den Sitz im Tessin und Marianne Binder jenen im Aargau. Das heisst: mindestens 13 und bestenfalls 15 Sitze für Die Mitte.

«Die FDP hält an der bewährten Zauberformel fest, die für die grössten Parteien zwei Sitze vorsieht.»

Interne Mitteilung vom 3. Oktober

Der dreifache Sieg für Die Mitte beim Wähleranteil, bei den National- und den Ständeratssitzen ist auch für die Zusammensetzung des Bundesrats relevant. Denn die FDP-Spitze predigt seit Jahren die alte Zauberformel: zwei Sitze für die drei grössten Parteien, ein Sitz für die viertgrösste. Noch am 3. Oktober diktierte das FDP-Generalsekretariat seinen Politikern in einer internen Mitteilung die geltende Sprachregelung: «Die FDP hält an der bewährten Zauberformel fest, die für die grössten Parteien zwei Sitze vorsieht.»

Nachdem die FDP nun nach allen drei denkbaren Kriterien hinter Die Mitte zurückfällt, ist die FDP definitiv nur noch die Nummer 4. Sie müsste darum gemäss eigener Lesart einen Bundesratssitz abgeben. (Lesen Sie dazu unsere Analyse zur Mitte-Partei: Der Coup des Gerhard Pfister)

Der Chef ist verunsichert

FDP-Präsident Thierry Burkart ist entsprechend verunsichert: Er liess sondieren, wie potenzielle Kritikerinnen und Kritiker aus der Bundeshausfraktion seinem weiteren Engagement als Parteipräsident gegenüber eingestellt sind. Auf diversen Kanälen wurde ermittelt, wer am Tag nach dem schlechtesten FDP-Resultat aller Zeiten überhaupt noch hinter FDP-Präsident Thierry Burkart steht.

Offene Rücktrittsforderungen sind dabei ausgeblieben, niemand scheint das arbeitsintensive Parteipräsidium übernehmen zu wollen. Dennoch ist die Kritik gross, wie in einem halben Dutzend vertraulichen Gesprächen zu hören ist. 

Ein Kritikpunkt betrifft das Ego des FDP-Präsidenten, der sich selbst nur im besten Licht präsentiere. In praktisch jedem Briefing, das Parlamentsmitglieder, Kantonalpräsidenten und Schlüsselpersonen der Freisinnigen im 14-Tages-Rhythmus erhalten, wurde vor den Wahlen betont, dass Burkart gemäss Umfragen beliebtester Parteipräsident im ganzen Lande sei.

Der kontinuierliche Niedergang der Partei wurde derweil lediglich als «bedauerliche Momentaufnahme» bezeichnet. Entsprechende parteiinterne Briefings liegen dieser Zeitung vor. Diese Briefings kommen direkt aus dem FDP-Generalsekretariat und beinhalten kurze Beurteilungen der innenpolitischen Lage. Darauf folgen Empfehlungen, wie sich FDP-Kandidierende in der Öffentlichkeit zu äussern haben.

FDP-Politiker werfen dem Präsidenten schlechte Führung vor – gegen innen und gegen aussen.

In den Wochen vor den Wahlen wurden die FDP-Exponenten angewiesen, gegen aussen zu betonen, der Abwärtstrend sei der wechselnden Themenlage geschuldet. «Wir sind enttäuscht über die Momentanalyse», sollten die Kandidierenden auf Anfrage sagen.

Nach den Verlusten vom Sonntag werfen FDP-Politiker dem eigenen Präsidenten nun schlechte Führung vor – und zwar gegen innen und gegen aussen. Sämtliche Themenbereiche seien von den anderen Parteien besetzt worden. Asyl und Migration von der SVP; Inflation, steigende Kosten und Soziales von der SP; Klima von den Grünen.

Burkart hat noch Freunde

Trotz der Niederlage, trotz der anonymen Kritik: Burkart, der für diese Redaktion trotz mehreren Versuchen nicht erreichbar war, hat auch prominente Unterstützer. Zu ihnen gehört etwa Parteivize und Ständerat Andrea Caroni (AR). Die Frage einer Alternative zu FDP-Präsident Burkart stelle sich nicht, sagt er. «Thierry Burkart hat alles gegeben und dabei grandiose Arbeit geleistet.» Er kenne niemanden, der es besser gemacht hätte, und er sehe auch nichts, was der Präsident hätte besser machen können, sagt Caroni. Denn die Themenkonjunktur könne kein Parteipräsident bestimmen.

Der Appenzeller Ständerat hatte es übrigens noch am Wahltag selber nicht für möglich gehalten, dass seine Partei tatsächlich von der Mitte überholt werden könnte. 

Er hat sich getäuscht. Wie so viele.

Die ursprüngliche Version des Artikels wurde nach dem Rückzug des SVP-Kandidaten in Freiburg und der FDP-Kandidatin in Schaffhausen zweimal aktualisiert.