Vergewaltigungsprozess in AvignonStaatsanwaltschaft zerlegt die Aussagen der fünfzig Mitangeklagten
Im Prozess gegen den Serienvergewaltiger Dominique Pelicot werden zum Teil hohe Haftstrafen gegen die Mitangeklagten gefordert. Mildernde Umstände? Kaum.
An der alten Stadtmauer von Avignon, gleich gegenüber vom Gericht, hängt ein Spruchband, feministische Vereinigungen haben es da angebracht. Darauf steht in Versalschrift, schwarz auf weiss: «20 ans pour chacun», zwanzig Jahre für jeden. Mehr Erklärung braucht es dazu nicht.
Seit Beginn des grossen Vergewaltigungsprozesses, der da in der «Cour criminelle départementale du Vaucluse» verhandelt wird, wissen die Franzosen, welches maximale Strafmass auf «schwere Vergewaltigung» steht – auf jener Art von Verbrechen also, das Gisèle Pelicot während fast zehn Jahren, von 2011 bis 2020, zweihundert Mal erlitten hat. Ohne es zu wissen, weil ihr damaliger Ehemann sie betäubt hatte, bevor er sie anderen Männern anbot.
Die zwei Ausnahmen im Fall Pelicot
Gegen Dominique Pelicot, den geständigen Hauptangeklagten, mittlerweile 72 Jahre alt, hat die Staatsanwaltschaft das volle Strafmass gefordert, ebendiese zwanzig Jahre, und das war absehbar gewesen. Gegen die fünfzig Mitangeklagten im Prozess sind je unterschiedliche Strafen gefordert, es gibt ja schliesslich keine Kollektivstrafen.
Zwei Männer fallen aus dem Schema: Jean-Pierre M., 63 Jahre alt, hat sich nie an Gisèle Pelicot vergangen; er wandte aber denselben Betäubungsmodus mit denselben Medikamenten und derselben Dosierung bei seiner eigenen Frau an und bot sie Dominique Pelicot zur Vergewaltigung an, mindestens viermal. Er soll für siebzehn Jahre ins Gefängnis müssen. Joseph C. (69) war zwar im Schlafzimmer der Pelicots in Mazan, berührte Gisèle Pelicot auch, zog sich dann aber zurück. Gegen ihn sind vier Jahre Haft gefordert.
Einverständnis durch Prokura?
Für die meisten anderen Mitangeklagten, die Dominique Pelicot allesamt auf der Internetplattform «Coco» angeworben hatte, forderte die Anklage zehn und mehr Jahre Haft. Staatsanwältin Laure Chabot dekonstruierte die Argumente, die die Männer und ihre Anwälte während der elf Wochen Verhandlungen vorgebracht hatten, um mit einer möglichst kurzen Strafe davonzukommen.
So haben viele behauptet, sie hätten keine Absicht gehabt, Gisèle Pelicot zu vergewaltigen, sie seien von deren Einverständnis ausgegangen. Anklägerin Chabot sagte, die Männer hätten, wenn sie denn tatsächlich unwissend nach Mazan gefahren seien, spätestens vor dem Bett mit der ganz offensichtlich schlafenden, reglosen Frau Bescheid wissen müssen. «Nichts an ihr signalisierte, dass sie einverstanden war.» Sie sei näher am Koma gewesen als am Schlaf, sagte Chabot.
Manche Angeklagten hatten im Zeugenstand auch beteuert, sie hätten das Eingeständnis vorausgesetzt, weil ja der Ehemann sie eingeladen habe. Einverständnis per Prokura des Mannes? Dieses Denken komme aus dem Mittelalter, sagte Chabot. Andere wiederum behaupteten, sie hätten sich vor Dominique Pelicot gefürchtet, dieser habe sie wie «ein Dirigent» manipuliert. «Der Einfluss wird übertrieben», sagte Chabot. «Jeder konnte selber entscheiden und sich aus der Situation befreien. Doch alle sind geblieben.»
In dem Prozess wurden Videos gezeigt, auf denen man die Taten sieht, unverpixelt. Die Männer wurden von Dominique Pelicot immer wieder zur Vorsicht angehalten, seine Frau dürfe nicht aufwachen. In den Chats vor der Vergewaltigung, die dem Gericht ebenfalls vorliegen, war nicht von Sexspielen und Swingerpartys die Rede, wie es die Mitangeklagten behaupteten, sondern von «Schlafmitteln», mit denen Gisèle Pelicot «geshootet» sein würde, und von «Missbrauch».
Zwölf Jahre für den Dorfelektriker
Auch Patrice N., 55 Jahre alt, Dorfelektriker, hatte behauptet, er sei von einem Sexspiel mit einem Paar ausgegangen. Als ihm Dominique Pelicot danach eröffnet habe, dass er seine Frau auch schon auf Autobahnraststätten sediert und Lastwagenfahrern ausgeliefert habe, habe er ihn «einen Kranken» genannt und sei gegangen. Diese Präzisierung war ihm wichtig. Zur Polizei ging er allerdings nicht, das tat keiner der Angeklagten. Gegen Patrice N., der seine Version im Verlauf des Verfahrens immer wieder geändert hatte, stellte die Staatsanwaltschaft einen Antrag auf zwölf Jahre Haft.
Nach der Anklage ist die Verteidigung dran. Als Erste wird Béatrice Zavarro plädieren, die Anwältin von Dominique Pelicot, dann alle anderen. Die Urteile werden kurz vor Weihnachten verkündet, wieder jedes einzeln, verteilt auf vier Tage.
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