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Eveline Widmer-Schlumpf im Interview
«Mit der 13. AHV-Rente sind die Probleme nicht gelöst»

Porträt von Eveline Widmer-Schlumpf.
31.05.2024
(URS JAUDAS/TAGES-ANZEIGER)
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Einst verdrängte sie Christoph Blocher im Bundesrat und wirkte acht Jahre lang als Justiz- und Finanzministerin. Nun präsidiert Eveline Widmer-Schlumpf die wichtigste Organisation für alte Menschen in der Schweiz, Pro Senectute. Dennoch hat sie sich weder vor noch nach der Abstimmung zur 13. AHV-Rente geäussert. Bis heute. Nun erklärt sie, was der historische Entscheid den Seniorinnen und Senioren bringt. Wo er nicht hilft. Und wie sie die hohen Krankenkassenprämien dämpfen will.

Frau Widmer-Schlumpf, am kommenden Wochenende stimmen wir über die Prämienentlastungsinitiative ab. Unsere Umfrage zeigt, dass das Begehren vor allem bei den Seniorinnen und Senioren gut ankommt. Spricht sich auch Pro Senectute dafür aus?

Die hohen Krankenkassenprämien belasten sowohl die Jüngeren als auch die Älteren. Dies betrifft nicht speziell die Seniorinnen und Senioren. Deshalb geben wir zur Prämienentlastungs- und zur Kostenbremseinitiative keine Empfehlung ab.

Gemäss der Umfrage wollen 56 Prozent der über 65-Jährigen die Prämienlast deckeln. Über alle Altersklassen hinweg sind es 50 Prozent. Ist die Sorge über die hohen Krankenkassenprämien bei Pro Senectute ein grosses Thema?

Die Prämienlast ist immer wieder ein Thema in unseren Beratungen. Besonders schwierig ist es für den unteren Mittelstand, der keine Ergänzungsleistungen erhält und damit auch nicht automatisch Prämienverbilligungen. Längerfristig lösen wir das Problem nur, wenn wir die Kosten und damit die Prämien dämpfen.

Wie?

Die Massnahmen sind bekannt, man müsste sie umsetzen. Man könnte zum Beispiel bei den Labors und den medizinischen Hilfsmitteln die Preise anpassen. Auch bei den Medikamenten liesse sich viel mehr machen. Etwa indem man Generika statt Originalmedikamente konsequent einsetzt. Oder indem man beispielsweise erlaubt, auch die im Ausland eingekauften günstigeren Medikamente über die Krankenkassen abzurechnen. Weiter könnte man auch bei den hohen Salären der Krankenkassenkader genau hinschauen. Aber es hat immer jemand ein Interesse, solche Massnahmen zu verhindern.

Werden Sie persönlich die Prämienentlastungsinitiative ablehnen?

Das behalte ich für mich, wie immer.

«Die 13. AHV-Rente erhalten auch viele, die sie nicht nötig haben.»

Eveline Widmer-Schlumpf

Bereits bei der 13. AHV-Rente haben Sie und Pro Senectute geschwiegen, obwohl es eindeutig um ein Anliegen der älteren Bevölkerung ging. Warum?

Wir haben bei Pro Senectute intensiv darüber diskutiert und gesehen, dass die Meinungen auseinandergehen. Im Grundsatz waren wir uns einig, dass die heutigen Ergänzungsleistungen nicht genügen, um die Altersarmut zu bekämpfen. Einige kantonale Pro-Senectute-Organisationen vertraten die Meinung, mit der 13. AHV-Rente würden wir wenigstens einmal eine Verbesserung für einen Teil der Betroffenen erreichen. Andere wollten die Mittel lieber gezielt einsetzen, beispielsweise bei den Ergänzungsleistungen und den individuellen Finanzhilfen. Die 13. AHV-Rente erhalten ja auch viele, die sie nicht nötig haben. Deshalb hat Pro Senectute auf eine Abstimmungsempfehlung verzichtet.

Haben Sie sich als ehemalige Finanzministerin auch um die Bundesfinanzen gesorgt?

Sicher. Aber auch Pro Senectute setzt sich seit ihrer Gründung dafür ein, dass man einander über die Generationen hinweg hilft. Entsprechend sollten wir der nächsten und der übernächsten Generation keine zu grossen Lasten hinterlassen, die sie nicht tragen können.

Beim Brief der Alt-Bundesräte haben Sie aber nicht mitgemacht. Warum nicht?

Als Präsidentin von Pro Senectute hatte ich eine andere Rolle.

War der Brief eine schlechte Idee?

Meine Unterschrift war nicht auf dem Brief.

Porträt von Eveline Widmer-Schlumpf.
31.05.2024
(URS JAUDAS/TAGES-ANZEIGER)

Sind die finanziellen Probleme der Seniorinnen und Senioren dank der 13. AHV-Rente gelöst?

Für einen Teil wird sich die Situation tatsächlich verbessern. Es werden aber immer noch schätzungsweise 50’000 bis 100’000 Betroffene sein, die nicht ohne verstärkte Ergänzungsleistungen auskommen.

Wo sehen Sie denn noch Lücken?

Die Lebenshaltungskosten, insbesondere die Energie- und Mietkosten, sind in den letzten Jahren stark gestiegen, ohne dass dies hinreichend berücksichtigt wurde. Hier bräuchte es eine automatische Anpassung. Hundert Franken Mehrkosten pro Monat machen für Ergänzungsleistungsbezüger sehr viel aus.

Hat Ihr Ruf nach zusätzlichem Geld politisch Chancen, nachdem bereits die 13. AHV-Rente rund fünf Milliarden Franken kostet?

Das macht es uns sicher nicht einfacher. Der Handlungsbedarf ist aber vor der Abstimmung auch von bürgerlicher Seite anerkannt worden und war unumstritten. Wir werden die Politikerinnen und Politiker sicher bei Bedarf daran erinnern. Mit der 13. AHV-Rente sind die Probleme nicht gelöst. Die Zahl der Hilfsbedürftigen wird sich zwar verringern, aber sie ist immer noch zu gross.

Viele ältere Menschen wissen gar nicht, dass sie Ergänzungsleistungen beziehen können. Werden sie schlecht informiert?

Wir haben vorgeschlagen, die Betroffenen beim Zustellen der Steuerunterlagen darauf aufmerksam zu machen, dass sie Ergänzungsleistungen beantragen können. Gewisse Stellen machen dies bereits sehr vorbildlich.

Wäre das nicht auch Aufgabe von Pro Senectute?

Wir unternehmen diesbezüglich bereits grosse Anstrengungen und beraten viele Seniorinnen und Senioren. Die Ergänzungsleistungen sind bei unseren über 70’000 Beratungen pro Jahr ein zentraler Punkt.

Wie soll jetzt die 13. AHV-Rente finanziert werden?

Es braucht einen Mix aus verschiedenen Finanzierungsquellen. Die Kosten der 13. AHV-Rente dürfen nicht allein zulasten der erwerbstätigen Bevölkerung gehen. Auch die Älteren sollen einen Beitrag leisten.

Wird das Rentenalter steigen müssen?

Man muss es flexibler gestalten. Es gibt Leute, die schlicht nicht länger arbeiten können. Schon Rentenalter 65 ist etwa für Bauarbeiter sehr hoch. Zum anderen gibt es viele, die gut weiterarbeiten könnten – und auch wollen, wenn die Rahmenbedingungen stimmen.

Was stimmt denn nicht?

Wer im Rentenalter arbeitstätig bleibt, muss weiterhin AHV-Beiträge leisten, obwohl sich die Rente dadurch in der Regel nicht mehr erhöht. Es gibt zwar einen Freibetrag, aber dieser beträgt lediglich 1400 Franken pro Monat. Das ist zu wenig.

Welche Höhe schwebt Ihnen vor? 3000 Franken, wie es FDP-Ständerat Damian Müller vorschlägt?

Darüber muss man sicher reden. An diesem Betrag kann man sich gut orientieren.

Müssen auch die Unternehmen umdenken?

Ja, und das werden sie auch. Wir haben hier eine gute Zusammenarbeit mit dem Arbeitgeberverband. Er ist ebenfalls daran interessiert, dass die Mitarbeitenden länger im Betrieb bleiben. So lässt sich der Fachkräftemangel zum Teil lindern. Dies erfordert von den Unternehmen Flexibilität, was die Arbeitszeit und Teilzeitpensen betrifft.

Porträt von Eveline Widmer-Schlumpf.
31.05.2024
(URS JAUDAS/TAGES-ANZEIGER)

Im September stimmen wir über die Reform der beruflichen Vorsorge ab. Hat Pro Senectute dazu eine Haltung? Oder wird sie einmal mehr auf eine Parole verzichten?

Wir haben beschlossen, die Reform zu unterstützen, wenn auch nicht aktiv und nicht in einem Komitee.

Warum?

Der Systemfehler des fixen Koordinationsabzugs wird durch die Reform behoben. Dadurch werden neu auch kleinere Arbeitspensen versichert. Und für Teilzeitarbeitende bringt die Reform eine bessere Absicherung. Das hilft, um später nicht in Altersarmut zu geraten. Wichtig ist auch, dass die Altersgutschriften angepasst und vereinfacht werden. Heute müssen die Unternehmen für ältere Mitarbeitende hohe Pensionskassenbeiträge leisten. Das macht eine Anstellung weniger attraktiv. Neu würden die Beiträge über die Altersklassen stärker geglättet.

Ist die Reform nicht eine Abbauvorlage?

Wir können grundsätzlich dahinterstehen und unterstützen auch die Reduktion des Umwandlungssatzes. Es kann nicht die Zielsetzung der obligatorischen beruflichen Vorsorge sein, dass die erwerbstätige Bevölkerung die Pensionskassenrenten der Seniorinnen und Senioren im Umfang von mehreren Milliarden Franken mitfinanziert.

«Die Seniorinnen und Senioren geben auch viel zurück.»

Eveline Widmer-Schlumpf

Das Genfer Parlament hat letzte Woche beschlossen, dass Seniorinnen und Senioren für den öffentlichen Verkehr nur noch die Hälfte bezahlen müssen. Finden Sie das vorbildlich?

Das ist einerseits schön, andererseits zementiert es das Bild der bedürftigen Alten. Es kommen auch hier Personen in den Genuss der Ermässigung, die sie nicht nötig haben. Etwa 15 Prozent der Pensionierten sind tatsächlich in finanziellen Schwierigkeiten. Dem Grossteil geht es aber gut. Sie geben auch viel zurück, indem sie viel Freiwilligenarbeit leisten – in Vereinen, in der Nachbarschaft und mit dem Hüten von Enkeln. Das ist auch wirtschaftlich nicht zu vernachlässigen. Allein die Kinderbetreuung hat einen jährlichen wirtschaftlichen Wert von acht Milliarden Franken.

Machen Sie das auch?

Ja, ich hüte regelmässig Enkel. Daneben bin ich zu 40 bis 50 Prozent bei Pro Senectute tätig und engagiere mich auch in anderen Organisationen. Ich bin also immer noch gut ausgelastet und mache das gerne.

Sie sind jetzt bereits seit sieben Jahren bei Pro Senectute. Wie lange bleiben Sie noch?

Noch zwei Jahre, denn wir kennen eine Amtszeitbegrenzung von drei mal drei Jahren.

Gibt es etwas, das Sie in dieser Zeit unbedingt noch erreichen wollen?

Ich möchte noch dazu beitragen, dass alle zu Hause alt werden können, wenn sie dies möchten und dies aus gesundheitlichen Gründen möglich ist. Das ist aber für viele ein Problem, weil die Betreuung zu Hause im Gegensatz zur Pflege nicht ausreichend finanziert wird. Dieses Problem müssen wir lösen.

Und in zwei Jahren gehen Sie ein zweites Mal in Pension?

Kaum. Ich habe bereits Anfragen für andere Tätigkeiten und werde wohl das eine oder andere annehmen.