Hohe EnergiekostenEuropas letzte Antibiotika-Produktion ist in Gefahr
Die Herstellung von Penizillin braucht viel Energie. Die steigenden Preise belasten Sandoz mit ihrer Produktionsanlage. Denn: Die Firma darf ihre Medikamente nicht teurer verkaufen.
Die Energiepreise treiben auch eine Branche in die Enge, an die bislang kaum jemand gedacht hat: die Pharmaindustrie. Nun schlagen die Hersteller von Nachahmermedikamenten Alarm. Sie stellen Arzneimittel her, bei denen das Patent abgelaufen ist, der Markt spielt und die Preise entsprechend stark unter Druck stehen.
Die Kosten für Gas und Strom seien bei einigen der Produktionsanlagen in der Europäischen Union um das Zehnfache gestiegen, schreibt der Lobbyverband Medicines for Europe in einem offenen Brief an die EU. Und er warnt: «Dies droht die Medikamentenversorgung zu unterminieren.» Auch die Novartis-Tochter Sandoz gehört dem Verband an; sie ist die Marktführerin für Generika in Europa.
Der Verband fordert niedrigere Energiepreise für die Generikaindustrie. Der Staat solle hier eingreifen.
Strom für eine 300’000-Einwohner-Stadt
Am kritischsten sind die Probleme bei Medikamenten, deren Herstellung energieintensiv ist. Zum Beispiel Antibiotika. Sandoz betreibt in Österreich die letzte Antibiotika-Produktion in Europa. Der Standort verbraucht Berichten zufolge so viel Strom wie eine 300’000-Einwohner-Stadt.
Momentan arbeitet die Produktion nicht mit Verlust, wie Novartis-Sprecher Satoshi Sugimoto sagt. Novartis mag aber eine Produktionsdrosselung nicht ausschliessen: «Es gibt zurzeit keine Pläne, die Produktion zu kürzen, aber wir werden die Situation genau beobachten.»
Schon jetzt sind eine Reihe von Sandoz-Antibiotika laut der Website Drugshortage.ch nicht lieferbar. Novartis selbst ist laut dem Konzernsprecher jedoch «nach wie vor zuversichtlich», dass die Versorgung nicht gefährdet wird.
Das Problem von Sandoz und anderen Generikaherstellern: Sie können die gestiegenen Energie- und auch Rohstoffpreise nicht weitergeben. Denn sie dürfen die Medikamentenpreise nicht erhöhen, da diese staatlich gedeckelt sind. Mehr noch: Krankenkassen spielen die verschiedenen Anbieter eines Medikamentes gegeneinander aus und drücken den Preis in vielen europäischen Ländern. Bei neuen Therapien mit Patentschutz ist dies zwar auch der Fall, doch hier sind die Preise viel höher, weil es keine Konkurrenz gibt.
Bei Sandoz gibt es noch ein Spezialproblem: Novartis will sie nächstes Jahr als eigenständiges Unternehmen an die Börse bringen – ein Gewinneinbruch hilft da nicht.
Im ersten Halbjahr betrug bei Sandoz die Gewinnmarge 21,6 Prozent. Für die Pharmaindustrie ist dies niedrig, wie ein Vergleich zeigt: Bei der Novartis-Sparte mit innovativen Medikamenten beträgt die Gewinnmarge 36,6 Prozent und soll auf rund 40 Prozent steigen.
Alle entlang der Wertschöpfungskette – also Wirkstofflieferanten, Vertragshersteller, Grosshändler und Verteiler – haben ihre Preise an die gestiegenen Kosten angepasst. Nur die Generikafirmen selbst, die das Medikament auf den Markt bringen, können dies nicht. Dies berichtet ein Branchenkenner, der nicht genannt werden will, weil er als Pharmaberater arbeitet.
Immer mehr Industriezweige sind betroffen
Der Strompreis und der Zuckerpreis waren schon lange vor der Energiekrise die beiden entscheidenden Faktoren bei Sandoz in Österreich, wie ein weiterer Branchenkenner sagt. Denn die bestimmen über die Wettbewerbsfähigkeit der Herstellung von generischen Antibiotika gegenüber der Konkurrenz aus China. Betroffen sind etwa Penizilline und Cephalosporine – eine Gruppe von Antibiotika, die bei Borreliose, Hirnhautentzündungen, Atemwegs-, Harnwegs-, Haut- und Weichteilinfektionen eingesetzt werden.
Der Unterschied zwischen den Produktionskosten verschärft sich nun, weil in Asien im Gegensatz zu Europa die Strom- und Gaspreise nicht steigen.
Was als Garantie für eine hohe Versorgungssicherheit galt, wird nun zu einem Problem: Sandoz produziert die Antibiotika und andere Medikamente gegen Infektionskrankheiten weitgehend selbst. Sie kauft also keine Vorprodukte aus Asien ein und sichert so eine autarke Produktion in Europa. «Insbesondere bei den Antibiotika bedeutet dies jedoch, dass auch wir in erheblichem Masse von den aktuellen Markttrends betroffen sind», sagt Novartis-Sprecherin Anna Schäfers. Sprich: Die hohen Energiekosten treffen Sandoz auch bei den Ausgangsstoffen voll.
Chemieriesen wie BASF haben bereits die europäische Düngemittel- und Harnstoff-Produktion heruntergefahren, die besonders gas- und energieintensiv ist. «Das Problem weitet sich nun flächendeckend auf andere Industriezweige aus», sagt Stefan Schmidinger, Chefökonom der Schweizer Handels- und Informationsplattform Kemiex.
«In letzter Konsequenz wird dies dazu führen, dass diverse Medikamente der Grundversorgung vom Markt genommen werden müssen.»
Es können jedoch auch Details sein, die Generikaherstellern zu schaffen machen und unter denen kleine Schweizer Firmen leiden: Neben den Energiepreisen haben sich die Glasflaschen und -ampullen um 30 Prozent verteuert, berichtet die Schweizer Firma Streuli. Sie verkaufe einige ihrer Medikamente deshalb sogar mit Verlust.
«Zurzeit kostet eine Ampulle des starken Schmerzmittels Morphin 0.51 Franken. Das Bundesamt für Gesundheit verlangt nun eine Preisreduktion von über 20 Prozent. Damit können wir nicht einmal unsere Kosten decken», sagt Präsidentin Claudia Streuli. Sie warnt: «In letzter Konsequenz wird dies dazu führen, dass diverse Medikamente der Grundversorgung vom Markt genommen werden müssen.»
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