Von der Leyen ohne KabinettDas Europaparlament hat eine wichtige Chance vertan
Die EU trödelt mit ihrer Regierungsbildung. Insbesondere angesichts eines möglichen Wahlerfolgs von Donald Trump in den USA ist das verantwortungslos.

Es gibt in den USA die Tradition, dass der Senat die wichtigsten Minister eines neuen Präsidenten rasch bestätigt – selbst dann, wenn die Oppositionspartei die Parlamentskammer beherrscht. Die Logik dahinter geht so: Amerika ist eine Weltmacht, die sich nach einer Wahl kein lähmendes Interregnum leisten kann. Deswegen kann ein neuer Präsident damit rechnen, dass er schon wenige Tage nach dem Amtsantritt – laut Verfassung stets der 20. Januar – zumindest offiziell bestallte Minister für Äusseres, Verteidigung und Finanzen hat. Schaut man sich die momentan nicht so rosigen Zustände auf dem Planeten Erde an, klingt das vernünftig.
In einer weit, weit entfernten Galaxie mit dem Namen EU2024, auf einem Planeten, den Astronomen Parlamentum Europaeum nennen, ist man da entspannter. Die Schwerkraft der Realität ist dort offenbar nicht so gross. Obwohl EU-Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen schon am 18. Juli vom Europaparlament gewählt wurde, obwohl sie dort bereits am 17. September ihre 26 Kommissarinnen und Kommissare vorgestellt hat, beginnen deren Bestätigungsanhörungen erst am 4. November. Diese werden sich mindestens eine Woche hinziehen, sodass die neue EU-Kommission – immerhin die Regierungsmannschaft einer Staatenunion, die ein Fünftel der globalen Wirtschaftsleistung erbringt – frühestens am 1. Dezember ihre Arbeit aufnehmen wird.
Aber wer weiss. Es kann auch der 1. Januar 2025 werden, denn Verzögerungen sind längst nicht ausgeschlossen. Den Sozialdemokraten und Grünen zum Beispiel passt es überhaupt nicht, dass der rechtskonservative italienische Kandidat einen Posten als Vizepräsident der Kommission bekommen soll. Sie könnten ihn blockieren. Die Konservativen wiederum drohen, dann die sozialdemokratische Kandidatin aus Spanien abzusägen. Bislang jedenfalls hat es das Parlament augenscheinlich nicht sehr eilig.
Brüssel beschäftigt sich mit sich selber
Für Europa ist das nicht gut. Der bräsige Zeitplan des Parlaments wird zunächst zu der höchst peinlichen Situation führen, dass in der Woche der US-Präsidentschaftswahl vom 5. November die ganze restliche Welt nach Amerika schauen und sich mit den womöglich grundstürzenden Folgen des dortigen Urnengangs beschäftigen wird. Nur die EU wird auf die EU schauen und sich mit sich selbst beschäftigen.
Sollte Donald Trump die Wahl gewinnen, kommt es noch schlimmer. Denn Trump wird nicht den 20. Januar 2025 abwarten, bis er mit dem Regieren anfängt. Stattdessen wird er am 6. November beginnen, mittels Pressekonferenzen und Internet-Posts Weltpolitik zu machen. Er wird Dinge sagen und schreiben, die für Europa existenziell sein können. Die EU-Exekutive jedoch wird zu diesem Zeitpunkt aus zwei Dutzend Männern und Frauen bestehen, die praktisch schon in Rente sind – deren Nachfolger aber noch im Parlament herumsitzen und sich mit Fragen und Antworten beschäftigen, die oft klingen, als habe Chat-GPT sie zusammengebastelt.
Reparieren lässt sich das alles nicht mehr. Die Chance, schnell eine neue Kommission zu bestätigen, die noch vor der Wahl in Amerika ins Amt kommt, hat das Europaparlament vertan. Es trudelt lieber frei durch Raum und Zeit – völlig losgelöst.
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