EU-kritische Initiative lanciertSki-Legende, TV-Star und milliardenschwerer Unternehmer spannen zusammen
Eine ungewöhnliche Koalition will sicherstellen, dass Volk und Stände in EU-Fragen künftig das letzte Wort haben. Was treibt dieses Bündnis an?
Über kaum eine andere Frage dürfte in nächster Zeit so gestritten werden: Soll das Schweizer Stimmvolk über das mögliche neue Abkommen mit der EU abstimmen dürfen? Und wenn ja, wie? Für Kurt Aeschbacher, prominenter Fernsehmoderator und Verleger, ist dies «eine Frage des Vertrauens in die Intelligenz der Bürgerinnen und Bürger», wie er am Montag vor den Medien in Bern sagte.
Promi Aeschbacher, der im Komitee der neuen Kompass-Volksinitiative sitzt, erklärte seinen für viele wohl überraschenden Abstecher in die Politik gleich selber: «Sie werden sich ja vielleicht wundern, weshalb so ein leichtfüssiger Unterhaltungsfuzzi, wie ich es bin, sich hier einsetzt. Ich möchte mit meinem Engagement mithelfen, das einzigartige Konzept unseres Landes zu erhalten.»
Stimmvolk und Stände sollen letztes Wort haben
Die Volksinitiative «Für eine direktdemokratische und wettbewerbsfähige Schweiz – keine EU-Passivmitgliedschaft» will in der Verfassung festhalten, dass nur die eidgenössischen Räte und das Stimmvolk über neue Gesetze in der Schweiz bestimmen können. Und ganz sicher nicht: die EU. Konkret will die Initiative sicherstellen, dass bei Staatsverträgen, bei denen die Schweiz dynamisch anderes Recht übernehmen soll, das Stimmvolk und die Stände das letzte Wort haben. Weil mit diesem sogenannten obligatorischen Referendum nicht nur das Volks-, sondern auch das Ständemehr erreicht werden muss, wird die Hürde für ein Ja an der Urne höher. Ein weiteres Ziel ist wohl auch, dass das Parlament wichtige Bestimmungen aus der EU in eigene Gesetze giesst, damit diese referendumsfähig sind.
Hinter der Volksinitiative steht die Allianz Kompass Europa der drei milliardenschweren Vermögensverwalter der Partners Group, Alfred Gantner, Marcel Erni und Urs Wietlisbach.
Mittlerweile zählt die Gruppe knapp 2500 Mitglieder, wovon alleine in den letzten drei Monaten 1000 neu dazugestossen sind. Im Initiativkomitee sitzen neben Kurt Aeschbacher weitere Prominente, Politiker aus FDP und SVP sowie viele andere Unternehmerinnen und Unternehmer.
Initiativtext lässt Interpretationsspielraum
Die Initiative richtet sich klar gegen das neue institutionelle Abkommen, das der Bundesrat derzeit mit Brüssel verhandelt und bei dem es zum Beispiel darum geht, wer bei Streitigkeiten das letzte Wort hat. Dass die Initianten ihr Volksbegehren lancieren, noch bevor der Bundesrat die Verhandlungen abgeschlossen hat, ist kein Zufall. Von den laufenden Verhandlungen zwischen Bern und Brüssel halten sie nicht viel.
Erste Gespräche mit Rechtsexperten zeigen allerdings: Der Initiativtext lässt doch einigen Interpretationsspielraum zu. So sei zum Beispiel nicht klar, ob ein Ja zur Initiative zur Folge hätte, dass plötzlich auch alte Abkommen wie etwa die Schengen-Dublin-Regeln infrage gestellt würden. Allgemein liessen die Formulierungen offen, wie viele Volksabstimmungen ein Ja zur Initiative zur Folge hätte. Astrid Epiney, Europarechtsprofessorin an der Universität Freiburg, sagt es so: «Die Initiative zielt offenbar auf das derzeit vom Bundesrat angestrebte Verhandlungspaket. Sie will wohl auch etwas Stimmung gegen die EU machen, dies indem allgemein geltende rechtliche Bestimmungen in die Verfassung eingefügt werden. Doch deren rechtliche Tragweite ist unklar.»
«Wir sind sicher keine SVP»
Die Kompass-Initiative versteht sich als parteiunabhängige Bewegung, und zur SVP geht man bewusst auf Distanz. Initiant Urs Wietlisbach sagte vor den Medien: «Wir sind sicher keine SVP, die zu allem Nein sagt.» Man lege trotz allem Wert auf gute Beziehungen zur EU. So stehe man auch zu den bestehenden bilateralen Verträgen.
Trotzdem sitzt mit der Thurgauer Nationalrätin Diana Gutjahr eine prominente SVP-Frau im Initiativkomitee. Und bei der SVP selber zeigt man sich begeistert über das neue Volksbegehren. Nationalrat und Vizepräsident Thomas Matter bezeichnet dieses auf Anfrage als «super Sache». Es sei positiv, dass nun auch andere Kreise merkten, dass sich die Schweiz besser schützen müsse – es sei zwingend nötig, dass Volk und Stände über ein neues Abkommen mit der EU abstimmen könnten.
Wie sich die FDP positionieren wird, ist noch offen. Gemäss FDP-Ständerat Hans Wicki, der ebenfalls im Initiativkomitee sitzt, wird sich seine Partei erst festlegen, wenn der Bundesrat das Resultat der Verhandlungen mit der EU auf den Tisch legt.
Auch wenn der Initiativtext vor allem unter Juristen noch viel zu diskutieren geben wird, dürfte es den Initianten primär um eine andere, sehr viel politischere Diskussion gehen. Am liebsten möchten sie ein neues institutionelles Abkommen mit der EU verhindern. Die «Regulierungswut der Brüsseler Behörden» gefährdet aus ihrer Sicht das Erfolgsmodell Schweiz.
Die Interessen der Unternehmer
Das zeigt sich am Titel der Initiative («Keine EU-Passivmitgliedschaft») und das wurde auch an der Medienkonferenz deutlich. «Wir wollen nicht, dass die EU unsere Gesetze macht», sagte etwa Initiant Urs Wietlisbach. Die Standortvorteile der Schweiz würden untergraben. «In der Schweiz sind die Löhne im Schnitt 40 Prozent höher als in der EU.» Die Staatsverschuldung sei tief, die Sozialpartnerschaft etabliert, die Freiheit der Unternehmer gross. Das alles habe damit zu tun, dass in der Schweiz viel weniger reguliert und durch neue Gesetze eingeschränkt werde: «Die EU ist viermal jünger als die Schweiz, aber sie hat viermal mehr Gesetze.» Und Alfred Gantner, dessen Unternehmen Partners Group auch in der EU Angestellte beschäftigt, sagte: «Schauen Sie mal über die Grenze: Dann sehen Sie einen Deindustrialisierungsprozess, der EU schwimmen die Felle davon.»
Die Initianten zeigten sich überzeugt, dass Unternehmer in der Schweiz viel weniger von der EU abhängig seien, als dies von der Politik immer behauptet werde. Er glaube nicht daran, dass die Schweizer Wirtschaft eine stärkere Anbindung an die EU brauche, um besser wirtschaften zu können, sagte Initiant Marco Sieber, ein Industrieller im Bereich Gebäudeenergie und -technik. «Die Zukunft liegt in den asiatischen Märkten wie auch im US-Markt.» Das institutionelle Abkommen, wie es der Bundesrat anstrebe, nütze vor allem den Grosskonzernen und nicht per se allen Schweizer Unternehmern.
Über 1,5 Millionen Franken
Wo handfeste wirtschaftliche Interessen sind, da ist auch Geld. Die Kompass-Initiative beschäftigt Kommunikations- und Kampagnenprofis, in den nächsten Wochen sind in den Kantonen zahlreiche Informationsveranstaltungen geplant. Man rechne mit Ausgaben von sicher mehr als 1,5 Millionen, hiess es an der Medienkonferenz. Um sicherzugehen, dass die gesammelten Unterschriften alle echt seien, werde man zusätzliches Geld aufwerfen. Gleichzeitig weisen die Initianten den Vorwurf weit von sich, primär wirtschaftliche Eigeninteressen im Blick zu haben.
Für mehr Volksnähe dürften in der politischen Diskussion insbesondere die Prominenten aus Sport, Unterhaltung und Kultur sorgen, die sich ebenfalls für die Kompass-Initiative engagieren. Kurt Aeschbacher ist nicht allein. Auch Skilegende Bernhard Russi, der ehemalige Skiabfahrtsweltmeister Urs Lehmann, Musiker Dieter Meier und Rockmusiker Chris von Rohr sind dabei. Letzteren habe man nicht einmal angefragt, er habe sich von selbst gemeldet, hiess es an der Medienkonferenz.
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