Streit um EU-AbstimmungNur das Volk, sagen Experten – vielleicht auch die Kantone, entgegnet der Bundesrat
Laut einem Rechtsgutachten des Bundes sollte das Stimmvolk allein über die Bilateralen III entscheiden dürfen. Doch der Bundesrat schliesst nicht aus, dass die Stände mitentscheiden werden.
Das Gutachten des Bundesamtes für Justiz betrifft eine heikle Frage: die nächste EU-Abstimmung, jene über die Bilateralen III. Klar ist, dass das Stimmvolk das letzte Wort hat, wenn sich die Schweiz und die EU auf ein Vertragspaket einigen. Unklar ist, ob es nur auf die Mehrheit der Stimmenden ankommen wird – oder auch auf die Mehrheit der Stände, also der Kantone. Davon könnte der Ausgang der Abstimmung abhängen. Kommt es auch aufs Ständemehr an, ist die Hürde für ein Ja höher.
Doch ist es überhaupt eine Ermessensfrage, ob eine Vorlage dem fakultativen Referendum ohne Ständemehr unterstellt wird oder dem obligatorischen mit Ständemehr? Der Bundesrat wollte Klarheit über die rechtliche Lage und bestellte beim Bundesamt für Justiz ein Gutachten. Mit dem klaren Ergebnis waren dann aber mehrere Mitglieder unzufrieden, dem Vernehmen nach vor allem die SVP-Bundesräte sowie Karin Keller-Sutter (FDP).
Vergangene Woche stritt der Bundesrat darüber. Am Mittwoch hat er nun den Verantwortlichen einbestellt: Michael Schöll, den Direktor des Bundesamtes für Justiz (BJ). Er erklärte dem Gremium, wie das BJ zu seiner Schlussfolgerung kam. Diese lautet: Es gibt keine Verfassungsgrundlage dafür, ein Ständemehr zu verlangen. Mit anderen Worten: Rechtlich gesehen müsste der Bundesrat die Bilateralen III dem fakultativen Referendum unterstellen. In der Abstimmung würde das Volksmehr genügen.
Entscheid folgt erst später
Der Bundesrat hat das zur Kenntnis genommen und das Gutachten veröffentlicht – laut dem Justiz- und Polizeidepartement ohne Änderungen. Doch er hält sich alle Optionen offen. Über die Art der Abstimmung will er erst entscheiden, wenn das Verhandlungspaket vorliegt und für die parlamentarische Beratung bereit ist, wie er in einer Mitteilung schreibt. Der Bundesrat behält sich also vor, eine Abstimmung mit Ständemehr zu beschliessen – trotz des Gutachtens.
Klar ist laut dem BJ, dass das Vertragspaket die Kriterien aus Artikel 140 der Bundesverfassung für eine Abstimmung mit Ständemehr wahrscheinlich nicht erfüllen wird. Das Parlament hat die Kriterien dafür bei der Totalrevision der Bundesverfassung bewusst eng gefasst. Allerdings – auch das schreibt das BJ – haben die Bundesbehörden und ein Teil der Verfassungsrechtsexperten in der Vergangenheit die Auffassung vertreten, dass ein Staatsvertrag ausnahmsweise dem obligatorischen Referendum unterstellt werden kann, auch wenn die Bundesverfassung das nicht ausdrücklich vorsieht.
Keine Frage des Gutdünkens
Ob das immer noch zulässig wäre, ist aus Sicht der Bundesjuristen aber «fraglich». Das BJ argumentiert mit Volks- und Parlamentsentscheiden, die in der Zwischenzeit gefällt wurden. Dass der Bundesrat in der Vergangenheit vereinzelt Staatsverträge – etwa das Freihandelsabkommen mit der heutigen EU – dem Volk und den Ständen unterbreitete, reicht laut dem BJ jedenfalls nicht. Auch könnten sich die Behörden nicht auf Gewohnheitsrecht berufen, weil es viele Gegenbeispiele gebe. Die Grundlage müsste sich aus der Bundesverfassung ergeben.
Die Bundesjuristen kommen zum Schluss, die Frage dürfe nicht «dem Gutdünken der Bundesbehörden überlassen» werden. Für eine Abstimmung mit Ständemehr kämen nur Staatsverträge in Betracht, die Grundelemente der Bundesverfassung offenkundig aushebelten. Das Verhandlungsergebnis liege zwar noch nicht vor, doch sei nicht zu erwarten, dass es dieses Kriterium erfüllen werde. Das Szenario «mit Ständemehr» werde daher «aller Voraussicht nach ausser Betracht bleiben».
Zum Stand der Verhandlungen mit der EU hat der Bundesrat eine Standortbestimmung vorgenommen. Er hält fest, in einigen Bereichen seien Fortschritte erzielt worden. In anderen – etwa bei der Zuwanderung und beim Lohnschutz – stimmten die Positionen noch zu wenig überein.
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