Kommentar zum EU-GipfelDie EU verliert in der Migrationsdebatte ihre Illusionen
Die Staats- und Regierungschefs der EU haben um neue Schritte im Kampf gegen irreguläre Migration gerungen. Unter Druck der Rechtspopulisten werden kürzlich noch verpönte Ideen wie Aufnahmezentren in Drittstaaten salonfähig.
- Die EU ringt um schärfere Regeln zur Kontrolle der Migration.
- Effiziente Rückführungsregeln werden von mehreren EU-Staaten gefordert.
- Italien investiert in albanische Aufnahmezentren als migrationspolitisches Experiment.
- Visaerleichterungen könnten Herkunftsländer zur Rücknahme ihrer Bürger bewegen.
Weshalb eigentlich der Aktivismus? Die EU hat gerade erst ihre Asylreform beschlossen, die nun zügig umgesetzt werden muss und auch für die Schweiz als Schengen-Mitglied gilt. Die Zahlen bei den Asylgesuchen und der irregulären Migration gehen eher zurück, auch wegen der umstrittenen Abkommen mit Nachbarstaaten wie Tunesien. Und trotzdem wurde am EU-Gipfel in Brüssel stundenlang um die nächste Stufe von schärferen Regeln gerungen, um die unkontrollierte Migration in den Griff zu bekommen.
Die EU-Staaten sind dabei, in der Migrationsdebatte ihre Naivität zu verlieren. «Wir schaffen das», sagte Angela Merkel noch auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise 2015. Die Regierungen stehen unter dem Druck rechtspopulistischer Parteien zu Hause. Das Gefühl des Kontrollverlusts, verstärkt noch durch die Kriege in der Nachbarschaft, bleibt ein Förderprogramm für rechtsextreme Parteien. Schnellverfahren und Abschiebezentren ausserhalb der EU sollen helfen, diese Kontrolle an der Schengen-Aussengrenze zurückzugewinnen.
Italiens Experiment in Albanien illustriert allerdings, dass es keine einfachen Lösungen gibt. Giorgia Meloni hat gerade erst unter Fanfaren das erste Dutzend Migranten im albanischen Aufnahmezentrum einquartiert. Und liess sich dafür am EU-Gipfel feiern. Nun muss die Regierung in Rom nach einem Gerichtsurteil die kostspielige Übung womöglich abbrechen und die Asylbewerber für das Verfahren doch nach Italien transferieren.
Es gibt keine einfachen Lösungen für das Grundproblem: Heute ist es so, dass in der Regel bleiben kann, wer es einmal als Asylsuchender oder Migrant nach Europa geschafft hat. Die Schweiz hat einen Brief von einem guten Dutzend EU-Staaten mitunterschrieben, die effizientere Regeln für Rückführungen fordern. Die EU müsste endlich systematisch mit Visa- und Handelserleichterungen Herkunftsländer von Migranten dazu bewegen, ihre Staatsbürger wieder zurückzunehmen. Es sind heute nicht die Schwachen und Schutzbedürftigen, die den oft gefährlichen Weg schaffen. Und ein alterndes Europa braucht zwar Arbeitskräfte, sollte aber aussuchen, wer kommen darf.
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