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Genfer Wahlsensation
Als Cellistin musste sie plötzlich pausieren – jetzt wird sie Nationalrätin

Genève, le 30 août 2023.  La violoncelliste Estelle Revaz fait partie des douze candidats du Parti socialiste genevois pour l'élection au Conseil national. Rencontre autour du BFM.
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Vor vier Jahren wusste Estelle Revaz noch nicht einmal, dass es einen National- und einen Ständerat gibt. Ab Dezember wird sie selbst Teil des Parlaments sein. Ihr Einzug in den Nationalrat für die Genfer SP ist eine der grossen Überraschungen dieser Wahl. «Vor Corona wusste ich nicht viel von Schweizer Politik», sagt Revaz am Telefon. «Ich war eine typische Musikerin, die von Konzert zu Konzert durch die Welt zieht und denkt, dass Politik sie nichts angeht.» 

Seither hat sich einiges geändert. Die 34-jährige, international erfolgreiche Cellistin erreichte aus dem Stand mehr Stimmen als die bisherige SP-Nationalrätin Laurence Fehlmann Rielle. Sie liess auch den Genfer Stadtrat und ehemaligen Bürgermeister Sami Kanaan hinter sich und sicherte sich damit den dazugewonnenen dritten Sitz der Partei.

Im Corona-Lockdown plötzlich arbeitslos

Zwei Jahre zuvor hatte sie erreicht, dass der Bund Kulturschaffende während der Covid-Krise unterstützt. Revaz wurde während des Lockdown von einem Tag auf den anderen arbeitslos. Sie musste merken, dass Politik auch Musikerinnen betrifft. Zwei Optionen habe sie gehabt: «Entweder ich jammere und ziehe nach Paris oder Wien, oder ich versuche, etwas an der Situation zu ändern.»

Revaz kontaktierte zahlreiche Parlamentarierinnen und Parlamentarier, schrieb Briefe und schmiedete Koalitionen mit Mitgliedern aus allen Parteien – mit Erfolg.

Simone de Montmollin, FDP-Nationalrätin aus Genf, erinnert sich: «Revaz hatte sich ziemlich schnell in der Politik zurechtgefunden. Weil sie die Lebensrealität der Kulturschaffenden hautnah kennt, konnte sie gut für deren Bedürfnisse einstehen und konkrete Lösungen vorschlagen.» Ausserdem sei sie intelligent und engagiert.

Geschickter Wahlkampf

Engagiert war auch ihr Wahlkampf. Sie schaffte es häufig in die Westschweizer Medien, unter anderem auch dank ihrer Biografie. Diese veröffentlichte sie just einen Monat vor den Wahlen. Darin erzählt sie von ihrer Kindheit in einem Walliser Dorf und ihrer musikalischen Karriere, die sie an einige der besten Musikschulen Europas und zu Auftritten in der ganzen Welt brachte. Sie berichtet aber auch von den dunklen Seiten der klassischen Musikwelt – und von ihrer Erfahrung mit sexueller Gewalt.

«Ich will Lösungen finden, indem man sich gegenseitig zuhört.»

Estelle Revaz, Musikerin und Politikerin

Wegen ihres steilen Aufstiegs musste Revaz sich den Vorwurf gefallen lassen, dass sie vor allem von ihrer Bekanntheit profitiere. Für Nationalrat und SP-Co-Fraktionspräsident Samuel Bendahan liegt das Geheimnis ihres Erfolgs jedoch in ihrem Talent, «mit vielen verschiedenen Leuten zu sprechen». Revaz habe gezeigt, dass sie sich schnell einarbeiten könne. «Ausserdem hat sie sich mit ihrem Einsatz während Corona viel Respekt verschafft», sagt Bendahan.

Revaz selbst erklärt sich ihre Wahl so: Sie habe gezeigt, dass man Politik auch anders machen könne. «Ich habe niemanden angegriffen und ging auf alle Seiten zu. Ich will Lösungen finden, indem man sich gegenseitig zuhört.»

Parallelen von Politik und Musik

Sie vergleicht die Politik mit einem Konzert: Manchmal trifft sie die anderen Musiker erst drei Stunden vor dem Konzert. Alle sprechen verschiedene Sprachen, haben andere Vorstellungen davon, wie ein Stück klingen soll. «Und trotzdem können wir etwas Schönes kreieren.»

Die SP war nicht die einzige Partei, die um Revaz’ Mitgliedschaft gebuhlt hatte. Auch Die Mitte und die FDP hätten bei ihr angeklopft. Sie habe dann das Abstimmungsverhalten der drei Parteien angeschaut und gesehen, «dass nur die Linke meine Interessen als junge Frau und zu hundert Prozent Selbstständige vertritt».

Estelle Revaz, elue du parti socialiste au Conseil national, pose dans le stamm du parti Socialiste, lors de la journee des elections federales 2023 du Conseil national et du Conseil des Etats, ce dimanche 22 octobre 2023 a Geneve. Les citoyens suisses se rendent aux urnes pour renouveler le parlement federale des deux chambres - Conseil National et Conseil aux Etats. (KEYSTONE/Salvatore Di Nolfi)

Sie selbst will sich im Parlament für die soziale Absicherung von Selbstständigen, eine stärkere Gleichstellung der Frauen, sozialverträgliche Regelungen von künstlicher Intelligenz und für gute Beziehungen zur EU einsetzen.

Zuerst muss Revaz sich jetzt aber darum kümmern, ihre Cello-Karriere und ihr neues Mandat miteinander zu vereinen. Sie übt täglich rund sechs Stunden. Am Wochenende hat sie Auftritte. Regelmässig ist sie mehrere Wochen auf Konzertreisen in der ganzen Welt. Weil die Sessionen auch immer drei Wochen am Stück sind, lasse sich das aber gut aneinander vorbeibringen, ist sie überzeugt. «Ich bin es zum Glück gewohnt, sehr strukturiert und organisiert zu arbeiten – und wenig zu schlafen.»