Studie über EssverhaltenRomands und Tessiner sind abenteuerlustiger als Deutschschweizer
Das Gottlieb Duttweiler Institut hat untersucht, was es braucht, damit es Innovation in die lokale Esskultur schafft. Obwohl sich die Gewohnheiten und Vorlieben regional unterscheiden, gibt es einen gemeinsamen Nenner.
- Eine Studie untersucht die Ernährungsvorlieben von Personen in der Schweiz.
- Deutschschweizer legen mehr Wert auf Rituale als Romands und Tessiner.
- Italienische Küche wird von fast der Hälfte der Befragten bevorzugt.
Wie unterscheidet sich die Esskultur im Tessin von der Deutschschweiz oder der Romandie? Rund 2100 Personen aus der Schweiz und den nahen Grenzgebieten wurden über ihre Ernährungsgewohnheiten und Vorlieben befragt. Die Befragung wurde in sechs Dimensionen der Esskultur abgeleitet: Genuss, Gemeinschaft, Gesundheit, Kontrolle, Rituale und Verwurzelung.
«Unsere Umfrage sollte ergründen, wie Menschen ihr Essverhalten wahrnehmen, Nahrungsmittel zubereiten und in ihr Leben integrieren», sagt Trendforscherin Christine Schäfer, die die Studie «Decoding Food Culture» fürs Gottlieb Duttweiler Institut leitete. Wie es der Titel der Studie suggeriert, soll das Essverhalten in unseren Breitengraden decodiert werden.
Der Fragebogen stützt sich unter anderen auf wissenschaftliche Studien aus der Konsumforschung. Erörtert wird zum Beispiel, ob die persönlichen Essgewohnheiten stark durch die Herkunft geprägt sind oder ob man viele Familienrezepte kennt. Dies sind Indikatoren für eine starke Verwurzelung mit einer Region und ihren Traditionen.
Unangefochtene Nummer 1
Eine Erkenntnis der Forschenden: Romands und Tessiner seien beim Essen abenteuerlustiger als Deutschschweizer. Damit geht es Letzteren ähnlich wie Norditalienerinnen und Norditaliener: Bei ihnen spielen Rituale im Ländervergleich die grösste Rolle. Beispielsweise die Reihenfolge der Gerichte: Nach den Primi folgen die Secondi und dann die Dolci.
Genuss ist neben Gemeinschaft die zweitwichtigste Dimension der Esskultur. Was wir als genussvoll empfinden, kann jedoch regional sehr unterschiedlich sein. Doch es gibt einen gemeinsamen Nenner, so Schäfer. «Fast die Hälfte der Befragten ordnet ihr absolutes Lieblingsessen der italienischen Küche zu. Sogar in Frankreich schafft es italienisches Essen auf den zweiten Platz – hinter der landeseigenen Cuisine natürlich.»
Herausfinden wollten die Forschenden auch, wie ein Produkt vom ersten Probieren zur Gewohnheit wird und irgendwann die Innovation in die lokale Esskultur schafft – wie Innovation zur Tradition wird. «Zu Beginn ist jedes Nahrungsmittel ein potenzielles Gesundheitsrisiko und muss erst als sicher und genussvoll erkannt werden, um den Weg in den Alltag zu finden», sagt Schäfer. Und nennt weitere Beispiele: Die vergessene Milch, die zu Käse mutiert. Oder der gärende Teig, der sich mittels wilder Hefe zu Sauerteig entwickelt.
Von der Tomate zur Weltkultur
Neue Produkte haben einen langen Weg vor sich, bis sie als fixer Bestandteil einer Esskultur akzeptiert werden. Das beste Beispiel ist die Tomate. Ohne sie würde die mediterrane Küche wohl nicht existieren, wie wir sie kennen. Die Frucht erreichte Europa im 16. Jahrhundert, aber es dauerte noch ganze 300 Jahre, bis in Neapel die Pizza erfunden wurde. Heute ist der belegte Teigfladen ein wichtiges Standbein der italienischen Esskultur, ja sogar als Unesco-Weltkulturerbe gelistet.
Auch andere Gerichte mussten sich zuerst etablieren: Chicken Tikka Masala klingt wie ein altes indisches Rezept, aber seine Wurzeln liegen in Glasgow, wo es in den 70er-Jahren erfunden wurde. Oder das Ciabattabrot, das erst seit 1982 gebacken wird, und somit gleich alt ist wie die Diät-Cola.
Verfügbar und günstig
Die Studienresultate zeigen, dass Menschen, die Genuss und Gemeinschaft hoch gewichten, in kulinarischen Dingen offener sind für Neues. Die Gastronomie bietet den perfekten Rahmen, um ein neues Produkt in einem sozialen Umfeld erstmals zu probieren.
Damit neue Produkte aber nicht nur einmal gegessen werden, sondern zu einem Teil des Alltags werden, braucht es die Industrie und den Detailhandel: Breite Verfügbarkeit und günstigere Preise lassen eine grössere Zielgruppe erreichen.
Ein wohl gescheitertes «Novel Food» sind Insekten, die 2017 auf dem Schweizer Markt lanciert wurden. Was hat denn da nicht geklappt? «Sie sind wohl einfach zu weit von unserer lokalen Esskultur verankert. Erschwerend dazu kommt der Ekelfaktor», sagt Christine Schäfer. Vielleicht, sinniert die Trendforscherin, hätte man zuerst eine verarbeitete Variante wie Insektenmehl präsentieren sollen. Und erst später die ganzen Tierchen. Aber klar sei: «Die Esskultur hinkt der Essgewohnheit immer etwas hintennach.»
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