Die ESC-Moderatorinnen im Gespräch«Bei Lordi war ich total unprofessionell» – «Bitte sei weiterhin so unkorrekt!»
Die grösste, knalligste und verwirrendste Musikshow der Welt moderieren? In diesen politischen Zeiten? Hazel Brugger, Michelle Hunziker und Sandra Studer über Albträume und Schweizer Partys.

Am diesjährigen Eurovision Song Contest im Mai in Basel wird sich unter anderem ein estnischer Rapper über italienische Mafia-Klischees lustig machen, eine Überlebende des 7. Oktober für Israel antreten und das Wiener Gen-Z-Geschwisterduo Abbor & Tynna mit «Baller» Deutschland vertreten.
Die Party steigt in einem Europa im vierten Jahr des Kriegs in der Ukraine – um nur einen der Konflikte zu nennen, die sich in der eigentlich unpolitischen Show auch diesmal nicht einfach wegdenken lassen werden. Wie führt man durch einen Abend, an dem trotz allem die Kraft der Musik für Harmonie sorgen soll? Ein Gespräch mit den Schweizer ESC-Moderatorinnen Hazel Brugger, Michelle Hunziker und Sandra Studer.
Frau Brugger, Frau Studer, Frau Hunziker: Beim ESC-Final am 17. Mai schauen Ihnen 160 Millionen Menschen zu. Haben Sie schon Albträume?
Hazel Brugger: 160 Millionen und 1. Mein Grossvater Franz hat gesagt, er will dieses Jahr auch zuschauen. Das hat er sonst nicht gemacht.
Sandra Studer: Diese Angstzahlen werden immer grösser. Ich glaube, es sind 160 Millionen und dann noch mal 80 Millionen auf Youtube.
Brugger: Ich denke, das Gute bei dieser Zahl ist: Die ist so klar über der eigenen Vorstellungskraft, dass man sie einfach ausblenden kann.
Also keine Albträume?
Michelle Hunziker: Nein.
Brugger: Im Gegenteil. Ich bin megagut gelaunt, seit ich weiss, dass ich moderiere.
Studer: Ich habe sehr viele Albträume, aber erstaunlicherweise noch keine rund um den ESC. Ich bin in meinen Albträumen noch nicht von der ESC-Bühne gefallen. Oder hatte keine Ahnung, was ich gerade in die Kamera sagen soll. Diese Klassiker sind mir bisher erspart geblieben.
Hunziker: Wenn ich im Theater auf der Bühne stehe, dann habe ich nachts oft diesen Albtraum, dass der Vorhang aufgeht und ich ein totales Blackout habe. Aber wir bereiten uns jetzt konzentriert vor, es geht ja um den Contest, es geht um Künstler. Für die ist das eine wichtige Lebenserfahrung. In den drei, vier Minuten müssen sie alles geben, und wir sind da, um sie zu unterstützen.

Haben Sie untereinander eine feste Rollenverteilung für den ESC?
Brugger: Wir hatten uns mal überlegt, dass Sandra alle Wörter sagt, die mit Buchstaben von A bis J anfangen, dann Michelle alles von K bis R und ich den Rest. Aber es hat sich gezeigt, dass eine Moderation ein Zusammenspiel ist und wir zu dritt durch den Abend führen und versuchen, alles zusammenzubringen, was da so passieren wird. Wir sind auf jeden Fall nicht so unterschiedlich wie die musikalischen Beiträge.
Hunziker: Wir ergänzen uns sehr gut. Aber wir hatten alle natürlich am Anfang Respekt: Mein Gott, hoffentlich klappt das mit uns, hoffentlich ist da eine gute Chemie. Als wir uns das erste Mal trafen, war nach 30 Sekunden klar: Die Bedenken waren unbegründet.
Wie bereiten Sie sich vor? In einer Whatsapp-Gruppe?
Hunziker: Natürlich!
Studer: Das ist total wichtig. Da kommen wir uns näher, das ist ja das Schöne an diesen neuen Kommunikationsmitteln. Dank ihnen geht das, obwohl wir alle in einem anderen Land leben. Bis zum 17. Mai sind wir untrennbar.
Hunziker: Das hätte ich in den Neunziger- oder Nullerjahren nie gedacht, dass man online Freundschaften schliessen kann.
Das ist anders als bei der «Wetten, dass…?»-Vorbereitung mit Thomas Gottschalk – oder, Frau Hunziker?
Hunziker: Ja natürlich. Jedes Projekt hat seine ganz eigene Dynamik und Geschichte. Und der ESC ist schon das Grösste, das ich und wir alle je moderiert haben. Ich habe viel Respekt vor dem Team und vor allem, was jetzt gemacht wird, um dieses Event umzusetzen. Wir sind nur die Gesichter, die alles präsentieren werden an diesem Abend, das Ergebnis der ganzen Arbeit, die vorher gemacht wird.

Pyrotechnik, dramatischer Gesang, was Ruhiges in der Landessprache: Worauf freuen Sie sich am meisten?
Brugger: Ich mag es, wenn die ESC-Bühne benutzt wird, um etwas zum Ausdruck zu bringen, was tief in einem Menschen schlummert. Wenn sich jemand nicht einschüchtern lässt von dieser krassen Zuschauerzahl, sondern sagt: Was macht mich einzigartig und wie kann ich dieses Element an Leute bringen, die sonst vielleicht nicht mit dieser Facette des Lebens konfrontiert würden?
Studer: Ich komme ja aus einer Zeit, wo der ESC noch ein Komponisten-Wettbewerb war, damals ging es wirklich um die Kompositionen. Irgendwann wurde es zu einem Interpreten-Wettbewerb, und jetzt ist es ein Show-Wettbewerb geworden. Ich mag es immer noch, wenn das Lied im Mittelpunkt steht, wenn es wirklich um die Musik geht. Das muss aber nicht eine Ballade sein, das kann ein starker Up-Tempo-Song sein. Wenn ich merke, da wurde wirklich komponiert, da wurde virtuos Musik geschrieben, dann geht mir das Herz auf.
Hunziker: Für mich ist es genauso, Sandra. Ich habe jetzt alle Songs gehört, und es gibt wirklich ein paar, bei denen ich sofort das Gefühl hatte: Das werde ich im Auto hören. Jedes Mal beim ESC gibt es diese Songs, bei denen man denkt: Wow, das ist sehr weit weg von meiner Kultur. Wie ist das auf diese Bühne gekommen? Was für eine Geschichte hat dieser Künstler mit seinem Publikum? Tommy Cash, der dieses Jahr für Estland antritt, ist ja schon viral gegangen, und viele haben gar nicht verstanden, dass das ein super Künstler ist, der so viel gemacht hat vorher und den die Leute lieben. Und dann gibt es Songs, die eine universelle Sprache sprechen. Bei denen es um Emotionen geht und die weniger irritieren.
Gibt es einen Auftritt aus der ESC-Geschichte, den Sie nicht vergessen? Bei mir ist es Lordi aus Finnland, 2006.
Brugger: Bei mir auch. Lordi, einfach unvergesslich.
Studer: Oje, an Lordi habe ich ganz besondere Erinnerungen, weil das gefiel mir so gar nicht damals. Ich war Kommentatorin fürs Schweizer Fernsehen, und da bin ich einmal wirklich aus der Rolle gefallen, denn ich konnte mich nicht zurückhalten mit meinem Entsetzen. Ich fand einfach: Was soll das? Ist das jetzt Karneval? Das habe ich dann auch gesagt, und das war total unprofessionell. Ich musste am Montag nach dem ESC ins Büro meines Chefs, der da mit allen bösen E-Mails sass, die kamen. Eines meiner grössten Highlights war aber Conchita Wurst. Das war für mich einer der tollsten, der künstlerisch rundesten Auftritte, die ich je erlebt habe beim ESC.
Hunziker: Conchita war super. Und Sandra, ich liebe diese Seite an dir! Bitte sei weiterhin so unkorrekt! Ich meine, das ist ja das Schöne an Musik, es geht um Geschmack und um die Frage: Was zündet? Als Moderatorinnen müssen wir so neutral bleiben wie möglich und dürfen nicht sagen, was wir denken, bis der ESC vorbei ist. Aber unter uns haben wir natürlich auch unsere Favorites.
Brugger: Michelle und ich haben gerade schon Trainings, wie wir Sandra dann tackeln, also zu Boden werfen, wenn sie ihre Meinung sagen will. Michelle hat einen grossen Sack wie Knecht Ruprecht und ich mach die Grätsche von der Seite.

Der ESC findet zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder in der Schweiz statt. Gibt es eigentlich eine bestimmte Schweizer Art, eine Party zu schmeissen?
Hunziker: Eine Party, das würde ich so gerne haben, weil das … Hazel! Nicht dieses Gesicht machen! Du kommst mit mir auf Partys.
Brugger: Michelle ist unsere Partybeauftragte, ich mache die Snacks und Sandra sorgt für die guten Gefühle.
Studer: Wenn man möchte, dann kann man beim ESC 24 Stunden lang Party machen. Man kann sich kaum retten vor Partys. Ich musste das als Kommentatorin aus meiner Agenda streichen, weil ich sonst nicht durchgekommen wäre mit der Vorbereitung.
Hunziker: Wir müssen uns wirklich eine Sache versprechen: Alle unsere Kinder werden bei Grossmamas oder Grossvätern versorgt. Wir müssen konzentriert den ESC moderieren und Party machen. Bitte keine Kinder im Hotel, okay?
Brugger: Wir haben zusammen so viele Kinder, dass die einfach aufeinander aufpassen können. Dafür gibt es doch den Spruch: It takes a village for three moms to party.
Und was wird das unverwechselbar Schweizerische sein an der Party?
Brugger: Dass ich die ganze Zeit eine Fresse ziehe.
Studer: Ich hoffe, das Catering stimmt, weil da habe ich ziemlich Traumatisches – Entschuldigung, Michelle – in Italien erlebt. Als ich 1991 in Rom war …
… Sie traten als Sandra Simó mit «Canzone per te» an und wurden Fünfte …
Studer: … da war immer das Buffet leer gefressen. Immer kam ich zu spät, da war nichts mehr.
Hunziker: Das war wahrscheinlich, weil das Buffet so gut war.
Studer: Ich werde mich auf jeden Fall sehr dafür einsetzen, dass sich die Schweiz gut in kulinarischen Dingen präsentiert.
Brugger: Was tatsächlich sehr schweizerisch sein wird, ist, dass wir zwischen den Sprachen wechseln. Mein Mann ist Deutscher, der kann das immer gar nicht glauben, dass wir Deutsch, Englisch, Italienisch, Französisch sprechen. Es ist verblüffend, wie normal das in der Schweiz ist. Nicht nur international zu handeln, sondern auch dieses selbstverständliche Switchen.
Der ESC ist auch von freundschaftlicher Rivalität geprägt. Was wäre ein Tipp für die Deutschen, damit das Land am ESC auch so erfolgreich ist wie die Schweiz in den letzten Jahren?
Studer: 36 Jahre hat die Schweiz nicht gewonnen. Ich habe diese Durststrecke in den 90er- und 00er-Jahren intensiv miterlebt, als wir so oft mit null oder wenig Punkten nach Hause gingen. Das war himmeltraurig, wir haben damals wirklich magere Jahre durchgemacht. Und irgendwann glaubt man fast nicht mehr dran und denkt: Das ist, weil wir keine Freunde haben in Europa, weil wir keine Freundschaftspunkte erhalten. Nein, wenn ein gutes Lied kommt, dann kann man gewinnen, wie Nemo letztes Jahr gezeigt hat. Von daher der Tipp an Deutschland: ein gutes Lied. Qualität setzt sich durch, ich glaube immer noch daran. Aber wir dürfen jetzt nichts zum Beitrag sagen von Deutschland, wir müssen ja neutral sein.
Brugger: Mein Tipp an Deutschland ist: einfach ballern.
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