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ESC-Abstimmung in Basel
Der letzte Kampf – wie die konservative EDU im weltoffenen Basel die Sensation schaffen will

Vertreterinnen und Vertreter der Eidgenoessisch-Demokratischen Union (EDU) mit Praesident Daniel Frischknecht, links, posieren mit den Kartons mit 4'203 Unterschriften fuer das Referendum "Ausgabenbewilligung fuer die Durchfuehrung des Eurovision Song Contest (ESC)" in Basel, am Samstag, 26. Oktober 2024. Die EDU hat das Referendum lanciert, weil es rund um den ESC antisemitische und antichristliche Haltungen gebe. (KEYSTONE/Georgios Kefalas)
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In Kürze:
  • Die Basler Bevölkerung stimmt am 24. November über den ESC-Kredit ab.
  • Die christlich-konservative EDU führt einen schrillen Kampf gegen den Grossanlass.
  • Der Berner Samuel Kullmann ist das Mastermind hinter der Kampagne.
  • Ihm gegenüber steht Regierungspräsident Conradin Cramer, der den ESC in seine Stadt geholt hat.

Ein Mann mit Piercings und geschminktem Gesicht fletscht seine spitzen Zähne. Vor ihm steht eine Person, mit Hörner-Frisur, voluminösen Wimpern und silbrig glänzendem Gebiss. Während sie schreit, wechselt die Kamera so schnell, dass man der Szenerie kaum folgen kann. Nach fünf Sekunden erscheint ein grosses «NEIN».

Der Spot läuft seit Wochen in den Basler Trams und Bussen. Er wirbt nicht etwa für einen neuen Kinofilm über Vampire. Es ist ein Ausschnitt des Auftritts von Bambie Thug, einer nonbinären irischen Kunstpersönlichkeit, am Eurovision Song Contest (ESC) vom letzten Mai in Malmö. Mit diesem schrillen Video betreibt die konservative Kleinstpartei EDU derzeit ihren Abstimmungskampf.

Am 24. November stimmt die Bevölkerung des Kantons Basel-Stadt darüber ab, ob sie für die Durchführung des bekanntesten Musikwettbewerbs der Welt einen Kredit über 35 Millionen Franken sprechen will. Erzwungen hat diese Abstimmung die EDU Schweiz mittels Referendum. Obwohl sie in der lokalen Basler Politik praktisch inexistent ist, hat sie innert wenigen Wochen 3912 Unterschriften gegen den ESC-Kredit gesammelt. Das sind fast doppelt so viele wie nötig.

Song Contest würde auch bei Nein stattfinden

Wenige Tage vor der Abstimmung herrscht in Basel Unklarheit: Es gibt keine Umfrageresultate und daher auch keine Tendenzen. Die Behörden warnen derweil mit eindringlichen Appellen vor den Folgen eines Neins. «Die Schweiz würde massiv an Ansehen einbüssen», sagte Basels oberster Standortvermarkter Christoph Bosshardt kürzlich in einem Interview. Organisatoren und Befürworter sprechen im Falle einer Ablehnung von einem «enormen Reputationsschaden».

Zwar ist bereits heute klar, dass der ESC im Mai 2025 so oder so in Basel stattfinden wird. Ohne Kredit wäre es allerdings ein Anlass ohne Rahmenprogramm – eine TV-Show in einer Stadt, die gar nicht Gastgeberin sein möchte. Diese Ausgangslage macht aus der vordergründigen Lokalangelegenheit eine weitherum beachtete Abstimmung.

Auch aus dem Ausland blickt man dieser Tage nach Basel, ziemlich verwundert. «Basel Will Host Eurovision Song Contest (Unless Its Taxpayers Revolt)», titelte die «New York Times» kürzlich. «Switzerland’s Unusual Form of Democracy Takes Aim at Eurovision», berichtete das Politmagazin «Politico». Im Ausland können es viele kaum glauben, wie es überhaupt möglich ist, dass eine Bevölkerung über einen Event wie den ESC ein Votum fällen kann.

«Geldverschwendung» oder «Investment»?

Der Mann, der die Eigenheiten der schweizerischen direkten Demokratie den ausländischen Reporterinnen und Reportern in diesen Tagen näherbringt, hat sein Büro im ersten Stock des Basler Rathauses. «Ich erkläre jeweils das politische System der Schweiz und sage, dass die Stimmbevölkerung bei uns die Möglichkeit hat, über so grosse Beträge mitzuentscheiden», sagt Conradin Cramer (LDP). Im April hat die Basler Stimmbevölkerung ihn zu ihrem neuen Regierungspräsidenten gewählt. Er ist der Nachfolger von Beat Jans, der Ende letzten Jahres zum Bundesrat ernannt wurde.

Conradin Cramer, President of the Government of Basel-Stadt, left, attends a press conference on the staging of the ESC 2025, in Basel, on Friday, August 30, 2024. The ESC 2025 will be held in Basel. This was announced today by the SRG. (KEYSTONE/Georgios Kefalas)

Über der Eingangstür seines Regierungspräsidenten-Büros prangt in altdeutscher Sprache der Satz: «Aus vielen Beuteln ist gut Geld zählen.» Dass das Geld in Basel etwas reichlicher vorhanden ist als in anderen Kantonen, hat auch die EDU in ihrem Abstimmungskampf aufgenommen. In den sozialen Medien verbreitete die Partei jüngst ein Video, in dem ein Mann mit einer Conradin-Cramer-Maske Geldnoten verbrennt. «Mir händs jo in Basel», sagt eine Person dabei aus dem Off.

Kommentieren will Cramer dieses Video nicht. «Ich glaube, das spricht für sich, und die Leute bilden sich ihre eigene Meinung zum Thema», sagt er. Cramer sieht in den 35 Millionen Franken, die sein Kanton für den ESC ausgeben will, vor allem eines: ein Investment.

«Wir sind parat», schrieb Cramer bereits in seinem Gratulations-Tweet am Morgen nach Nemos Sieg, als klar war, dass der ESC 2025 in der Schweiz stattfinden wird. «Es geht hier um eine riesige Chance», sagt der 45-Jährige. «Man darf nicht vergessen, wie viele Millionen Menschen den ESC jeweils verfolgen und sehr genau wissen, in welcher Stadt und in welchem Land der Wettbewerb stattfindet.» 160 Millionen Menschen auf der ganzen Welt schauen jeweils zu, wenn Europa den besten Act des Jahres kürt.

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«Der Inbegriff des Bösen»

Conradin Cramers Gegenspieler lebt gut 100 Zugminuten von Basel entfernt in Hünibach, einem Vorort von Thun. Samuel Kullmann ist selbstständiger Finanzberater, EDU-Grossrat im Kanton Bern und das Mastermind hinter der Schweizer Anti-ESC-Kampagne. In seiner Personenbeschreibung auf der Plattform X sind drei seiner zentralen Lebensinhalte der Reihe nach aufgelistet: #jesus #bitcoin #freedom.

Im Caffé Spettacolo beim Thuner Bahnhof sitzt Kullmann vor einer Tasse Kaffee, während er seinen Kampf gegen den ESC rekapituliert. Dieser begann ebenfalls in der Nacht, als Nemo den Musikwettbewerb gewann. Schockiert, ja geradezu verstört, hatte den 38-Jährigen an jenem Abend der Auftritt von Bambie Thug. «Da wurde Satanismus auf offener Bühne zelebriert», sagt Kullmann. Für ihn als gläubigen Christen und Mitglied einer Freikirche war dieser Auftritt Blasphemie – oder wie er sagt: «Der Inbegriff des Bösen».

Samuel Kullmann (EDU) am 10.09.2024 in Bern. Foto: Raphael Moser / Tamedia AG

Es ist darum auch der Auftritt von Bambie Thug, den die EDU in ihrer Kampagne immer und immer wieder zeigt – in den Spots im ÖV und auch auf den Flyern, die an sämtliche Haushalte in Basel verschickt wurden. «Dass beim ESC christliche Symbole verboten sind, während satanistische Rituale offenbar kein Problem darstellen, ist für uns ein nicht hinnehmbarer Doppelstandard», sagt Kullmann. Wie viel Geld seine Partei für ihre Werbeaktionen ausgibt, will er derweil nicht preisgeben.

Die Kampagne der christlich-konservativen Partei begann, als die grossen Schweizer Städte im Frühsommer unisono Millionenkredite in ihren Kantonsparlamenten beantragten. Neben ihren soziokulturellen Argumenten führten die EDU auch das Stichwort «Geldverschwendung» ins Feld. Vielerorts ging dieser Plan auf. In den Kantonen Bern und Zürich brachte schon alleine die Drohkulisse eines Referendums die Kandidatur zum Scheitern.

Aber mit Basel, einem progressiven Stadtkanton mit rappelvoller Staatskasse, haben Kullmann und Co. eine Art Endgegner gefunden. «Wenn schweizweit über den ESC-Kredit abgestimmt würde, würden wir gewinnen», ist er sich sicher. Aber in Basel stehen seine Chance eher gering, das weiss auch Kullmann. «Ein Nein wäre eine Sensation.»

«Wir können nicht immer motzen»

Ein grosser Unterschied zu anderen Kantonen ist: In Basel steht auch die SVP hinter dem Kredit. Parteipräsident Pascal Messerli hat sich früh persönlich für das Event ausgesprochen. «In der Fraktion war relativ klar, dass wir den ESC in Basel unterstützen». Es habe zwar auch einige kritische Stimmen gegeben. «Aber unsere Mitglieder haben sich zu zwei Dritteln für die Ja-Parole zum ESC ausgesprochen.»

Pascal Messerli, SVP, Wahlsonntag in der Schweiz, Nationalrats- und Ständeratswahlen 2023, Rathaus, Basel, 22.10.2023, Foto Lucia Hunziker / Tamedia

Für die Basler SVP seien die wirtschaftlichen Argumente entscheidend gewesen: «Wir können nicht immer motzen, wenn in der Hotelbranche Traditionshäuser eingehen und wir dann so eine Möglichkeit nicht ergreifen.» 

Cramer ist zuversichtlich

Zurück in Conradin Cramers Büro über dem Basler Marktplatz, wo in diesen Tagen gerade der Weihnachtsbaum aufgestellt wird. Wenn er über den ESC und Basel spricht, betont er gerne, dass hier alle an Bord seien und gemeinsam an einem Strang ziehen würden – von links bis rechts, von konservativ bis liberal. Das Referendum zum ESC ist ihnen eigentlich von aussen aufgezwungen worden.

Das Einmischen der EDU in eine Basler Angelegenheit sieht der Regierungspräsident dennoch gelassen. «Das ist lebendige, direkte Demokratie und von daher etwas Positives», so Cramer. Auch, dass die EDU in ihrem Abstimmungskampf auf eine krasse Bildsprache setzt und auf den Mann spielt, bringt ihn nicht aus dem Konzept. Cramer glaubt, dass das Anliegen der erzkonservativen Partei im progressiven Basel letztlich keine Mehrheit finden wird.

«Bis jetzt ist unsere Stadt gut mit ihrer Weltoffenheit gefahren.» Den Leuten in Basel sei bewusst, dass der Erfolg der Stadt auch damit zusammenhänge, dass hier verschiedene Lebensformen und Lebensmodelle willkommen seien. «Es geht uns gut mit dieser Offenheit.» Man müsse schliesslich nicht «woke» sein, um den ESC gut zu finden.