Analyse zur Wahl in den Niederlanden Es zahlt sich aus, den Rechtspopulisten zu kontern
Der Sieg von Langzeitpremier Mark Rutte macht deutlich, dass in Krisenzeiten die Erfahrung zählt. Doch auch proeuropäische Parteien können punkten.
Die Niederlande galten schon immer als politisches Versuchslabor. Einst war es zum Beispiel die frühe Diskussion über Migration, Globalisierung und der überraschende Aufstieg der Rechtspopulisten. Jetzt ist es die erste nationale Wahl in Europa mitten in der Pandemie und mit interessanten Verschiebungen.
Zuerst einmal setzen die Niederländerinnen und Niederländer in der Krise auf Erfahrung und Kontinuität, sie stärken Ministerpräsident Mark Rutte mit seiner rechtsliberalen Partei für Freiheit und Demokratie (VVD). Dies, obwohl die Regierung im Kampf gegen Corona nicht gerade eine gute Figur gemacht hat. Rutte ist seit zehn Jahren an der Macht und konnte nun mit seiner Partei sogar noch leicht zulegen.
UNO-Diplomatin als Überraschungssiegerin
Die eigentliche Überraschungssiegerin ist die linksliberale D66 mit Parteichefin Sigrid Kaag. Die UNO-Diplomatin ist mit einem Palästinenser verheiratet und bezieht regelmässig Stellung gegen Rassismus in den Niederlanden. Die deutlichen Sitzgewinne von D66 sind doppelt überraschend. Erstens waren die Linksliberalen als Juniorpartner bereits die letzten vier Jahre Teil der Regierung. Nicht nur in den Niederlanden werden Juniorpartner in Koalitionsregierungen sonst gern abgestraft.
Die linksliberale D66 hat sich dem Trend widersetzt, in dem die Partei die letzten vier Jahre etwa bei der Klimapolitik eigene Akzente gesetzt und Differenzen transparent gemacht hat. Sigrid Kaag steht für einen betont proeuropäischen Kurs und gehört zu den wenigen Politikerinnen in den Niederlanden, die gegenüber dem Rechtspopulisten Geert Wilders Klartext sprechen. Das hat sich jetzt ausgezahlt, und D66 hat die Freiheitspartei (PVV) von Wilders vom zweiten Platz verdrängt.
Auch anderswo in Europa tun sich Sozialdemokraten und Linke schwer, Themen zu setzen.
Dass sich proeuropäische Positionen auszahlen können, zeigt auch der Erfolg der jungen europäischen Bewegung Volt, die aus dem Stand drei Sitze erreichen konnte. Bitter ist die Lektion hingegen für Parteien im linken Spektrum. Die sozialdemokratische Partei der Arbeit (PvdA) stagniert auf sehr tiefem Niveau, und die Sozialistische Partei (SP) sowie Grünlinks (GL) verloren jeweils die Hälfte ihrer Sitze. Auch anderswo in Europa tun sich Sozialdemokraten und Linke schwer, Themen zu setzen und den Abwärtstrend zu stoppen.
Die drei linken Parteien kommen in der Zweiten Kammer in Den Haag noch auf 25 Sitze, weniger als die rechtspopulistischen sowie rechtsextremen Gruppierungen zusammen. Geert Wilders hat zwar verloren, aber Herausforderer Thierry Baudet konnte sich mit dem Forum für Demokratie (FvD) von zwei auf acht Abgeordnete steigern. Auch eine Abspaltung ist mit vier Abgeordneten vertreten. Zusammen kommen die Rechtspopulisten auf 30 der 150 Sitze im Parlament.
Dort sind sie allerdings isoliert, untereinander zerstritten und extremistisch in Abstufungen. Baudet bestreitet, dass es den Klimawandel gibt, hat sich zuletzt als Corona-Leugner profiliert, sieht Russlands Wladimir Putin als Freund und will aus der EU austreten. Auch mit Islamgegner Wilders will niemand regieren. Die Rechtspopulisten sind aber da, um zu bleiben. Das macht es nicht einfacher, im fragmentierten Parlament eine Mehrheit zu finden. Neu sollen 17 Parteien Abgeordnete in die Zweite Kammer schicken, zwei mehr als bisher.
Mister No muss sich bewegen
Mark Rutte wird wieder mit der linksliberalen D66 regieren, braucht aber weitere Partner. So oder so dürfte der Rechtsliberale, der schon in sehr verschiedenen Konstellationen regiert hat, auf seinen gestärkten linksliberalen Koalitionspartner zugehen müssen. Die EU war im Wahlkampf der «Elefant im Raum», das unübersehbare Nichtthema.
Sigrid Kaag wird mit ihrer linksliberalen D66 auf eine betont proeuropäische Agenda drängen, den Kampf gegen den Klimawandel und Investitionen in die Digitalisierung zur Priorität machen wollen. Mark Rutte, bisher als euroskeptischer Mister No in Brüssel ein schwieriger Partner, könnte sich jetzt als Proeuropäer neu erfinden.
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