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Erkältungsmittel unter Druck
Expertengremium hat Neocitran-Wirkstoff als unwirksam bewertet

Themenbilder Apotheke vom 29.09.21
(Symbolbild)
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Bei einer heftigen Erkältung gilt ein Mittel bei manchen als Wunderwaffe: Neocitran. Nicht wenige Menschen schwören auf die Beutel mit dem Pulver, das in heissem Wasser aufgelöst wird, um dann die fiesen Viren hoffentlich in Schach zu halten. Zweifel sind allerdings angebracht. 

Denn nun zeigt sich, dass einer der Wirkstoffe in Neocitran wahrscheinlich unwirksam ist. Er trägt den Namen Phenylephrin und sollte eigentlich dafür sorgen, dass bei einer Erkältung die entzündeten Schleimhäute abschwellen. Ein Beratungsgremium der US-amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) ist jetzt aber zum Ergebnis gekommen, dass diese Wirkung nicht gegeben ist, wenn Phenylephrin oral eingenommen, also geschluckt wird. Die Einschätzung könnte früher oder später zu einem grundsätzlichen Verbot durch die FDA führen, so wie dies in anderen Fällen in der Vergangenheit oft passiert ist. 

«Ich denke, wir haben eindeutig bessere Möglichkeiten im rezeptfreien Bereich, um unseren Patienten zu helfen, und die Studien belegen nicht, dass dies eine wirksame Substanz ist», wird Maria Coyle, Vorsitzende des FDA-Beratungsgremiums und Pharmazie-Professorin an der Ohio State University, in den «New York Times» zitiert. Und Leslie Hendeles, Pharmazeutin an der University of Florida in Gainesville, sagt: «Wenn Sie eine verstopfte Nase haben und diesen Wirkstoff einnehmen, werden Sie immer noch eine verstopfte Nase haben.» Der Wissenschaftler hat schon 2007 zusammen mit Kollegen die FDA aufgefordert, Phenylephrin vom Markt zu nehmen. Bereits damals war klar, dass die Substanz nicht die behauptete Wirkung hat.

Muss die Rezeptur angepasst werden?

In der Schweiz hat die Heilmittelbehörde Swissmedic erst durch die Anfrage dieser Redaktion von der FDA-Neubewertung erfahren. Man werde die Thematik untersuchen, schreibt Mediensprecher Alex Josty. Bei den Analysen gehe man risikobasiert vor. «Nach einem Entscheid ergreifen wir bei Bedarf Massnahmen und kommunizieren zielgruppengerecht.» In Einzelfällen könne das auch der Entzug der Zulassung sein, wenn gewichtige Daten dies stützten, so Josty.

Ob die Rezeptur für Neocitran hierzulande dereinst angepasst werden muss, ist also offen. Neben dem infrage gestellten Wirkstoff Phenylephrin enthält das Erkältungsmittel auch Paracetamol (schmerzlindernd und fiebersenkend) und Pheniramin (entzündungshemmend und dämpfend). Als vierter wichtiger Inhaltsstoff wird Vitamin C genannt. Dessen Wirksamkeit gilt allerdings schon länger als ebenfalls fraglich, insbesondere wenn es erst eingenommen wird, wenn die Symptome bereits eingesetzt haben

Der Anbieter von Neocitran in der Schweiz ist das britische Unternehmen Haleon, das aus dem Zusammenschluss der Sparten rezeptfreier Medikamente von GlaxoSmithKline und Pfizer entstand. Dort wollte man auf Anfrage keine Stellung nehmen. 

«Grippale Infekte lassen sich mit Medikamenten nur symptomatisch behandeln.»

Thomas Rosemann, Universität Zürich

Neocitran ist das bekannteste Medikament mit Phenylephrin. Es gibt jedoch verschiedene andere Kombinationspräparate von anderen Anbietern, die die Substanz ebenfalls enthalten. Sie heissen unter anderem Flumol Grippe, Neotylol oder Rhinocap. Alle sind nicht verschreibungspflichtig («over the counter», OTC) und wären von einer neuen Regelung betroffen. 

Unabhängig vom fraglichen Inhaltsstoff Phenylephrin sind solche Kombinationspräparate mit mehreren Wirkstoffen generell umstritten. Fachleute bemängeln, dass mit der Anzahl der Substanzen die Häufigkeit von unerwünschten Wirkungen überproportional steigt. Zudem können positive Effekte wegen Wechselwirkungen geringer ausfallen. 

Thomas Rosemann, Professor für Hausarztmedizin an der Universität Zürich, betont zudem: «Grippale Infekte lassen sich mit Medikamenten nur symptomatisch behandeln, Dauer und Schwere der Erkrankung werden höchstens marginal beeinflusst.» Das infrage gestellte oral eingenommene Phenylephrin befinde sich dabei in guter Gesellschaft: «Die Mehrheit der gängigen rezeptfreien Präparate ist wirkungslos.» 

«Keine Sicherheitsbedenken»

Nasensprays, die Phenylephrin enthalten, gelten jedoch nach wie vor als wirksam. Das Gleiche gilt, wenn der Wirkstoff in der Chirurgie oder zur Erweiterung der Pupillen verwendet wird. Andere Substanzen, die abschwellend wirken, insbesondere Pseudoephedrin, sind von der Neubewertung ebenfalls nicht betroffen.

Beim Schweizerischen Fachverband für Selbstmedikation (ASSGP) weiss man von der Neubewertung des FDA-Ausschusses. Geschäftsführer Martin Bangerter betont in einer Stellungnahme die Ungefährlichkeit von Phenylephrin. Die Substanz werde seit Jahrzehnten eingesetzt. «Der FDA-Ausschuss hat festgehalten, dass im Zusammenhang mit Phenylephrin keinerlei Sicherheitsbedenken vorliegen.» Bangerter weist zudem darauf hin, dass «in den USA ein grosser Teil der in der Selbstmedikation verfügbaren Arzneimittel in der Selbstbedienung zum Beispiel im Supermarkt zur Verfügung steht und ohne Fachberatung oder Sicherheitsbeschränkungen gekauft werden kann». Dadurch würde im OTC-Bereich dort restriktiver reguliert als in der Schweiz. Hierzulande stünden hingegen nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel ausschliesslich nach Fachberatung in der Apotheke oder der Drogerie zur Verfügung.

In den «New York Times» raten Experten ebenfalls, nicht in Panik zu verfallen oder alle Medikamente in der Hausapotheke wegzuwerfen. Der Inhaltsstoff Phenylephrin sei nicht gefährlich. Zudem würden die Produkte andere Inhaltsstoffe enthalten, die Erkältungssymptome lindern könnten.

Dieser Artikel ist am 9. Oktober 2023 erstmals erschienen. Angesichts der aktuellen Erkältungswelle publizieren wir ihn erneut.

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