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Hattrick-Schütze Renato Steffen
Er war die Nervensäge – und ist nun plötzlich mittendrin statt nur dabei

Auszeichnungen für ein besonderes Spiel: Renato Steffen mit Matchball und Ritterschlag von Granit Xhaka.
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Vor dem Spiel wurde ganz viel von dem Ort geredet, an dem es ausgetragen wird. Serbien, musste es denn wirklich Serbien sein, nach diesen zwei emotional aufgeladen Begegnungen an den letzten WM? Und Granit Xhaka? Bleibt er ruhig? Oder fällt ihm doch noch etwas ein, um die Erzfeinde seiner kosovarischen Freunde zu provozieren wie 2018 und 2022?

Dann beginnt der Match in einem leeren Stadion, es ist der erste für die Schweiz in der EM-Qualifikation gegen Weissrussland, das dafür in Novi Sad Asyl gefunden hat. Xhaka spielt halb links und vorgeschoben, wie er das bei Arsenal so glänzend macht. Er ist präsent, schiesst in der zweiten Halbzeit das 4:0, und als er das 5:0 vorbereitet hat, lässt er sich auswechseln. Passieren tut weiterhin nichts. Sein 600. Pflichtspiel für Club und Land endet in aller Ruhe.

Xhaka schweigt wie die ganze Woche über. «Redeverbot?», fragt Nationaltrainer Murat Yakin zurück, «Granit ein Redeverbot zu geben, das geht gar nicht.» Kommunikationsdirektor Adrian Arnold springt erklärend bei, Xhaka habe von sich aus gewünscht, dass er sich für einmal nicht äussern möchte. Am Montag holt Xhaka alles nach, dann gibt er sich an der Pressekonferenz am Tag vor dem Spiel gegen Israel die Ehre.

Mit Herz und Rationalität

In Novi Sad ist die Bühne frei für den Spieler, der dem Ausflug eine kleine geschichtsträchtige Note gegeben hat. Renato Steffen ist dieser 31-jährige Routinier, der seit Oktober 2015 zum Nationalteam gehört und trotz dieser langen Zeit kaum einmal im Zentrum steht. Diesmal ist das anders, er erzielt drei Tore, in der 4., 17. und 29. Minute, und schafft damit etwas, das seit Seppe Hügi 1960 nie mehr einem Schweizer in einem Länderspiel gelungen ist: in einer Halbzeit drei Tore hintereinander zu erzielen, einen klassischen Hattrick also.

Nach dem Match steht er mit dem Ball in der Hand da, den jeder Spieler nach drei Toren erhält. Er wird ihn sich noch von der Mannschaft unterschreiben lassen und dann seinem Sohn schenken. Der hat ihm vor dem Anpfiff noch via Telefon einen Jubel vorgemacht, mit Herz und Kuss. Kaum hat er das gesagt, biegt er ab in die Rationalität. «Fussball ist eine Momentaufnahme», sagt er, «da geht es schnell. Am Dienstag will ich wieder der Mannschaft helfen.» 

So schnell kann Steffen also thematisch umschwenken, wie er auf dem Platz seine Haken schlagen kann. Gegen Weissrussland findet er am rechten Flügel nicht gut ins Spiel, es unterlaufen ihm Fehlpässe, er hat sie später noch, weshalb Yakin auch einen kritischen Blick auf seine Leistung wirft, und er selbst ist ebenfalls kritisch mit sich. Das kann nicht schaden, weil er sich ein Nachlassen nicht leisten kann. «Es gibt kein Ausruhen und Teetrinken», sagt er, «ich muss weiter Gas geben. Das ist mein Naturell.»

Irgendwann hatte Steffen bei YB seinen Ruf weg: Provokateur, Nervensäge. Gefallen hat ihm das nicht.

Steffen ist keiner der Frühreifen wie ein Xhaka. Während Xhaka mit 19 schon nach Mönchengladbach wechselte, tummelte sich Steffen noch mit Solothurn in der 1. Liga und machte eine Malerlehre. Erst als er Zusatztrainings einlegte, ging es mit ihm als Fussballer vorwärts. Thun entdeckte ihn, und nach nur einer Saison im Berner Oberland war er schon bei YB. Beim grossen Club gab es mehr Geld, mehr Aufmerksamkeit und für Steffen auf einmal das Problem, damit umgehen zu können. «Ich konnte damals nicht unterscheiden, was richtig und was falsch ist», bekannte er später einmal.

Aber er lernte, und auf dem Platz blieb er dieser Spieler, der seine Gegner nie in Ruhe liess, nicht mit dem Ball, nicht mit dem Mundwerk. Irgendwann hatte er seinen Ruf weg: Provokateur, Nervensäge. Gefallen hat ihm das nicht.

Er zog weiter nach Basel, ausgerechnet dahin, wo sie ihn speziell nicht mochten. Auch da setzte er sich durch. Nach zwei Meistertiteln verabschiedete er sich in die Bundesliga, Anfang 2018 war das mit 26 Jahren. Wolfsburg mag nicht die strahlendste Adresse in Deutschland sein, Steffen machte das Beste draus und bestritt 144 Spiele, bis im vergangenen Sommer die Einsicht reifte, dass er mehr Einsätze braucht, um für Yakin ein Kandidat zu bleiben. Lugano eröffnete ihm einen Ausweg.

Im Nationalteam ist er leiser

«Lugano ist mit Blick auf die Liga ein Schritt zurück», sagt Steffen am Samstag in Novi Sad. Gelohnt hat sich das für ihn trotzdem. Er war an der WM in Katar dabei, was ein grosses Ziel von ihm gewesen war. Und jetzt hat er diese drei Tore gegen Weissrussland auf dem Konto, nachdem er zuvor in 28 Einsätzen nur einmal getroffen hat. «Ich muss spielen, um fit zu sein», sagt er, «sonst habe ich im Nationalteam keinen Platz. Ich weiss: Die Jungen kommen, und irgendwann ist meine Zeit vorbei.»

Im Tessin gibt er im Februar ein Interview, mit dem er seine Teamkollegen aufrütteln will. Seine Karriere sei ihm «nicht mit nett und anständig gelungen», erklärt er im «Corriere del Ticino», und er tut das im Gefühl, dass seine neuen Mitspieler seine Art nicht akzeptieren, weil sie sich mit dem Erreichten schon zufriedengeben. Bei SRF legt er kurz darauf nach einem 1:1 bei YB nach: «So einen Spielertypen, wie ich einer bin, haben sie in Lugano noch nicht so viele gehabt.» Und das Ergebnis macht ihn beschwingt: «Wenn wir auf diesem Spiel aufbauen können, haben wir noch viel Freude an der Mannschaft … und an mir.»

In der Nationalmannschaft ist er leiser unterwegs, da sagt er: «Ich weiss, dass ich hier nicht einer der Top-Top-Leute bin.» Was er dafür ist: zuverlässig, immer willig und am Samstag dank seiner Erfahrung gleich dreimal am richtigen Ort, um den Ball jedes Mal aus höchstens drei Metern zu verwerten. Oder wie er es sagt: «Ich habe schon schwierigere Tore geschossen, aber am Ende muss man da stehen.»

Im Training will er sich nun aufdrängen, damit er am Dienstag gegen Israel eine nächste Chance bekommt. Und wenn nicht? «Ich hätte auch keine Mühe, wieder auf der Bank Platz zu nehmen.»