Entscheid im Fall AssangeWas passiert mit Assange, wenn er an die USA ausgeliefert wird?
Der High Court in London hat über die Auslieferung Julian Assanges an die USA beraten. Mit einem Urteil lässt sich das Gericht noch Zeit – die wichtigsten Antworten im Überblick.
Worum geht es beim bevorstehenden Londoner Gerichtsentscheid über die Auslieferung des Wikileaks-Gründers Julian Assange an die USA?
Donald Trumps Regierung hat im Frühjahr 2019 Assanges Auslieferung beantragt – und die britische Regierung hat dem Antrag in der Folge anstandslos stattgegeben. Assange seinerseits hat sich gegen den Bescheid von Anfang an gewehrt und ihn in mehreren Instanzen angefochten. Nunmehr muss der High Court darüber entscheiden (lesen Sie hier den erklärenden Text über den Gerichtsfall), ob es dem 52-Jährigen ein letztes Mal gestattet werden soll, höhere Gerichte anzurufen. Verweigern die Richter ihm dies, hat er alle rechtlichen Mittel in Grossbritannien ausgeschöpft.
Würde er in diesem Fall unverzüglich ins Flugzeug gesetzt und in die Vereinigten Staaten abtransportiert?
Theoretisch könnte das sofort nach der Verkündung eines entsprechenden Urteils geschehen. Allerdings würde man wohl in London noch zuwarten, bis klar ist, ob der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg den Abflug mit einer einstweiligen Verfügung würde stoppen wollen. Das tat er jüngst schon einmal vor dem Abflug der ersten Asylsuchenden, die zur Deportation nach Ruanda bestimmt waren.
Kann Assange diesen Internationalen Gerichtshof noch anrufen?
Im Grunde ja, wenn das Ganze über eine Eilpetition liefe. Immerhin ist auch das Vereinigte Königreich Unterzeichnerstaat der Europäischen Menschenrechtskonvention. Rechtsexperten in London sind aber, was die Wahrscheinlichkeit eines Eingreifens von Strassburg in diesem Fall betrifft, eher skeptisch. Sollte es dazu kommen, würde Assange in London in Haft bleiben, während um sein Schicksal weiter gerungen wird – möglicherweise monatelang.
Was passiert mit Assange, wenn er an die USA ausgeliefert wird?
In den USA erwarten Assange 18 Anklagen, von denen 17 mit Spionage zu tun haben. Jede dieser Klagen kommt mit einer Maximalstrafe von zehn Jahren Gefängnis bei einer Verurteilung. Da es ums US-Spionagegesetz von 1917 geht, hätte Assange kein Recht, sich mit dem Argument zu verteidigen, er habe «im Dienste der Öffentlichkeit» gehandelt. Wer geheime Verschlusssachen veröffentlicht, wird grundsätzlich mit Spionen auf eine Stufe gestellt. Unter diesen Umständen hätte Assange kaum die Möglichkeit, seine Wikileaks-Aktion – die Veröffentlichung von Hunderttausenden geheimer US-Dokumente – in irgendeiner Weise zu rechtfertigen. Generell geht man davon aus, dass er lebenslang hinter Gittern sitzen würde nach einem derartigen Verfahren. Ausser es käme irgendwann zu einer überraschenden Begnadigung oder zu einer Abschiebung in sein Heimatland Australien, das ihn offenbar aufnehmen will.
Und wenn ihm der High Court in London Gelegenheit gäbe zu weiterer Berufung?
Dann stünden Julian Assange höchstwahrscheinlich weitere Monate oder Jahre in britischer Haft bevor, während sein Fall weiter verhandelt wird von der britischen Justiz. Manch ein Beobachter fragt sich, ob nach einem Regierungswechsel in London, wie er noch für dieses Jahr erwartet wird, ein Labour-Kabinett den «Fall Assange» beenden könnte, indem es die Auslieferungsanordnung aufhebt, auch auf die Gefahr hin, Washington zeitweise zu verstimmen.
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