Asyldeal scheitertNach Debakel vor Gericht toben Sunaks Tories
Die britische Regierung darf Asylsuchende nicht nach Ruanda abschieben. In der Partei des Premiers überbietet man sich mit absurden und radikalen Reaktionen.
Die britische Regierung wollte Asylsuchende nach Ruanda abschieben – und damit Migranten von der irregulären Einreise über den Ärmelkanal abschrecken. Doch daraus wird nichts. Das Oberste Gericht Grossbritanniens hat am Mittwoch verkündet, dass der Asylpakt mit Ruanda rechtswidrig ist.
Während Premierminister Rishi Sunak eingestehen musste, dass «dies nicht das Ergebnis ist, das wir wollten», beharrte er darauf, er werde «alles tun, was nötig ist», um «illegale Zuwanderung» vom Kontinent nach England zu beenden. Aus diesem Grund «arbeiten wir bereits an einem neuen Vertrag mit Ruanda», sagte Sunak. Dabei könne es sich auch als notwendig erweisen, heimische Gesetze und internationale Vereinbarungen neu zu überdenken. (Lesen Sie auch unseren Kommentar: Rishi Sunak hat einen gefährlichen Punkt erreicht)
Sunak will die geplanten Abschiebeflüge nach Ruanda offenbar per Notfall-Gesetzgebung doch noch durchsetzen. Ein erneutes Abblocken vor Gericht in Grossbritannien oder durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte solle verhindert werden. «Ich werde nicht zulassen, dass ein ausländisches Gericht diese Flüge verhindert», liess der britische Premier verlauten.
Geschasste Braverman attackiert Sunak
Von der am Montag ihres Amts enthobenen Innenministerin Suella Braverman war Sunak schon vorab vorgeworfen worden, «keinen glaubwürdigen Plan B» für den Fall eines negativen Gerichtsurteils zu haben. Sunak habe «ein ganzes Jahr verschwendet», weil er nicht auf sie gehört habe, liess Braverman verlauten. Sie warf dem Premier vor, «schwach und unfähig zu sein».
Etliche Mitglieder der Tory-Rechten, darunter Ex-Minister Sir Jacob Rees-Mogg, forderten Sunak auf, den Austritt Grossbritanniens aus der Europäischen Konvention für Menschenrechte vorzubereiten. Lee Anderson, der Vize-Generalsekretär der Konservativen, empfahl Sunak, das Gerichtsurteil zu ignorieren und unverzüglich mit massenhafter Deportation zu beginnen.
Zu hören war auch der Vorschlag, «unwillkommene Asylbewerber zurück zu den französischen Stränden zu befördern.»
Andere Tories stellten fest, dass «die Ruanda-Politik jetzt praktisch am Ende ist». Der neue Aussenminister David Cameron müsse nun sofort mit Frankreich einen Deal zur Rücknahme von «illegalen Migranten» aushandeln. Zu hören war auch der Vorschlag, «unwillkommene Asylbewerber zurück zu den französischen Stränden zu befördern und sie dort abzusetzen».
Der Entscheid des Obersten Gerichts war einstimmig gefallen. Gemäss seinem Urteil bestünde ein «echtes Risiko», dass nach Ruanda deportierte Asylbewerber dort als Flüchtlinge abgelehnt und in ihre Ursprungsländer zurückgeschafft würden, wo ihnen möglicherweise Schlimmes drohe.
Regierung hält an Deportationspolitik fest
Entsprechende Gefahren, sagte der Vorsitzende Richter, Lord Reed, habe unter anderem die Flüchtlingsorganisation der Vereinten Nationen (UNHCR) dokumentiert. Reed wies vor allem auch darauf hin, dass nicht nur die Europäische Konvention für Menschenrechte oder europäische Gerichte den Deportationen im Wege stünden, sondern «auch andere internationale Vereinbarungen, die das Vereinigte Königreich unterzeichnet hat», eine Rückführung von Flüchtlingen in ihre Ursprungsländer untersagten.
Reed erklärte allerdings nicht, dass eine Abschiebung von Asylbewerbern in andere Länder grundsätzlich verboten sei. Deshalb besteht die Regierung Sunak nun darauf, an ihrer Deportationspolitik grundsätzlich festzuhalten. (Lesen Sie zum Thema auch den Artikel «Flüchtende sterben vor der Küste».)
Auch andere Länder wie Österreich und Deutschland trügen sich ja mit ähnlichen Gedanken, erklärte Sunaks neuer Innenminister James Cleverly. Was Ruanda betrifft, wollen Sunak und Cleverly anstelle der locker getroffenen Übereinkunft mit dem afrikanischen Staat einen Vertrag mit festen Garantien aushandeln. Damit soll dem Gerichtsentscheid Rechnung getragen werden.
Auch eine Änderung britischer Gesetze oder internationaler Verpflichtungen hat die Regierung nicht ausgeschlossen. Anders als seine Vorgängerin Braverman ist Innenminister Cleverly der Ansicht, dass ein Austritt aus der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht nötig ist.
Bereits 140 Millionen Pfund an Ruanda überwiesen
Prominente Vertreter der Parteirechten wollen Cleverly und Sunak «allenfalls eine Woche» geben, um einen neuen Vertrag mit Ruanda auf die Beine zu stellen. Aber mit baldigen Deportationsflügen rechnet niemand mehr.
Wie schon seine Vorgänger Boris Johnson und Liz Truss hat auch Sunak die Abschiebung «illegaler Migranten» nach Ruanda als Kernstück seiner Flüchtlingsstrategie gepriesen. «Zehntausende unerwünschter Asylbewerber» werde man so loswerden. Zugleich schrecke man andere von der Überfahrt ab.
140 Millionen Pfund hat London bereits für die Vorbereitungen der Abschiebungen an Ruanda bezahlt. Zudem sollten für jeden überstellten Flüchtling 12'000 Pfund überwiesen werden. Und nach Ruanda deportierte Flüchtlingen sollten niemals nach Grossbritannien zurückkommen können.
Amnesty fordert, «einen Schlussstrich zu ziehen unter ein schändliches Kapitel britischer Geschichte».
Das Urteil des Obersten Gerichts zum Asylpakt mit Ruanda habe sich als Katastrophe für die Regierung erwiesen, sagte Yvonne Cooper, Sprecherin der Labour-Partei: «Die Flaggschiff-Politik des Premiers ist komplett gescheitert.» Unterdessen forderten Flüchtlings- und Menschenrechtsverbände die Sunak-Regierung auf, vollständig von der Deportationsidee abzurücken.
Statt seine internationalen Verpflichtungen zum Schutz von Flüchtlingen an andere Staaten übertragen zu wollen, solle die Regierung endlich «ein menschliches und faires Asylsystem» schaffen, forderte Enver Solomon, Chef des britischen Flüchtlingsrats. Und Amnesty International forderte, dass «es Zeit ist, einen Schlussstrich zu ziehen unter ein schändliches Kapitel britischer Geschichte». Die Ruanda-Ideen der Regierung seien einfach nur «grausam».
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