Grossbritanniens neuer AussenministerHat David Cameron jetzt sogar Chancen, Premier zu werden?
Seine Regierungszeit bleibt wegen des Brexit in Erinnerung. Danach übernahm er fragwürdige Mandate. Was sich der 57-Jährige von seinem Comeback erhofft.
In seiner Holzhütte im Garten muss «Lord Cam» nicht länger sitzen. David Cameron (57), just mit einem Adelstitel versehen, thront jetzt stattdessen auf dem Ministersessel des britischen Aussenministeriums.
Nicht dass es dem Verschlag, den er sich nach dem abrupten Ende seiner Amtszeit als Premierminister 2016 zugelegt hatte, an Komfort gefehlt hätte. 25’000 Pfund soll er gekostet haben. Immer wenn er an seinen Memoiren schreiben wollte, zog sich der Ex-Premier dorthin zurück. Wohlhabend war Cameron, ein entfernter Verwandter der Royals, ja immer gewesen. Aber besonders glücklich war er nach seinem Rücktritt nie.
Zuletzt wenig erfolgreich
Dass er es als Ex-Premier nie zu mehr brachte als zum Präsidenten der britischen Alzheimer-Gesellschaft, habe ihn gewurmt, berichteten die, die mit ihm in Kontakt geblieben waren. «Es war natürlich nicht das Gleiche», meinte sein früherer Schatzkanzler und Kampfgefährte George Osborne: Kein Wunder, dass Cameron Posaunen und Schalmeien gehört habe, als man ihm jetzt einen neuen Top-Job antrug. Zumal die Memoiren kein grosser Verkaufserfolg waren.
Vermittelt hatte den sensationellen Einstieg des Ex-Premiers in Rishi Sunaks Regierung zu Wochenbeginn angeblich Camerons eigener früherer Aussenminister William Hague, der heutzutage selbst im Oberhaus sitzt.
Auch König Charles III. war gebeten worden, nichts auszuplaudern.
Bemerkenswert fanden alle Beteiligten jedenfalls, dass kein Wort über den schon vor Tagen geschlossenen Deal Sunaks mit Cameron vorzeitig an die Öffentlichkeit drang. Auch König Charles III. war gebeten worden, nichts auszuplaudern. Ihm, der Cameron vorab in den Adelsstand zu erheben hatte, musste man den Plan natürlich einiges vorher schon anvertrauen. Die Überraschung für den Rest der Nation am Montagmorgen war damit perfekt.
«Komisch» müsse es dem früheren Premier ja schon vorgekommen sein, dass er nun wieder in No 10 Einzug halten würde, nur um diesmal auf einem ungewohnten Platz am Kabinettstisch zu sitzen, kommentierte Baronin Fall, eine frühere enge Mitarbeiterin Camerons, dessen Comeback. «Es muss wahrhaft merkwürdig für ihn gewesen sein, durch diese Tür zu schreiten, den Korridor hinunterzugehen, sich an den Tisch zu setzen und nicht auf dem Top-Platz zu sein.»
Erfahrung, Kontakte, Selbstsicherheit
Cameron selbst beteuerte freilich, ihm liege nur alles daran, Sunak «zu helfen» und erneut «dem Vereinigten Königreich dienen» zu dürfen. Sunaks Team war offensichtlich überzeugt davon, dass «Lord Cam» die Runde bereichern würde, mit seiner Erfahrung, seinen Kontakten, seiner Selbstsicherheit.
Spötter sprachen die Erwartung aus, Cameron werde Sunak schon Bescheid sagen, wohin die Reise von nun an zu gehen habe, nicht nur in aussenpolitischen Fragen.
Cameron bringe schliesslich «ausgesprochene Stärken» mit in die Regierung, erklärt auch die Direktorin des globalen Thinktanks Chatham House, Bronwen Maddox. Besorgt müsse Sunak allerdings stimmen, dass sein neuer Aussenminister zugleich «ein umstrittenes Erbe» ins Kabinett bringe.
Gaza hatte Cameron 2010 ein «Gefängnislager» genannt, später beschwor er seinen «unzerbrechlichen Glauben an Israel».
Denn nicht nur wird Cameron verantwortlich gemacht für den Ausgang des seinerzeit von ihm ausgeschriebenen Brexit-Referendums und für das politische und soziale Chaos, das diese Volksabstimmung in der Folge in Grossbritannien angerichtet hat.
Auch aussenpolitische Entscheidungen, die Cameron als Premier traf, werden heute kritisch unter die Lupe genommen. So zum Beispiel Camerons Rolle bei der verhängnisvollen Militärintervention in Libyen. Oder seine Politik der Annäherung an China, die Sunak selbst voriges Jahr einmal als «naiv» verwarf.
Oder auch Widersprüche in der Nahostpolitik. Gaza hatte Cameron 2010 noch ein «Gefängnislager» genannt, nur um wenig später in der Knesset seinen «unzerbrechlichen Glauben an Israel» zu beschwören. Als er im August 2014 harte Militärmassnahmen Israels gegen die Palästinenser unterstützte, trat Aussenamtsstaatssekretärin Baronin Warsi im Protest zurück, weil sich Londons Gaza-Politik «moralisch nicht rechtfertigen lässt».
Problematische Mandate
Ernsthaft in Schwierigkeiten brachte sich Cameron nach seinem Rücktritt mit dem Versuch, der australischen Finanzfirma Greensill durch Lobby-Vorstösse in Whitehall reiche Covid-Profite zuzuschanzen. Millionen Dollar strich er dabei als Greensills Ratgeber ein (lesen Sie hier, wie die Greensill-Affäre für die Credit Suisse zu einem Milliardenproblem wurde). Auch zwielichtige finanzielle Verbindungen im Zusammenhang mit China werden noch immer untersucht in London. Camerons Ernennung zum Aussenminister signalisiere den Chinesen jedenfalls, «dass wir uns nun nicht mehr für Menschenrechte einsetzen werden», klagt der ehemalige Tory-Vorsitzende Sir Iain Duncan Smith.
Von all dem will «Lord Cam» begreiflicherweise nichts mehr hören. Er will sich konzentrieren auf seinen neuen Job. Dass er insgeheim hoffe, nach der erwarteten Niederlage Sunaks bei den nächsten Wahlen ein zweites Mal selbst noch zum Partei- und Regierungschef aufzusteigen, halten, die ihn kennen, für unwahrscheinlich. Eher liege ihm daran, bei diesem unverhofft gewonnenen Extrajahr in der grossen Politik seiner persönlichen Geschichte «ein neues, besseres Ende anzufügen». Zumindest wird er es dieses Mal nicht in seiner Hütte schreiben müssen.
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