Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Skandal auf Sylt
Empörung über Rassismusvideo – «Was geht in diesen Köpfen vor?»

24.05.2024, Schleswig-Holstein, Kampen: Zwei Frauen sitzen auf der Terrasse des Club ·Pony· in Kampen (Sylt). Hier hatten Party-Gäste zu Pfingsten rassistische Lieder gegrölt. Foto: Lea Sarah Albert/dpa - ACHTUNG: Nur zur redaktionellen Verwendung im Zusammenhang mit der aktuellen Berichterstattung und nur mit vollständiger Nennung des vorstehenden Credits +++ dpa-Bildfunk +++ (KEYSTONE/DPA/Lea Sarah Albert)
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Die rassistischen Gesänge junger Partygäste auf Sylt alarmieren die Politik und schüren Sorgen vor einem Rechtsruck in Deutschland und Schäden für die Demokratie. Vizekanzler Robert Habeck sagte am Wochenende: «Wer so rumpöbelt, ausgrenzt und faschistische Parolen schreit, greift an, was unser Land zusammenhält.» Die bekannte Bar Pony im Inselort Kampen teilte mit, man habe Strafanzeige gestellt.  Der Staatsschutz ermittelt wegen Volksverhetzung und des Verwendens verfassungswidriger Kennzeichen. 

Auf dem kurzen Video, das am Donnerstag viral gegangen war und zu Pfingsten entstanden sein soll, ist zu sehen und zu hören, wie junge Menschen zur Melodie des mehr als 20 Jahre alten Party-Hits «L’amour toujours» von Gigi D’Agostino rassistische Parolen grölen. Scheinbar völlig ungeniert und ausgelassen singen sie «Deutschland den Deutschen – Ausländer raus!». Ein Mann macht eine Geste, die an den Hitlergruss denken lässt. Von den Umstehenden scheint sich niemand daran zu stören.

Beteiligte entlassen

Für einige Beteiligte hatte das Gegröle ein schnelles Nachspiel: Die Werbeagentur-Gruppe Serviceplan Group erklärte, sie habe einen beteiligten Mitarbeiter fristlos entlassen. Auch die Hamburger Influencerin Milena Karl entliess nach eigenen Angaben eine Mitarbeiterin, die dabei war. «Ich bin selbst Migrantin und als werdende Mutter steht alles, was in diesem Video zu sehen ist, für eine Gesellschaft, in der ich mein Kind nicht grossziehen möchte.»

Die Betreiber des Lokals schrieben dazu auf Instagram: «Hätte unser Personal zu irgendeinem Zeitpunkt ein solches Verhalten mitbekommen, hätten wir sofort reagiert. Wir hätten umgehend die Polizei verständigt und Strafanzeige gestellt. Das haben wir mittlerweile tun können.» Bei der Party waren mehrere Hundert Gäste, wie Geschäftsführer Tim Becker im ZDF sagte.  

DJ Gigi D’Agostino, dessen Song verhunzt wurde, stellte klar, dass sich dieser ausschliesslich um Liebe drehe. «In meinem Lied ‹L’amour toujours› geht es um ein wunderbares, grosses und intensives Gefühl, das die Menschen verbindet», teilte D’Agostino auf dpa-Anfrage mit. Zentral sei zudem die Freude über die Schönheit des Zusammenseins.

«Verstörend und inakzeptabel»

Wirtschaftsminister Habeck äusserte sich bestürzt über das Skandal-Video. Die Szenen seien verstörend und absolut inakzeptabel, sagte er den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Mit Blick auf die Feiern zum 75. Geburtstag des Grundgesetzes sagte Habeck, Deutschland habe es geschafft, zu einer starken Demokratie zu werden, die auf Respekt und Pluralität gebaut sei. «Das zu schützen ist unsere Aufgabe.» Der CDU-Bundesvorsitzende Friedrich Merz fragte: «Was geht eigentlich in den Köpfen dieser Leute vor, das ist doch auch mit Alkoholkonsum nicht mehr zu erklären.»

Der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier äusserte sich mit Blick auf die rassistischen Gesänge besorgt über die Verrohung der politischen Umgangsformen. «Die jüngsten Ereignisse, die wir gerade in einem Video aus einer Bar auf der Insel Sylt gesehen und gehört haben, verstärken diese Beunruhigung», sagte er beim Demokratiefest in der alten Bundeshauptstadt Bonn. «Sie verstärken sie, weil es offensichtlich nicht nur die Randständigen, Abgehängten sind, die sich radikalisieren, sondern das ist eine Radikalisierung, die mindestens in Teilen in der Mitte der Gesellschaft auch stattfindet.» 

Am Freitag hatte schon der deutsche Kanzler Olaf Scholz die Parolen als «ekelig» und «nicht akzeptabel» bezeichnet. Innenministerin Nancy Faeser sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe: «Wer Nazi-Parolen wie «Deutschland den Deutschen – Ausländer raus» grölt, ist eine Schande für Deutschland».

Kein Einzelfall

Auch der Club Rotes Kliff im Nobelort Kampen berichtete von einem «Rassismus-Vorfall» zu Pfingsten. Die betroffenen Personen seien des Clubs verwiesen worden und hätten jetzt Hausverbot, schrieben die Betreiber am Freitag auf Instagram.

Doch Sylt ist kein Einzelfall. Schon in den vergangenen Monaten gab es immer wieder Vorfälle, bei denen zu dem Lied Nazi-Parolen gerufen wurden – etwa in Bayern und Mecklenburg-Vorpommern. In der Oberpfalz ermittelte die Polizei nach einem möglichen Vorfall bei einem Faschingszug im Februar. 

In Erlangen skandierten – wie auf Sylt – zwei Männer auf der Bergkirchweih rassistische Parolen zum Lied «L’amour toujours». Wie die Polizei am Samstag mitteilte, bekamen die Verdächtigen im Alter von 21 und 26 Jahren am Freitagabend ein Betretungsverbot – der Staatsschutz leitete Ermittlungen ein.

Schon am Freitag wurde bekannt, dass es ebenfalls an Pfingsten in Niedersachsen zu einem ähnlichen Fall kam. Auch auf dem Schützenfest im niedersächsischen Löningen westlich von Cloppenburg wurden rassistische Parolen gegrölt, auch zu «L’amour toujours», auch dort ermittelt der Staatsschutz. 

«Ohne Widerspruch werden Normen gebrochen»

Aus Sicht der Expertin Pia Lamberty zeigt das Sylt-Video eine Normalisierung rechtsextremer Inhalte in der Gesellschaft. «Ohne dass es irgendeine Form von Widerspruch gibt, werden die sozialen Normen einfach gebrochen», sagte die Co-Geschäftsführerin des Centers für Monitoring, Analyse und Strategie (Cemas), das Radikalisierungstendenzen und Verschwörungserzählungen im Netz untersucht. «Menschen können ohne Scheu in der Öffentlichkeit extreme Parolen äussern.» Der Song «L’amour toujours» sei mittlerweile immer mehr mit den rassistischen Parolen verknüpft, sagte Lamberty. So schafften Rechtsextreme eine Akzeptanz solcher Parolen in der breiten Gesellschaft.

Für die Cemas-Expertin verdeutlicht der Fall: «Rechtsextremismus ist nicht nur ein Problem, das man in Ostdeutschland sieht oder bei Menschen, die ein geringeres Einkommen haben, sondern auch bei höheren Schichten.» 

DPA/chk