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Mamablog: Konfliktbewältigung
Eltern dürfen Probleme haben

Dürfen Kinder unsere Verletzlichkeit sehen? Diskutieren Sie mit!
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Kürzlich sass ich mit einer Freundin im Bus. Sie erzählte mir, dass es ihr nicht gut gehe. Die anhaltende Corona-Situation mache sie müde, erschöpft und ungewohnt dünnhäutig. Ausserdem sorge sie sich um die Zukunft der Restaurants, in denen sie und ihr Mann arbeiten.

Mit den Kindern sei sie häufig ungeduldig, und viel zu oft komme es auch mit ihrem Mann zu Streit. Meist wegen Kleinigkeiten. Die Schwere, die sie in der dunklen Jahreszeit ohnehin immer heimsuche, sei dieses Jahr grösser, weil alles, was ihr sonst Kraft spende, wegfalle. Und nun stünden noch die Weihnachtstage ins Haus.

Sie wünsche ihrer Familie so sehr friedliche und gemütliche Tage, wisse aber gerade nicht wie. Stattdessen frage sie sich, ob ihre Kinder nicht einen psychischen Schaden davontragen – von ihren Eltern, die gerade gar nicht so stark seien, wie sie es doch gerne wären.

Wie ein Lebkuchen ohne Füllung

Während ich meiner Freundin zuhörte, flog mein Blick über die Gestalten im Bus, deren Sinnesorgane allesamt abgedichtet waren: Die Münder maskiert, die Ohren mit Kopfhörern zugestopft, die Augen vom Handy absorbiert. Was für eine unsinnliche, von anhaltender Trennung und Isolation durchdrungene Zeit durchleben wir doch gerade, dachte ich. Kaum mehr ein Lächeln, das uns in der Öffentlichkeit wärmt. Und entwischt doch mal eins, versickert es unerkannt unter dem Mundschutz.

Es ist verständlich, wenn man sich zurzeit manchmal wie einer jener trockenen Lebkuchen fühlt, die von aussen zwar wirken wie die herrlichen, mit Marzipan gefüllten Exemplare. Beim Reinbeissen merkt man dann aber, dass zum echten Genuss die Füllung fehlt. Denn diese in sich zu tragen, ist zurzeit schwieriger als sonst. Weil die Aussenwelt sie uns nur noch in äusserst homöopathischen Dosen liefert, sind wir gezwungen, sie in uns selbst zu suchen.

Als ich später durch die Nacht lief, verfolgte mich die Geschichte meiner Freundin. Wie gut kenne ich es doch, wenn Sorgen den Alltag wie ein Maulwurf benagen, den man in den Gängen seines Untergrunds nicht zu fassen kriegt. So dass man stattdessen mit dem Partner streitet oder mit den Kindern schimpft. Und sich zur Kür dann noch das schlechte Gewissen aufsetzt, keine gute Mutter zu sein.

Zeigt eure Verwundbarkeit!

Doch in etwas habe ich meine Meinung radikal geändert: Ich bin überhaupt nicht mehr der Ansicht, dass man nicht vor den Kindern streiten darf, sie nicht mitbekommen sollen, wenn es uns nicht gut geht, sie unsere Verletzlichkeit nicht sehen dürfen. Ich rede hier wohlgemerkt nicht von Familien, in denen ein toxisches Klima von Aggression, Gewalt und Abwertung herrscht. Ein solches schadet Kindern immer, und dort brauchen Eltern dringend Hilfe.

Das Leben birgt nun mal Konflikte, Verletzungen und Widersprüche.

Die Rede ist vielmehr von all den liebevollen Eltern, die ich kenne, und die in ihrer Bemühtheit die Kinder oft ernster nehmen als sich selbst. Jene Eltern sind, so finde ich, darum geradezu verpflichtet, ihren Kindern auch ihre Verwundbarkeit zu zeigen. Denn nur am elterlichen Vorbild lernen diese, wie sehr auch «Schweres» zum Menschsein gehört. Und dass sie selbst völlig in Ordnung sind, wenn in ihrem eigenen Leben schwierige Gefühle auftauchen.

Wie schauerlich wäre es doch, in einem richtig miesen Problem zu stecken und das Kind von Eltern zu sein, die keine Schwierigkeiten kennen, sondern immer nur lächelnd fragen, was man denn als Nächstes basteln will. Daraus schliessen Kinder, dass mit ihnen etwas nicht stimmt, wenn ihr Leben kein einziger Bullerbü-Tanz ist. Und sie scheitern an ihren Sorgen, weil sie glauben, diese dürften nicht sein.

Doch das Leben birgt nun mal auch für sie Konflikte, Verletzungen und Widersprüche. Und um zu wachsen, brauchen sie diese Schwierigkeiten. Damit ihnen die Verwandlung von Problemen zur Entwicklung gelingt, benötigen sie allerdings Eltern, die ihnen zeigen, wie so was geht.

«Mir geht es zurzeit nicht gut»

Wir Eltern dürfen unsere schwierigen Seiten also durchaus zeigen. Unter einer Bedingung, und die ist matchentscheidend: Wir müssen die Verantwortung dafür komplett von unseren Kindern abkoppeln. Und zwar nicht nur in Gedanken, noch einfach in den Kochtopf nuschelnd, sondern klar und deutlich sagen: «Mir geht es zurzeit nicht gut, weil ich mir wegen … Sorgen mache. Darum bin ich oft so ungeduldig oder streite mit Papa. Das tut mir leid, und das will ich ändern. Aber eins müsst ihr wissen: Ihr seid nicht der Grund für meine schlechte Laune. Das ist einzig mein Ding. Und ich verspreche euch, mich um mein Problem und mich zu kümmern.»

Was wir dann natürlich auch tun müssen, was immer das für uns bedeuten mag. Um damit den Kindern das grösstmögliche Kapital für ihre eigene Konfliktbewältigung zu schenken.

Ich wünsche Ihnen allen einen guten Endspurt vor den Ferien. Und sollten sie sich mal wie ein billiger Lebkuchen ohne Füllung vorkommen, denken Sie daran, dass sie Ihrem Kind ein grösseres Weihnachtsgeschenk als Nintendo machen, wenn Sie zu sich stehen, ihren Lebkuchen ganz vom Kind abkoppeln und sich mit voller Kraft darum kümmern, wie Sie zu einer nahrhaften Füllung kommen.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen alle eine gute Weihnachtszeit!