Besuch bei einem speziellen ClubIn dieser Garderobe wird über die Mafia, die Mondlandung oder JFK diskutiert
Beim HC Thurgau erhalten die Spieler Hausaufgaben fernab der Eishockeythematik. Warum das nicht nur die Diskussionskultur, sondern auch die Leistung verbessern soll.
- Die Spieler des HC Thurgau müssen jede Woche über einen Podcast referieren und mit der Mannschaft darüber diskutieren.
- Die Themen sind völlig offen und drehen sich normalerweise nicht um Eishockey.
- Der Trainer des Swiss-League-Clubs betont die Bedeutung von Herausforderungen ausserhalb der Komfortzone.
Starren wir nur noch auf unsere Handys und vernachlässigen den Dialog miteinander? Scheuen wir Diskussionen, weil sie mühsam werden, sobald die Meinungen auseinandergehen?
Oder, um es konkret aufs Eishockey zu übertragen, diesen so unberechenbaren und oft auch von Zufall geprägten Sport mit seinen ständig neuen Situationen: Hilft es den Spielern nicht auch bei der Entscheidungsfindung in schwierigen Situationen in Partien, wenn sie bereits im Training immer wieder aus ihrer Komfortzone gelockt werden?
Es sind solche Fragen, die Anders Olsson umtreiben. Auch darum hält der schwedische Trainer des HC Thurgau seine Athleten mit ungewohnten Aufgaben auf Trab. Jede Woche muss ein Spieler des Swiss-League-Clubs aus Weinfelden vor versammelter Mannschaft und Trainercrew einen Vortrag über einen Podcast halten – Diskussionsrunde inklusive. Man müsse sich nicht immer einig sein, sagt Olsson. «Wichtig ist der gemeinsame Austausch.»
Bereits diskutiert wurde über die Mondlandung, Italiens vier grosse Mafia-Clans, Football-Star Tom Brady, US-Präsident John F. Kennedy oder «Moneyball», die Geschichte über Analytics im Baseball – das Themenfeld ist offen, solange es nicht um Eishockey geht.
Der Captain macht eine Ausnahme
An diesem Donnerstag ist die Reihe an Captain Dominic Hobi, und es ist alles ein wenig anders als sonst. Nicht nur wird die Tradition gebrochen, dass das Thema der letzte Redner vorgibt. Hobi hat den Podcast selbst ausgewählt und sich für den «Eisbrecher» von Tamedia sowie die Folge mit Dominik Egli, dem einzigen Schweizer Profi in Schweden, entschieden und damit auch einen Eishockey-Aspekt in den Mittelpunkt gerückt.
Hobi will Eglis ungewohnten Weg zum NHL-Traum nutzen, um eine Botschaft an die Spieler zu platzieren: Wer etwas erreichen will, muss bereit sein, die Komfortzone zu verlassen. «Natürlich vergleiche ich uns nicht mit der NHL», wird Hobi später sagen. «Aber auch in der Swiss League hast du Träume. Meiner ist, mit Thurgau Meister zu werden.»
Was der Captain erst im letzten Moment erfährt: Bei seinem Vortrag sitzt ausnahmsweise auch ein gespannter Gast in der Garderobe. Sein Trainer hat den Autor dieses Artikels eingeladen, weil er auch das Podcast-Gespräch mit Egli führte. «Dominic soll ein wenig nervöser sein», erklärt Olsson lachend.
Und dann geht es los. Hobi steht vor dem grossen Bildschirm in der Garderobe, den normalerweise die Trainer für Spielszenen und Taktik benutzen. Nun erscheinen dort Fakten zu Egli und dem «Eisbrecher». Hobi erzählt von Eglis Entscheid, nach Göteborg zu Frölunda zu wechseln. Obwohl er in der Schweiz als sehr guter Offensivverteidiger sich den Club hätte aussuchen können. Und dabei auch deutlich mehr verdient hätte als nun in Schweden.
Das Thema interessiert. Auch, weil in der Garderobe nicht weniger als elf Spieler und drei Trainer mit Erfahrungen in schwedischen (Junioren-)Ligen sitzen.
Die Diskussion ist lanciert: Ist die Ausbildung der Spieler in Schweden besser? Verdient man dort deutlich weniger?
Müssten auch durchschnittliche Trainingsefforts häufiger von den Führungsspielern bemängelt werden und nicht nur schlechte Leistungen in Spielen von den Coachs?
Ist das Training unter Frölundas Roger Rönnberg wirklich so hart?
Krafttraining an Spieltagen: Könnte man das auch in der Schweiz und sogar bei einem Swiss-League-Club einführen?
Und weil bei Thurgau diese Saison schon sechs junge Leihspieler von Gottéron platziert wurden: Wie wird das nächste Saison bei Fribourg mit Rönnberg? Funktionieren seine Ideen in einer anderen Umgebung?
Schweden und die Selbstständigkeit
Eine Stunde und ein Eistraining später sitzt Hobi in der Garderobe und spricht über die Vorträge. Es sei nicht jedermanns Sache, vor 30 Leuten im Mittelpunkt zu stehen und zu referieren: «Diese Erfahrungen können aber bei der Persönlichkeitsentwicklung helfen», sagt Hobi, «es sind gleichzeitig auch lustige Erlebnisse mit ernstem Hintergedanken.»
Und sie seien Chancen für die jüngeren Spieler. Hobi ist 33 und der Älteste im Team. Er erinnert sich an seine Anfänge in Profimannschaften: «Als Junger warst du in der Garderobe meistens still.»
Mit Markus Akerblom wirkte schon vor Olsson ein Landsmann als Thurgaus Trainer. Ob Coach oder Spieler: Es sei auffällig, dass Schweden grösseren Wert auf Selbstständigkeit legten, sagt Hobi. Er sieht den Grund im Konkurrenzkampf in bereits jungen Jahren: «Der 16-Jährige in Schweden weiss, dass er Gas geben muss, wenn er etwas erreichen will. Ich war in der Schweiz als Junior nur schon dank meines Talents top und hatte keine vergleichbare Challenge.»
Es bleibt bei Olsson nicht bei Vorträgen. Der Captain zeigt Richtung Büchergestell, das der Trainer in der Garderobe platziert hat und auf dem allerlei Lesestoff, aber nur wenig Eishockeyliteratur zu finden ist. «Auch mir hat er schon ein Buch mitgegeben, damit ich mehr lese», sagt Hobi lachend.
Vorträge oder Bücher: Was als Nebensächlichkeiten abgetan werden könnte, sieht der Captain als Teil eines besonderen grossen Ganzen, das er und seine Mitspieler im Club erleben: «Wir haben hier eine Trainercrew, die Ausbildung höher gewichtet als Siege in einzelnen Spielen», sagt Hobi.
Für ihn bleibt als Redner des Tages noch eine Aufgabe: das nächste Thema bestimmen. Es wird ein herausforderndes: Stürmer Andreas Döpfner wird sich vom Podcast «Zeit Geschichte» die Doppelfolge «Der 20. Juli 1944: ‹Das Attentat – Verschwörung gegen Hitler› und ‹Jagd auf die Verschwörer›» anhören und danach mit der Mannschaft darüber diskutieren.
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