Vierfacher Sieger der Champions League Dieser Trainer macht vieles ganz anders – und ist erfolgreich
Roger Rönnberg gewann mit Frölunda Göteborg vier Mal die Champions Hockey League. Dass er nie als Profi spielte, macht die Geschichte des 53-jährigen Schweden umso spezieller.
Wie erneuert man eine Mannschaft? Ja eine ganze Clubkultur? Mit dieser Fragestellung beginnt 2013 die erstaunliche Geschichte von Frölunda, die ihren Höhepunkt zwischen 2016 und 2020 mit vier Triumphen in der Champions League und zwei nationalen Titeln erreicht.
Es ist eine Geschichte der Konstanz, weil Cheftrainer, Sportchef, Präsident und CEO von 2023 alle bereits 2013 im Club sind.
Es ist eine Geschichte der Ausbildung, weil in den letzten zehn Jahren 33 Frölunda-Spieler in der NHL gedraftet wurden, davon sieben in der ersten Runde, mit Rasmus Dahlin einer gar als Nummer 1. 33-7-1! Da kann die Schweiz mit 22-2-1 (Nico Hischier) im selben Zeitraum nicht mithalten.
Und es ist eine Geschichte mit ungewöhnlichem Beginn, weil die Weichen beim Club aus dem Göteborger Stadtteil Västra Frölunda von einem ehemaligen Präsidenten eines Handballclubs und einem Juniorencoach, der keine Erfahrung als Cheftrainer von Profis hat, gestellt werden.
Der Club, der sich nur noch benahm wie ein Champion
Mats Grauers ist der Mann, der vor seinem Wechsel zum Eishockey mit Göteborgs Handballclub Sävehof vier Titel in acht Jahren gewonnen hat und im Sommer 2013 als CEO Frölundas auf Trainersuche ist. Sein Wunschkandidat ist der damals 41-jährige Roger Rönnberg, weil Schwedens U-20-Nationalcoach ihn in seinem Wirken an seine früheren Handballtrainer erinnert.
Rönnberg ist aber zunächst skeptisch: «Frölunda war ein Club, der sich immer noch wie ein Champion benahm, obwohl er keinen Erfolg mehr hatte.» Top-Löhne. Routiniers, die bei Frölunda schlechter spielen als bei anderen Clubs. Junge Spieler, die stagnieren. Es sind Grauers Ehrlichkeit über die Missstände und sein ungewöhnliches Angebot, die Rönnberg überzeugen: «Er offerierte mir einen Dreijahresvertrag und sprach von Zielen in acht, neun Jahren, wie Spieler und Trainer im Club wachsen würden.»
Ein erstes Ziel aber ist, dem Skelleftea AIK nachzueifern. Der ist damals Schwedens Vorzeigeclub, was die Entwicklung von Spielern angeht: «Sie waren die Ersten, die Langzeitstrategien hatten mit Werten, die für den ganzen Verein galten und härteres und besseres Training auf allen Stufen durchsetzten», erinnert sich Rönnberg. Es ist also auch eine Geschichte von guten Kopierern.
Rönnbergs Start bei Frölunda ist harzig. Er selbst begann erst 13-jährig mit Eishockey. Die Eltern waren geschieden, die Mutter konnte ihn vorher nicht zu Spiel und Training bringen. Nach nur zwei Partien bei den Erwachsenen in seinem Dorfclub im rauen Norden trat er als 19-Jähriger zurück, weil er keine Chance auf eine Karriere sah, aber die Liebe zum Coaching entdeckte.
Doch wer nie Profi war, betrachtet das Spiel anders, da mag die Vorbereitung auf die Trainerkarriere noch so akribisch gewesen sein: Rönnberg liest von Anfang an alle möglichen Bücher. Er stellt in über zehn Jahren als Trainer auf tiefem Niveau und im Nachwuchs viele Fragen, um die Antwort herauszufinden: Wie funktioniert Eishockey? «Und doch kommt es bis heute vor, dass ich die Spieler nicht exakt verstehe», gesteht Rönnberg. «Dann lachen sie und sagen: Du hast halt nie gespielt, Roger!»
Das ist nicht nur ein Nachteil. «Ehemalige Topspieler können als Trainer sagen: ‹Wir haben das früher so und so gemacht.› Ich nicht.» Rönnberg ist überzeugt, dass ihm dies Bescheidenheit verleiht. Er zieht den Vergleich zu alltäglichen Berufen: «Die Besten eignen sich nicht automatisch auch als Chef.» Und er wird zum Getriebenen, weil er überzeugt ist, dass es mit seiner Ausgangslage schwieriger ist, es als Trainer ganz nach oben zu schaffen.
Mit jungen Spielern alleine ist es nicht getan
Müsste Rönnbergs Anfang in Frölunda nach Jahren als Juniorentrainer nicht erleichtert werden durch Grauers damalige Vision, die heute Realität geworden ist? Dem CEO schwebt schon 2013 vor, dass der Club dank seiner Nachwuchsakademie einst das ehrgeizige Ziel erfüllen kann, dass das Kader der 1. Mannschaft stets aus rund 50 Prozent aktuellen oder ehemaligen Junioren Frölundas besteht.
Es ist zudem eine oft gehörte Meinung, dass schwankende Clubs mit dem blossen Einsatz junger Spieler wieder auf Kurs gebracht werden können. Doch Rönnberg lernt, dass dies nicht so einfach ist: «Wenn du die Jungen in eine schlechte Clubkultur bringst, veränderst du im Verein genau nichts.»
Der Weg führt über die Führungsspieler, Rönnberg muss sich zunächst ihr Vertrauen erarbeiten: «In einem Team folgen immer die Jungen den Alten. Für eine neue Clubkultur müssen die Leader ihre Leistung verändern.» Rönnbergs Glück ist Captain Joel Lundqvist. Über den mittlerweile zurückgetretenen Stürmer gibt es in Schweden ein Bonmot: Steigen Lundqvist und der Trainer aus dem Bus und laufen in entgegengesetzte Richtungen, folgen alle Spieler Lundqvist. Er ist quasi der Mathias Seger Schwedens – der ultimative Leader.
Dennoch beschreibt Rönnberg den Beginn als einen fast zweijährigen Kampf: «Es ist schwierig, die Balance zu finden, wenn du ständig am Fordern und nie zufrieden bist, gleichzeitig aber willst, dass sich die älteren Spieler respektiert fühlen.» Erst wenn es die Spieler sind, die sich gegenseitig pushen, sei dieses erste Ziel erreicht, sagt Rönnberg: «Wenn sie es sind, die den Neuen klarmachen, was im Club als gutes Leistungslevel gilt und ich als Trainer da nur noch eingreifen muss, wenn mir die Leader signalisieren, dass einer nicht gut darauf reagiert. Dann beginnt der Wechsel, dann hast du eine Gewinnerkultur integriert.»
Das Geschäftsmodell mit der NHL
Rönnbergs Arbeit prägen typisch schwedische Merkmale, nicht alle funktionieren auch in der Schweiz, wie mehrere Landsmänner schon erfahren mussten: die Übertragung grosser Selbstverantwortung in einer Umgebung, in der die Spieler nach Lösungen gefragt werden und nicht nur der Coach Vorgaben macht. Rönnbergs Credo: «Spieler und Leute generell werden nur dann smarter, wenn sie mitdenken.»
Die Idee der offenen Türen hingegen ist mittlerweile auch in der Schweiz zu beobachten: Genauso wie Nachwuchs-Coachs in die Arbeit der 1. Mannschaft involviert sein können, sind Rönnberg und sein Staff regelmässig in Trainings der U-18 und U-20 dabei. Weil: «So behandelst du die Jungen wie Erwachsene und lässt sie früh spüren, dass sie wichtig sind.» All das ist Teil der ins Trainingszentrum Frölundaborg eingegliederten Akademie, in der bis zur U-16 hinunter die gleichen Werte, Spiel- und Trainingsphilosophien vermittelt werden sollen.
Gleichzeitig hofft Frölunda aber, dass diese Jungen den Club Richtung Nordamerika verlassen. Es ist dies ein Geschäftsmodell geworden, weil das Transferabkommen zwischen der NHL und Schweden dem Club für jeden NHL-Vertrag bis zu 300’000 Franken einbringt. Häufig kommen sie zurück, diesen Sommer stiessen vier ehemalige Frölunda-Junioren zum Club, darunter mit Henrik Tömmernes und Carl Klingberg auch zwei «Schweizer». Steter Erfolg also auf allen Ebenen? Vielleicht tönt Rönnbergs Reise bei Frölunda mittlerweile etwas gar simpel. Doch wieder ist es nicht so einfach.
Es gab nicht nur die Mühen beim Start. Auf die goldenen Jahre folgten zuletzt vier mässige Saisons mit zwei siebten Rängen und ohne Titel, aktuell belegt Frölunda in der SHL Rang 5. Andere Clubs wissen auch zu kopieren, Rönnberg zählt auf: «Lulea, Rögle, Växjö, Färjestad, Örebro – alle arbeiten nun ähnlich, auch sie haben den Club stetig vergrössert.»
Bleibt der Erfolg aus, kommt wie rund um jeden erfolgsverwöhnten Club schnell Kritik auf: Rönnberg sei schwierig im Umgang nach Niederlagen, er sei taktisch stur geworden und unterdrücke Kreativität. Letzteres bezeichnet Rönnberg als einen möglicherweise natürlichen Prozess nach (zu) vielen Triumphen: «Im Erfolg siehst du nicht mehr, dass du Dinge ändern musst. Vielleicht glaubte auch ich zu sehr, dass unser System und nicht die Cleverness der Spieler wichtigster Erfolgsfaktor war. Vielleicht wurde ich zu übermütig.»
Das uneingeschränkte Vertrauen
Kommt die Einsicht zu spät? In Schweden wird bereits über das Ende einer Ära spekuliert, falls die Mannschaft wieder nicht Meister werden sollte. Rönnbergs 2025 auslaufender Vertrag sorgte kürzlich für Spekulationen, dass er in Zürich Nachfolger Marc Crawfords werden könnte. Grundsätzliche Gerüchte über Wechselabsichten Richtung Schweiz oder NHL-Ambitionen gibt es rund um Rönnberg schon länger. Er wischt sie mit dem Hinweis weg, wie gut es ihm bei Frölunda gehe, wie befriedigend die Arbeit in einem Club mit langfristigen Plänen sei.
In über zehn Jahren hat er bislang jeden Sturm überlebt. Und hier wird die Geschichte zu einer des Vertrauens. Denn der Trainer ist nicht nur in der 1. Mannschaft nicht allein, der ganze Staff zählt mittlerweile stolze 17 Leute. Wichtiger für Rönnbergs Langlebigkeit dürfte sein, dass dieselben Entscheidungsträger rund um CEO Grauers ihrem Trainer immer wieder das Vertrauen aussprachen.
Für viele Beobachter in Schweden ist dieser Zusammenhalt der Hauptgrund, dass Rönnberg trotz bald vier Jahren ohne Titel immer noch im Amt ist und auch Niederlagenserien überstand. Rönnberg verneint nicht: «Vor allem Mats Grauers hat mich in all den Jahren in allen schwierigen Momenten gestützt und mir eine ruhige Umgebung verschafft», sagt Rönnberg. «Für mich ist das der Schlüssel, um einen Club zu entwickeln.»
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