Der schwedische SonderwegDie Spieler kommandieren, der Coach schweigt
Die skandinavischen Hockeytrainer haben spannende Ansätze ins Schweizer Eishockey gebracht. Doch können die Spieler damit umgehen?
«Eigenverantwortung!» Wer hat das in den letzten Monaten im Zusammenhang mit Corona nicht oft genug gehört? Was damit genau gemeint wird, bleibt häufig Interpretationssache. Selbstverantwortung, davon hören wir auch im Schweizer Eishockey, vor allem, wenn Coachs aus Schweden involviert sind. Verliert ein Team mit ihnen an der Bande ein paar Spiele, ist häufig die angebliche Ursache schnell gefunden: Die Spieler können nicht mit der «Selbstverantwortung» umgehen – her mit dem Old-School-Nordamerikaner/-Osteuropäer, ein paar Tritte in den Hintern für die Spieler soll er auch gleich mitnehmen!
Doch was ist sie, diese ominöse schwedische Selbstverantwortung, mit der hier offenbar nicht alle immer klarkommen? Übrigens: nicht nur Spieler, auch Fans nicht. Zum Beispiel dann, wenn Rikard Grönborg ein Timeout nimmt und der ZSC-Headcoach in den 30 Sekunden Auszeit nichts tut, das Sprechen Spielern wie Marcus Krüger, Denis Hollenstein, Justin Azevedo oder Sven Andrighetto überlässt. Dann sind in Kommentarspalten auch solche Fragen zu lesen: «Sind die Schweden nun zu faul zum Reden?»
Die Antwort: Nein, natürlich nicht. Grönborg tat dies schon vor Jahren, als er noch Schwedens Juniorenauswahlen coachte. Und es ist nicht so, dass er die Spieler eine offene Diskussion darüber starten lässt, was auf dem Eis zu tun ist. «Wir haben bereits den Plan, die Notizen stehen für die Spieler auf der Taktiktafel», erklärt Grönborg. Den Plan richtig rüberzubringen, liegt nun aber an den Spielern, weil: «Es ist beim Leadership das wichtigste Element, um zu motivieren: Verantwortung übergeben.»
«Zurückhaltung ist auch Coachen»
Was bei Uneingeweihten Stirnrunzeln auslösen kann, sorgt bei Landsmännern Grönborgs für Verständnis und Freude. Wie bei Jörgen Jönsson, als Spieler eine Legende des schwedischen Eishockeys, insbesondere bei Färjestad. Er ist seit dieser Saison Assistenztrainer in Davos und sagt zum «Spieler-Timeout» auch dies: «Die Zurückhaltung des Trainers ist auch Coachen. So machst du deine Führungsspieler stärker.»
Zugs Dan Tangnes ist zwar Norweger, aber eishockeytechnisch schwedischer als mancher Schwede. Beim EVZ fordert er im Training hin und wieder seine Führungsspieler auf, die Kritik an den Kollegen anzubringen: «Das bringt mehr, als wenn ich zum dritten Mal dasselbe sage.» Wenn Christer Olsson in Bern mit den Verteidigern arbeitet, spricht er auch schon mal von der Selbstverantwortung der Spieler, kreative Lösungen bei Problemsituationen auf dem Eis zu finden.
Ein extremes Beispiel gibt es in Schweden selbst: Roger Rönnberg, Headcoach von Frölunda Göteborg, lässt hin und wieder sogar die unmittelbare Matchvorbereitung von Spielern absolvieren.
Doch zurück zu Grönborgs Timeouts, bei denen der Ton der Spieler sehr direkt oder gar harsch sein darf, sein soll. Gerade Krüger ist bekannt als Spieler, der nicht nur das Wort ergreift, sondern auch Klartext spricht. «Es ist okay, wenn nicht immer nur der Coach laut wird», sagt Grönborg. «Auch Spieler können untereinander Verantwortung einfordern.»
Wie die Navy Seals …
Grönborg geht noch weiter. Das erste Training nach jedem Spiel lässt er mit einem Aufarbeitungsritual beginnen. Die Inspiration holte er sich von den Navy Seals, einer Spezialeinheit der US Navy, und ihren «After Action Reviews». Was wie furchtbarer Militärslang tönt, ist nichts anderes als dies: eine Diskussion über Gutes und Schlechtes, ohne Hierarchie und Rangordnung, an dem sich alle, also Spieler und Trainer, beteiligen und sich so viele Fragen wie möglich stellen sollen. Grönborg: «Das ist wirksamer, als wenn nur der Coach, der die Situation auf dem Eis gar nicht miterlebte, mit schönen Slow-Motion-Videos aufzeigt, wer was falsch gemacht hat.»
Viele Fragen stellen, statt nur Anweisungen geben. Das tat und tut auch Jönsson. Er hat in Davos, bei seinem ersten Coaching-Job ausserhalb Schwedens, etwas festgestellt: «Angst ist vielleicht das falsche Wort. Doch ich merke hin und wieder, dass die Schweizer Spieler unsicher werden, weil sie zu überlegen beginnen, welche Antworten ich wohl hören will.»
… oder die Familie
Dabei ist das gar nicht die Absicht der Fragen. «Es gibt in diesen Momenten keine richtigen und falschen Antworten», sagt auch Grönborg: «Es geht darum, dass wir uns umeinander kümmern. Ein Spieler, der sich nur um sich selbst kümmert, ist kein guter Spieler.» Er erwähnt erfolgreiche Teams, die sich häufig mit Familien vergleichen. Das könne auch falsch interpretiert werden, wenn darunter nur Harmonie verstanden werde. «Was tust du in einer Familie?», fragt Grönborg – und antwortet gleich selber: «Einerseits, dich um andere kümmern. Andererseits hatte auch ich oft meine schwierigsten Diskussionen in der Familie. Mit den Familienmitgliedern kannst du direkter sein. Eben, weil du dich um sie sorgst.»
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