Interview mit neuem Roche-Chef«Wir werden dieses Jahr mehr in Forschung und Entwicklung investieren»
Thomas Schinecker leitet neu den Pharmakonzern und spricht über seine Jahresziele: Mehr Jobs und verbesserte Algorithmen, die Ärztinnen und Ärzten bei Diagnose und Therapie helfen sollen.

Seit letztem Sommer haben Sie sich auf Ihre neue Rolle als Roche-Chef vorbereitet. Herr Schinecker, was haben Sie gemacht?
Die lange Vorlaufzeit war ein Riesenvorteil, ich habe mich tief in die Pharmaforschung und -entwicklung eingearbeitet. Und privat habe ich es geschafft, meine Neujahrsvorsätze, etwa weiter Sport zu treiben, einzuhalten.
Sie spielen Fussball mit Roche-Mitarbeitenden, oder nicht?
Auch. Ich bin ein Teamsportler und mag alle möglichen Ballsportarten, auch Basketball, Volleyball oder Squash. Es macht mir viel mehr Spass mit Leuten zusammen als allein. Die soziale Komponente und mit anderen gemeinsam etwas zu erreichen, ist für mich ganz wichtig.
Roche hat in den letzten Jahren Hierarchien und interne Bürokratie abgebaut. Werden Sie das weiter vorantreiben?
Wir haben eine Verpflichtung, so schnell wie möglich auch bei Forschung und Entwicklung zu sein, Patientinnen und Patienten können nicht auf uns warten. In der Diagnostik haben wir Prozesse um 70 Prozent reduziert. Einige Prozesse muss man natürlich weiterführen, etwa um die Qualität zu sichern. Gute Prozesse können bei sich wiederholenden Arbeiten die Dinge beschleunigen.
Abbau von Hierarchien bedeutet meist Stellenabbau.
Das war und ist nicht unser Ziel. Flache Hierarchien sind wichtig, um schneller Entscheidungen treffen zu können. Zugleich haben wir mehr Geld in Forschung und Entwicklung investiert und insgesamt an Mitarbeitenden zugelegt.

Ist das ein Versprechen für neue Jobs?
Für 2023 wird es sicher nicht zu einem Stellenabbau kommen, sondern eher zu mehr Stellen. Wir werden uns im digitalen Bereich weiter verstärken. Und in der Forschung suchen wir immer nach den weltweit besten Talenten. Es geht darum, wie wir unsere Ressourcen einsetzen. Dinge, die für Patienten keinen Wert bringen, führen wir nicht weiter. Unsere Investitionen sollen dazu dienen, dass wir neue und innovative Medikamente sowie diagnostische Lösungen schnell zu den Patienten bringen. Diesen Weg werden wir konsequent fortsetzen.
Dieses Jahr wird der Umsatz von Roche zurückgehen. Die Umsätze, die Sie noch 2022 mit Corona-Tests und -Medikamenten erzielt haben, fallen weg. Auch die Verkäufe Ihrer klassischen drei Top-Krebstherapien, bei denen der Patentschutz abgelaufen ist, sinken. Verordnen Sie jetzt ein Sparprogramm?
Das wird nicht der Fall sein. Die Umsätze 2023 werden zwar leicht zurückgehen. Die 5 Milliarden Franken für Corona-Diagnostik und -Medikamente, die wir letztes Jahr noch erzielt haben, können wir zum grossen Teil kompensieren. Der Gewinn wird im gleichen Mass zurückgehen wie der Umsatz, das heisst, wir können unsere Gewinnmarge halten.
Roche ist weltweit die Pharmafirma, die am meisten für Forschung und Entwicklung ausgibt. Werden Sie diese Budgets zurückschrauben?
Nein, wir werden dieses Jahr sogar mehr in Forschung und Entwicklung investieren. Wir erhöhen unsere Ausgaben im niedrigen einstelligen Prozentbereich auf knapp 15 Milliarden Franken.
Dafür, dass Sie ganz neu im Amt sind, ist das sehr offensiv. Haben Sie auch schon für die kommenden Jahre einen klaren Kurs?
Wir geben keinen Ausblick über das laufende Jahr hinaus. Aber wir sind absolut davon überzeugt, dass wir nur dann erfolgreich sind, wenn wir in Innovationen investieren. Ausgaben für Forschung und Entwicklung werde ich definitiv nicht zurückschrauben, wir werden sie eher weiter steigern.
«Wir haben schon extrem viel erreicht, das Behandlungsniveau bei Krankheiten, die erforscht sind, ist schon hoch. Auch hier immer wieder besser zu werden, bedeutet, dass das Risiko höher wird.»
Sie stecken viel Geld in Forschung und Entwicklung, weil Roche auf neuartige, teure Medikamente fokussiert ist. Die Gewinnmarge von Roches Pharmasparte beträgt 42,1 Prozent. Lässt sich diese hohe Marge angesichts der hohen Gesundheitskosten halten?
Die Marge ist gerechtfertigt, denn wir tragen hohe Risiken: Nur eines von zehn Medikamenten kommt zum Patienten, die anderen fallen in der Forschung durch. Die Entwicklungskosten für ein neues Medikament betragen im Branchenschnitt 2,6 Milliarden Franken. Zwei Drittel der Kosten fallen vor der klinischen Phase an.
Trotz Forschungsflops und hoher Kosten: Die Gewinnmarge von Roche und der Pharmaindustrie ist eine der höchsten überhaupt.
Wenn es keine Anreize für Innovation gibt, würden viele Firmen diese Risiken nicht eingehen können. Es gibt noch viele Krankheiten, die wir erforschen müssen. Und die Forschung und Entwicklung wird immer schwieriger. Wir haben schon viel erreicht, das Behandlungsniveau bei Krankheiten, die erforscht sind, ist hoch. Hier besser zu werden, bedeutet, dass das Risiko höher wird. Die Entwicklung spezieller Therapien zum Beispiel in der Onkologie dauert meist länger und ist teurer. Deswegen ist es wichtig, dass die Anreize hierfür bestehen bleiben.
Die Gesellschaft stösst jedoch an ihre Grenzen. Die Menschen können die hohen Kassenprämien bald nicht mehr zahlen.
Viele Medikamente von Roche senken die Gesamtbehandlungskosten. Auch über eine gute Diagnostik können wir Kosten aus dem System nehmen. Durch unsere HPV-Tests gibt es die Möglichkeit, dass Frauen gar nicht erst an Gebärmutterhalskrebs erkranken. Auch andere Krankheiten können so früh verhindert werden. Das senkt die Kosten im Gesundheitssystem.
«Das Problem ist, dass Patienten aufhören, ein Medikament zu nehmen, wenn sie zu oft zum Arzt müssen.»
Die Gewinnmarge in der Diagnostiksparte von Roche liegt mit rund 20 Prozent deutlich tiefer als in der Pharmasparte und belastet die Kassen weniger.
Auch mit unseren neuartigen Medikamenten nehmen wir Kosten aus dem System heraus, weil sie noch besser wirken.
Roche investiert Geld in die Forschung nach immer bequemeren Bestseller-Medikamenten. Sie liefern sich aktuell einen Wettstreit mit dem deutschen Bayer-Konzern um die Therapie der altersbedingten Augenkrankheit AMD. Ziel ist, eine Spritze zu entwickeln, die am wenigsten häufig gegeben werden muss.
Wir haben sehr gute Rückmeldungen von Ärzten und Patientinnen für unsere neue Augenspritze Vabysmo. Sie verbindet zwei Signalwege, wobei der zweite Signalweg neuartig ist. Die Abstände für die Spritze können nach und nach verlängert werden.
Ist es sinnvoll, weiter zu forschen, obwohl schon Medikamente existieren, nur um die Konkurrenz auszuschalten?
Das Problem ist, dass Patienten aufhören, ein Medikament zu nehmen, wenn sie zu oft zum Arzt müssen. Es ist ja auch kein Vergnügen, sich eine Augenspritze setzen zu lassen.
Roches früherer Pharmachef Bill Anderson wird neuer Chef des Konkurrenten Bayer und vermarktet das Konkurrenzprodukt, die Augenspritze Eyelea.
Roche forscht weiter auf diesem Gebiet. Wir sind dabei, eine Gentherapie zu entwickeln, die zu einer Produktion eines Antikörpers im Auge führen soll und so keine oder nur noch ganz selten eine Spritze nötig machen würde.
Sie gelten als Mann der Digitalisierung. Wie werden Sie Roche da weiter aufstellen?
Roche ist Weltmarktführerin in Labor-Informatik. Bei uns arbeiten über 1000 Software-Fachleute, um die IT weiter zu verbessern. Bislang hat eine Pathologin per Mikroskop entschieden, ob bei einer Gewebeprobe Krebs diagnostiziert wird oder nicht. Heute gibt es Algorithmen, die eingescannte Gewebeschnitte besser auswerten können. Roche arbeitet an der Verbesserung dieser Algorithmen.
«Die Roche-Diagnostik hat allein letztes Jahr weltweit 27 Milliarden Daten von Testresultaten erzeugt.»
Was heisst das?
Wir arbeiten an Algorithmen, die verschiedene Daten von Patientinnen und Patienten kombinieren – und der Ärztin im Spital oder der Praxis per künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen Hilfestellung geben für Diagnose und Therapie. Es ist für eine Ärztin bei all diesen Informationen unmöglich, für eine Patientin in kürzester Zeit immer die richtige Entscheidung zu treffen. Allein schon wegen der stetig wachsenden Informationen: Rund alle 80 Tage verdoppelt sich momentan das Wissen in der Biologie. Kein Mensch kann da die neuesten Publikationen kennen. Die IT schafft das aber, die Algorithmen verbessern sich konstant.
Und der Datenschutz?
Datenschutz hat für uns höchste Priorität. In diesem Fall sind die Daten nicht bei Roche, sondern die Algorithmen werden im Spital angewendet. Die Roche-Diagnostik hat allein letztes Jahr weltweit 27 Milliarden Daten von Testresultaten erzeugt. Dazu kommen weitere Milliarden Daten von weiteren Tests. Wenn wir all diese Daten kombinieren, können wir die Behandlung von Krankheiten besser steuern. Wenn ich nicht weiss, welche Krankheit vorliegt, kann ich auch nicht die richtigen Medikamente einsetzen. Am Ende ist jedoch die Ärztin diejenige, die über die Behandlung entscheidet. Die IT liefert nur Vorschläge, und es muss nachvollziehbar sein, warum sie zu welchem Ergebnis gekommen ist.
In welchen Staaten hat sich das schon durchgesetzt?
Interessanterweise sind manchmal Länder vorn, bei denen die Gesundheitssysteme sich noch entwickeln und es keine etablierten Strukturen gibt wie in einigen asiatischen Ländern oder in Lateinamerika.
Leidet auch Roche unter dem Mangel an Fachkräften und dem Aus für das EU-Forschungsprogramm Horizon?
Wir arbeiten stark daran, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. In der Schweiz haben wir rund 350 Ausbildungsplätze in achtzehn verschiedenen Berufen. In Basel gibt es zudem ein Programm für 50 Postdocs. Unter dem Aus für Horizon leiden bisher vor allem die Schweizer Universitäten. Aber es ist klar, dass die Rahmenbedingungen gut sein müssen.
Diese Woche kommt EU-Kommissar Marcos Sefcovic in die Schweiz, hoffen Sie auf einen Ruck für einen neuen Verhandlungsstart für das Rahmenabkommen?
Wenn kein EU-Rahmenabkommen zustande kommt, wäre es ein klarer Standortnachteil für die Schweiz. Wir sehen das wirklich kritisch. Wir müssen eine Lösung haben, weil der jetzige Stand weder für die Schweiz noch für uns gut ist. Die EU ist ein ganz wichtiger Handelspartner für uns, die Schweiz selbst ist ja ein relativ kleiner Markt.
Im Juni stimmt die Schweiz über die Einführung der OECD-Mindeststeuer ab. Wie wichtig ist es für Roche, dass der Konzern die höhere Besteuerung durch Gutschriften für Forschung und Entwicklung ausgeglichen bekommt?
Die Steuern verändern sich in verschiedenen Ländern für uns. Für uns ist es wichtig, in der Schweiz wettbewerbsfähige Bedingungen zu haben. Es gibt mittlerweile Staaten wie die USA und China, die stark finanziell fördern. Es ist definitiv so, dass andere Länder momentan wollen, dass wir bei ihnen mehr Produktion und Entwicklung aufbauen. Wir sind ein Schweizer Unternehmen und wollen das auch bleiben. Deswegen setzen wir uns so dafür ein, dass die Rahmenbedingungen hier im globalen Vergleich passen.
«Es gibt viele andere Menschen auf der Welt, die auch viel arbeiten. Sie müssen zum Teil gar zwei oder drei Jobs machen und haben Familie. Ich kann mich daher nicht beschweren.»
Lässt sich Roche durch Subventionen ins Ausland locken?
Wir sind gegen Subventionen. Aber: Das ist ein Risiko für die Schweiz, weil andere Länder in diesem Bereich aktiv sind. Wichtig ist, dass wir keine zusätzlichen Belastungen bekommen wie in Deutschland. Obwohl die Grundvoraussetzungen in Deutschland noch gut sind, nehmen die Herausforderungen dort deutlich zu.
Wie wichtig ist für Roche der Ausbau von Kitas oder internationalen Schulen?
Auch Kitas, Schulen und Wohnungen sind ein ganz wichtiger Standortfaktor.
Sie haben drei Kinder, Wie haben Sie es geschafft, Karriere und Familie unter einen Hut zu bekommen?
Es gibt viele Menschen auf der Welt, die auch viel arbeiten. Sie müssen zum Teil gar zwei oder drei Jobs gleichzeitig machen und haben Familie. Ich kann mich daher nicht beschweren. Wenn ich zu Hause bin, an den Wochenenden und in den Ferien, verbringe ich die Zeit weitgehend mit meiner Familie.
Sie sind Deutsch-Österreicher. Denken Sie daran, auch die Schweizer Staatsbürgerschaft anzunehmen?
Meine Mutter ist Deutsche, mein Vater ist Österreicher, meine Eltern haben 23 Jahre in Asien gelebt. Die Verbundenheit zur Schweiz war jedoch schon immer gross: Mein Vater hat 36 Jahre für den Schweizer ABB-Konzern gearbeitet, vor allem in Asien. Ich selbst arbeite jetzt seit 20 Jahren für Roche, seit über 5 Jahren in der Schweiz. Sehr gern würde ich auch Schweizer werden.
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