Mamablog: Engstirnige SchweizEine «Rabenmutter» als Bundesrätin?
Neuseeland, Finnland, Italien: Frauen mit kleinen Kindern in hohen politischen Ämtern sind kein Thema mehr. Nur die Schweiz sieht das offenbar anders. Warum das peinlich ist.
Der musste ja kommen. Als ich las, dass die potenzielle Bundesratskandidatin der SP, Flavia Wasserfallen, schulpflichtige Kinder hat, wusste ich, dass es ein Thema sein würde. Weil Kinder bei Berufstätigen immer Thema sind. Pardon, bei berufstätigen Frauen. Wenn sie da sind, aber auch schon, wenn sie erst in Planung oder gar ein ferner Wunsch sind.
So titelte auch der «Tages-Anzeiger» am Montag «Eine Bundesrätin mit kleinen Kindern – geht das?» Was klingt, wie eine Schlagzeile aus den 50er-Jahren, ist in diesem Land traurige Realität. Und selbstverständlich haben viele Kommentatoren eine Antwort auf diese Frage parat, nämlich: «Nein, das geht nicht!» Natürlich nicht. Kleine Kinder brauchen Aufmerksamkeit, Betreuung, Liebe. Und wenn Mama arbeitet, gar Bundesrätin wird, bekommen sie das alles nicht! Gehts noch?
Offenbar kann eine berufstätige Mutter das alles nicht mehr bieten. Denn sie arbeitet ausser Haus, ist also nicht 24/7 für das Kind da. Muss es fremdbetreuen lassen. Was macht das mit so einem Kind? Wird es ein Trauma haben? Zum Serienkiller werden?
Wir leben noch immer im Glauben, dass nur Mütter sich «richtig» um die Kinder kümmern können.
Interessant ist ja, dass es im Ausland kein Thema mehr ist. Das zeigt nicht zuletzt die neu gewählte Premierministerin Italiens, Mutter einer 7-jährigen Tochter. Die Verfechterin eines traditionellen Familiengefüges wird ihren eigenen Prinzipien untreu: Sie ist voll berufstätig mit kleinem Kind. Dasselbe gilt in vielen anderen Ländern, wo Frauen in höchsten politischen Ämtern kleine Kinder haben: Neuseeland, Finnland, Deutschland (wobei es auch bei Baerbock lang und breit diskutiert wurde). Wieso ist es in der Schweiz ein Thema? Eines, das bei amtierenden jungen Vätern nie zur Diskussion steht?
Kinder sind Frauensache, wie wir Mütter in der Schweiz schon lange wissen. Nur der deutschsprachige Raum kennt den Begriff «Rabenmutter» und weil «Words matter», leben wir immer noch im Glauben, dass nur Mütter sich «richtig» um die Kinder kümmern können. Dass es ausser Frage steht, dass eine Frau ihrem Mann den Rücken für seine Karriere frei hält, nicht aber umgekehrt. Wo kämen wir da hin?
Die armen, verwahrlosten Kinder
Die armen Kinderlein, die dann verwahrlosen und ungeliebt ihr Dasein fristen. In Krippen, mit Nannys oder – Gott bewahre – beim eigenen Vater, der für die Karriere seiner Frau zurücksteckt und zu Hause bleibt. Das sind aber dieselben Kinder, die gemäss den Bürgerlichen «Privatsache» sind, richtig? Das sind dieselben Kinder, die in der Schweiz als einziges europäisches Land keinen Schutz vor Gewalt erfahren, weil wir die UN-Kinderrechtskonvention immer noch nicht ratifiziert haben, richtig?
Wenn Italien das kann, sollten wir das nicht auch können?
Ihr wollt die Kinder schützen? Dann gebt ihnen Mütter, die sich beruflich entwickeln dürfen, die ein Leben leben dürfen, das nicht nur aus Windeln wechseln, stillen und Spielplätzen besteht. Die nicht nur Gebärmaschinen, sondern auch eigenständige, Geld verdienende und gar im Job erfüllte Menschen sind. Moment mal, wie nennt man das? Ach ja, mündige Bürgerinnen. Ohne die öffentliche Meinung wie einen Hauch im Nacken zu spüren, der ihnen zuflüstert: «Du bist eine schlechte Mutter.» Wenn Italien das kann, sollten wir das nicht auch können?
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