Corona-Proteste in DeutschlandEine «Querdenker»-Partei sucht ihre Chance
Die Pandemie flaut ab, aber die Wut ist noch da: Im Schatten von AfD und FDP bemüht sich eine Gruppierung namens «Die Basis», den Unmut für sich zu nutzen.
Auf dem Domplatz von Magdeburg glitzern Seifenblasen im Sonnenlicht, weisse Ballone schweben in den Himmel, bunt gekleidete, fröhliche, maskenbefreite Menschen feiern ausgelassen wie an einem Musikfestival. Nur von der Bühne erklingen düstere Töne.
Die Leute, die diesen «Zirkus» veranstalteten, ruft ein Redner von «Ärzte für Aufklärung» und meint die Massnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie, gehörten auf die «Anklagebank». Der deutschen Regierung blühe ein «Nürnberg 2.0» – ein Tribunal also wie jenes, das die deutschen Grossverbrecher nach dem Zweiten Weltkrieg aburteilte. Von der Menge gibt es dafür jede Menge Applaus. So berichtete es damals der «Spiegel».
Die 500 Menschen, die Ende Mai kurz vor der Landtagswahl in Sachsen-Anhalts Hauptstadt demonstrierten, waren Anhängerinnen und Anhänger der «Basisdemokratischen Partei Deutschlands», kurz «Die Basis». Obwohl die Partei vor exakt einem Jahr gegründet wurde, kennen bis heute nur wenige ihren Namen. Doch langsam beginnt sich das zu ändern.
Viele prominente Aktivisten der «Querdenker»-Bewegung gehören mittlerweile der «Basis» an und bringen zahlreiche Fans mit. Als im Mai bekannt wurde, dass der Schauspieler Volker Bruch, der in der erfolgreichen TV-Serie «Babylon Berlin» den Kommissar spielt, um Aufnahme in der Partei gebeten hat, löste das erneut viel Interesse aus.
Weitgehend unter dem Radar der Medien hatte die «Basis» bereits im März in Baden-Württemberg an der Landtagswahl teilgenommen und dabei 50'000 Stimmen erhalten, 1 Prozent aller abgegebenen. In Sachsen-Anhalt waren es im Juni 15'000, ein Anteil von 1,5 Prozent. Beide Ergebnisse waren respektabel angesichts der Tatsache, dass die viel grösseren AfD und FDP ihre Wahlbotschaften bereits stark auf jene Wähler zugeschnitten hatten, die die Corona-Massnahmen übertrieben oder unnötig fanden.
Das Potenzial einer «Querdenker»-Partei scheint eigentlich noch viel grösser. Vor kurzem gab die «Basis» jedenfalls bekannt, sie zähle bereits 25'000 Mitglieder – das wären fast so viele wie die sieben Jahre früher gegründete AfD. Die meisten stammen demnach aus Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg und Schleswig-Holstein.
Club von Esoterikerinnen und Heilpraktikern
Sieht man sich die Website der «Basis» an, wirkt diese wie ein Portal für Anthroposophen und Naturheilpraktikerinnen: viele Kinder, lachende Frauen, Natur. Die vier Säulen des Programms heissen: «Freiheit. Machtbegrenzung. Achtsamkeit. Schwarmintelligenz.» Das führt programmatisch zu viel Wolkigem, konkret wird die «Basis» eigentlich nur, wenn es um die Ablehnung der Corona-Massnahmen geht.
Geführt wird die Partei seit Ende März von der Homöopathin Diana Osterhage und von Andreas Baum, der sich gerade zum Naturheilpraktiker ausbilden lässt. Wichtiger für die Aussenwirkung sind «Querdenker»-Stars wie der Mikrobiologe und Bestseller-Autor Sucharit Bhakdi, der frühere Fernsehpfarrer Jürgen Fliege, der ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Wodarg oder der Anwalt Reiner Fuellmich, der mit dem «Corona-Ausschuss» eine Art «Bürgertribunal» gegen die offizielle Corona-Politik ins Leben gerufen hat.
Ziemlich offen nach rechts
Bei der «Basis» tun viele Esoterikerinnen und Impfgegner mit, auffallend viele Lokalpolitiker sind von den Grünen übergetreten. Die Naturheillehre der Schulmedizin gleichzustellen, ist offizielles Ziel der «Basis». Daneben gibt es aber auch aggressivere und dunklere Töne.
Fuellmich etwa behauptete, die Regierung plane in der Pandemie «Schlimmeres» als den Holocaust und wolle «eine Art KZ» für Nichtgeimpfte errichten. Der Spitzenkandidat in Rheinland-Pfalz nannte Abgeordnete «ein kriminelles und korruptes Dreckspack» und sehnte ganz offen einen Umsturz des «Systems» herbei.
Obwohl die «Basis» es bestreitet, schätzen Expertinnen, dass die neue Partei der AfD und rechtsextremen Systemgegnern durchaus offen gegenübersteht – ähnlich wie es schon die Querfront-Demonstrationen der «Querdenker» zeigten. Der deutsche Verfassungsschutz warnt jedenfalls vor weiterer Radikalisierung und beobachtet Teile der Bewegung wegen demokratiefeindlicher Umtriebe.
Die Stimmung in der Szene ist mies
Die «Basis» ist im Sommer vor einem Jahr entstanden, als zeitgleich mit den grossen Protesten eine ganze Reihe von «Querdenker»-Parteien aus dem Boden schossen. Am bekanntesten waren der kurzlebige «Widerstand 2020» und «Wir 2020» um den Arzt Bodo Schiffmann. Im Januar dieses Jahres lief das Führungspersonal von «Wir 2020» zur «Basis» über. Bei der Wahl in Baden-Württemberg gewann die Partei trotzdem nochmals fast so viele Stimmen wie die «Basis».
Wie stark die aufstrebende «Basis» in den nächsten Monaten noch werden kann, hängt nicht zuletzt von der Corona-Lage ab. Jetzt, da die Leute wieder in den Kneipen sitzen, in die Ferien fliegen und bald zur Mehrheit geimpft sind, scheint das Protestpotenzial zu schwinden. In der Szene regierten «Wut und Frust», heisst es. Manche wie der Arzt Schiffmann sind untergetaucht, andere betteln um Spenden, Dritte müssen sich vor Gericht verantworten, weil sie falsche Atteste ausgestellt oder andere beleidigt haben.
Um die Energie wieder hochzufahren, haben die «Querdenker» für August erneut zu Demonstrationen nach Berlin gerufen. Vor einem Jahr kamen 40'000 Menschen – zuletzt waren es aber an Pfingsten lediglich einige Hundert gewesen. Wahrscheinlich dürften also auch bei der Bundestagswahl Ende September die meisten Kritikerinnen und Kritiker der Corona-Politik AfD oder FDP wählen, je nach Schärfe ihres Protests – und nicht die «Basis».
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