Wahlen in DeutschlandSachsen-Anhalts CDU gibt Merkel die Schuld
Ministerpräsident Reiner Haseloff zittert um seine Wiederwahl. Die Corona-«Notbremse» der CDU-Kanzlerin habe der AfD neuen Schub gegeben.
Als die AfD in Sachsen-Anhalt kürzlich in einer Umfrage erstmals die regierende CDU überholte, war das Erschrecken gross: in Magdeburg, aber auch im Rest Deutschlands. Kurz vor der Wahl, bei der an diesem Sonntag knapp zwei Millionen Menschen ein neues Landesparlament wählen, schien es auf einmal möglich, dass eine rechtsradikale Partei erstmals in einem deutschen Bundesland als Stärkste aus einer Wahl hervorgehen könnte – und das 112 Tage vor der Bundestagswahl.
Reiner Haseloff, der 67-jährige Christdemokrat, der das ostdeutsche Sachsen-Anhalt seit zehn Jahren regiert, wusste sofort, wer Schuld an der Misere trägt: die aus seiner Sicht übertrieben vorsichtige Corona-Politik der eigenen Partei in Berlin, angeführt von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Gesundheitsminister Jens Spahn.
Steilvorlage für die AfD?
Haseloffs besonderen Groll löste die «Bundesnotbremse» aus, die Merkel im April durchsetzte. Mit ihr zwang die Kanzlerin unwillige Bundesländer wie Sachsen-Anhalt, jene Lockdown-Massnahmen zu ergreifen, die Bund und Länder zuvor gemeinsam beschlossen hatten. Aus Sicht von Haseloff war die Notbremse ein Affront: Unnötig in der Sache, da die Infektionszahlen ja bald wieder sanken, politisch eine Steilvorlage für die «Diktatur»-Vorwürfe der AfD.
Im Osten war die Minderheit jener, welche die Corona-Massnahmen für übertrieben hielten, immer grösser als im Rest Deutschlands. Dies führte nicht nur dazu, dass die AfD vom Unmut darüber profitierte, sondern auch, dass Ministerpräsidenten aller Parteien sich lange scheuten, präventiv und hart zu handeln. Als Folge davon sind – proportional zur Bevölkerung – nirgends in Deutschland so viele Menschen an Covid-19 gestorben wie in Sachsen, Thüringen, Brandenburg und Sachsen-Anhalt.
Mehr als Merkels Corona-Politik schadete Haseloff in den Umfragen vermutlich eine andere Entwicklung: dass CDU-Chef Armin Laschet und nicht der beliebtere CSU-Chef Markus Söder Kanzlerkandidat der Union wurde. Haseloff hatte Laschet erst Friedrich Merz als Parteivorsitzenden öffentlich vorgezogen, dann, in einem spektakulären Manöver, Söder als möglichen nächsten Kanzler.
Im Wahlkampf tat Haseloff, wie wenn nichts gewesen wäre: Er trat einfach nacheinander mit Merz, Söder und Laschet auf und wertete das als Beleg dafür, wie breit die CDU aufgestellt sei. Dazu gehört in Sachsen-Anhalt allerdings auch die Tatsache, dass Teile seiner Landtagsfraktion sich der AfD politisch deutlich näher fühlen als etwa den Grünen – zum Entsetzen Haseloffs und der Bundes-CDU.
In der jüngsten Umfrage der renommierten Forschungsgruppe Wahlen liegt die CDU mit 30 Prozent nun wieder deutlich vor der AfD, die bei 23 Prozent steht. Die Linke, die SPD und die Grünen kommen jeweils auf rund 10 Prozent, auch die FDP dürfte es, anders als 2016, in den Landtag schaffen. Wie in anderen Wahlkämpfen der letzten Monate scheint der Amtsinhaber auch hier am Ende von einem kräftigen Bonus bei Wählerinnen und Wählern zu profitieren. Haseloff ist in Sachsen-Anhalt beliebt und geschätzt – jedenfalls mehr als seine Partei. Der AfD fehlt ein solcher Spitzenkandidat.
Gewinnt Haseloff, wird es möglicherweise erst nach der Wahl so richtig spannend. Dann nämlich, wenn es darum geht, eine Koalition zu bilden. Da die CDU weder mit AfD noch mit Linkspartei zusammenarbeitet, bleiben SPD, Grüne und FDP als Partner. Sollten AfD und Linke stärker abschneiden als erwartet, braucht Haseloff unter Umständen sogar ein Viererbündnis aller Mitteparteien, um gegen die Kräfte von rechts- und linksaussen zu regieren.
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