Dritte Welle in DeutschlandMerkels «Notbremse» greift noch lange nicht
Nach Streit mit den Bundesländern will die deutsche Kanzlerin Angela Merkel schärfere Massnahmen nun über das Parlament erzwingen. Schneller geht es aber auch so nicht – eher im Gegenteil.
Nach ihrer spektakulären Entschuldigung wegen der verkorksten «Osterruhe» hatte Angela Merkel in der TV-Sendung von Anne Will versprochen, dass sie «jetzt nicht 14 Tage tatenlos zusehen» werde, wie die Infektionszahlen weiter in die Höhe schössen. Wenn die Landesregierungen nicht handelten, werde sie schärfere Massnahmen per Gesetz erlassen.
16 Tage später liess die Kanzlerin ihrer Drohung Taten folgen: Die Regierungskoalition von CDU/CSU und SPD beschloss am Dienstag eine «Notbremse», um bei hohen Infektionswerten das Leben deutschlandweit einheitlich stillzulegen. Im Prinzip hatten Merkel und die Ministerpräsidenten diese Notbremse bereits Anfang März vereinbart, vielerorts wurde sie aber bis heute nicht oder nur teilweise eingesetzt.
Ausgangssperren sind besonders umstritten
Merkel nannte die Ergänzung des Infektionsschutzgesetzes deswegen «dringend» und «überfällig». Diesmal sei die Notbremse «keine Auslegungssache mehr», sondern greife «automatisch».
Überschreiten Städte oder Landkreise die Inzidenz von 100 Neuinfektionen pro 100’000 Einwohner innert 7 Tagen, müssen künftig alle nicht lebensnotwendigen Läden, Museen und ähnlichen Einrichtungen wieder schliessen. Von 21 bis 5 Uhr soll zudem eine allgemeine Ausgangssperre gelten. Private Kontakte sind ausserhalb des eigenen Haushalts grundsätzlich nur noch mit einer einzigen weiteren Person erlaubt. Ab einer Inzidenz von 200 müssen Schulen und Kitas schliessen. Künftig gilt in Schulen und Unternehmen überdies eine gesetzliche Testpflicht, ein- bis zweimal pro Woche.
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Unbestritten ist, dass sich die Infektionslage in Deutschland seit Ostern deutlich verschlechtert hat. Die bundesweite Inzidenz stieg am Mittwoch auf 153, den höchsten Wert seit Mitte Januar. Derzeit liegen 344 von 412 Landkreisen und Städten über dem Grenzwert von 100 für die Notbremse.
Besonders alarmiert über die Lage sind die Intensivmediziner, die warnen, dass bei gleichbleibender Entwicklung schon Ende April die Spitäler erneut mit Covid-Patienten überfüllt seien. «Wir dürfen diese Rufe nicht überhören», mahnte Merkel. Die Intensivärzte wiederum glauben mehrheitlich, die Notbremse komme sowieso viel zu spät. Eigentlich würde man einen sofortigen harten Lockdown benötigen.
Schnelles Handeln würde nottun
Bis Merkels Notbremse greift, wird es aber mindestens Ende April werden. Der Weg durch das Parlament ist nämlich noch erheblich mühseliger, als es die stundenlangen Sitzungen mit den Bundesländern waren. Das neue Gesetz wurde zwar von der Regierung beschlossen, im Bundestag formell eingebracht wird es aber von den Regierungsparteien CDU/CSU und SPD. Die erste Beratung findet am Freitag statt, am Mittwoch nächster Woche soll das Gesetz zu Ende beraten werden. Danach muss sich die Länderkammer, der Bundesrat, darüber beugen. Nach der Unterschrift durch den Bundespräsidenten wird nochmals mindestens eine Woche verstreichen, bis die Notbremse faktisch zu bremsen beginnt.
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Vor allem gegen die nächtlichen Ausgangssperren gibt es erheblichen politischen Widerstand, auch bei Abgeordneten der Union und bei Ministerpräsidenten von CDU und SPD. Unter Wissenschaftlern ist die Massnahme umstritten. Epidemiologisch bestehe ihr grösster Wert darin, häusliche Privattreffen besser unterbinden zu können, meinen einige.
Grossbritannien, Portugal und Irland war es dank Ausgangssperren gelungen, die dritte Welle spektakulär zu brechen. In fast allen Nachbarländern Deutschlands ausser der Schweiz gab es sie zeitweise – punktuell auch in Deutschland, etwa in stark betroffenen Landkreisen in Bayern, Baden-Württemberg oder Sachsen.
Die SPD klagt vor allem über die Schliessungen von Schulen und Kitas, die Wirtschaft über die Testpflicht und die Bundesländer darüber, dass sie diesmal bei der Beratung mehr oder weniger übergangen wurden. Gleichzeitig rufen Merkel und einzelne Ministerpräsidenten die anderen Bundesländer dazu auf, jenseits der gesetzlichen Notbremse selbstständig schärfere Massnahmen zu erlassen. Und zwar so schnell wie möglich.
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