Merkel zieht Corona-NotbremseDeutschland beschliesst harten «Oster-Lockdown»
In einer dramatischen Nachtsitzung haben Kanzlerin und Ministerpräsidenten harte Massnahmen beschlossen. Erst eine Drohung von Angela Merkel ermöglicht einen Beschluss.
All die schönen Stufenpläne, sie bleiben vorerst Theorie. Statt bei sinkenden Infektionszahlen das öffentliche Leben in Deutschland Schritt für Schritt wieder befreien zu können, führen steigende Werte nun zur Rückkehr alter Einschränkungen. Unter Auflagen geöffnete Läden müssen teils wieder schliessen, Theater oder Restaurants bleiben noch bis mindestens 18. April zu: Darauf einigten sich Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten der 16 Bundesländer nach zwölfstündigen Verhandlungen, die erst mitten in der Nacht auf Dienstag endeten.
Die «Notbremse», die laut dem vorhergehenden Beschluss von Anfang März verhindern sollte, dass erste vorsichtige Öffnungen die Verbreitung des Virus wieder beschleunigen, soll nun flächendeckend greifen: In den meisten Bundesländern und vielen Landkreisen ist der wöchentliche Grenzwert von 100 Neuinfektionen pro 100’000 Einwohner bereits überschritten. Auch auf Schulen und Kitas, die erst vor wenigen Wochen stufenweise geöffnet wurden, kommen wieder Einschränkungen zu.
Streit über Osterferien
Doch kurz nachdem sich die Runde von Kanzlerin und Landes-Chefs auf diese erneuten Einschränkungen im Prinzip geeinigt hatte, zerstritt sie sich am Abend auf einmal über der Frage, ob an Ostern Einheimische an den Küsten der Nord- und Ostsee Ferien machen dürften. Wenn Deutsche wieder nach Mallorca in Urlaub fliegen dürften, so fragten die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten von Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt, warum seien dann nicht auch Ferien in Deutschland erlaubt? Wenigstens für Einheimische, in Ferienwohnungen und Wohnmobilen?
Als die fünf Länder auf ihren Forderungen ultimativ beharrten, zog Merkel auf einmal ihre ganz persönliche Notbremse. Wenn es dabei bleibe, sagte sie nach Angaben von Teilnehmern, könne sie die Beschlüsse der Runde insgesamt nicht mittragen. Sie glaube, dass man mit solchen Lockerungen inmitten einer sich aufbauenden dritten Welle ein falsches Signal aussende. So könne man vor der Öffentlichkeit nicht bestehen.
Weil die Länder sich ihrerseits scheuten, die Verhandlungen wegen dieses Streits einfach platzen zu lassen, wurde danach die grosse Runde über Stunden unterbrochen. Merkel und Vertreter der Ministerpräsidenten suchten derweil in kleineren Formaten nach Lösungen. Um Mitternacht waren die Gespräche im Plenum immer noch nicht wiederaufgenommen worden.
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Kurz nach Mitternacht machte dann auf einmal ein überraschender neuer Vorschlag Merkels die Runde: ein vollständiger Lockdown über Ostern. Um halb drei Uhr in der Nacht stellten die Kanzlerin sowie die Vertretung der Länderchefs – Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) – die gemeinsamen Beschlüsse vor. Es sei eine «schwere Geburt» gewesen, sagten alle Beteiligten, sichtlich ermüdet.
Der harte Lockdown von Osterdonnerstag bis Ostermontag, der auch Ansammlungsverbote umfasst, solle eine «Ruhepause» ermöglichen, um den exponentiellen Anstieg der Infektionszahlen «ein Stück weit zu durchbrechen», sagte Merkel. Ferienreisen in Deutschland bleiben bis auf Weiteres verboten, Rückkehrer aus dem Ausland müssen in jedem Fall einen negativen Test vorweisen können, um wieder einreisen zu können.
Viele Deutsche stehen weiter hinter dem vorsichtigen Kurs.
Obwohl die Kritik am Krisenmanagement von Bund und Ländern zuletzt immer lauter geworden war, stehen viele Deutsche weiter hinter Merkels vorsichtigem Kurs: Laut einer Umfrage vom Wochenende wünschten sich 30 Prozent eine Verschärfung des geltenden Lockdowns, 23 Prozent wollten ihn beibehalten. Nur 22 Prozent traten für Lockerungen ein, 15 Prozent forderten ein Ende aller Einschränkungen.
Letzte Woche hat die dritte Welle auch Deutschland mit Wucht erfasst. Im Wochenmittel werden nun wieder täglich mehr als 13’000 Neuinfektionen registriert – die Werte sind zuletzt Woche für Woche um 30 Prozent gestiegen. Der Reproduktionswert liegt zwischen 1,2 und 1,3.
Das Robert-Koch-Institut spricht von einem «deutlich exponentiellen Wachstum» und sagt voraus, dass die Zahlen an Ostern wieder ähnlich dramatisch zu sein drohten wie zuletzt an Weihnachten. Von einer «sehr schwierigen Lage» sprach Merkel. Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer warnte gar vor einer «gigantischen dritten Welle».
Die tückische Variante
Vor wenigen Wochen hatten Bund und Länder noch gehofft, die anlaufenden Impfungen und der vermehrte Einsatz von Schnell- und Selbsttests könnten die Entwicklung des Virus zunehmend kontrollieren und weitere Öffnungen ermöglichen. Diese Hoffnung hat sich zerschlagen.
Laut Epidemiologen hat dies hauptsächlich mit der deutlich ansteckenderen Virusvariante B.1.1.7 zu tun, die auch in Deutschland in Windeseile dominant geworden ist. Massnahmen, die gegen das ältere Virus noch wirksam waren, verhindern nicht, dass die neue Variante exponentiell wächst.
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Aus Sicht der Fachleute führt deswegen kein Weg daran vorbei, die Zahl der Neuinfektionen rasch wieder zu senken, um eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern. Die Zahl von Covid-19-Patienten auf den Intensivstationen der Spitäler liegt derzeit zwar nur halb so hoch wie Ende Jahr, aber spätestens seit einer Woche nehmen die Einweisungen wieder zu.
Obwohl die Immunisierungskampagne schleppend begann, sind mittlerweile 9 Prozent der Deutschen mindestens einmal geimpft. In den Alters- und Pflegeheimen und unter den über 80-Jährigen ist der Impfschutz bereits weit verbreitet. Dies wirkt sich deutlich auf die Zahlen aus: In keiner Altersklasse sind die Inzidenzen stärker gesunken als bei den Ältesten, die am stärksten gefährdet sind. Entsprechend ist auch die Zahl der Covid-19-Todesfälle stark zurückgegangen. Am verletzlichsten sind laut Experten derzeit die 50- bis 79-Jährigen, die noch auf die Impfung warten.
Kinder infizieren sich besonders häufig
Am stärksten verbreitet sich das Virus zurzeit unter Kindern und jungen Erwachsenen. Die Variante B.1.1.7 grassiert in Schulen und Kitas, auch unter den Kleinsten, und pflanzt sich über die Familien fort. Die Bemühungen, dies durch Schnell- und Selbsttests zu unterbinden, waren bisher nicht sehr wirksam.
Darum forderte Merkel, dass Schulen und Kitas bei Inzidenzen über 100 künftig nur dann offen bleiben dürften, wenn alle Beteiligten mindestens zweimal wöchentlich getestet würden. Die Bundesländer, die über die Schulhoheit verfügen, lehnten diesen Vorschlag aber ab. Dabei ist unter Fachleuten unbestritten, dass vermehrte Schnelltests in Schulen, aber auch in Unternehmen zu mehr Sicherheit führen könnten. Am Ende beschlossen Bund und Länder die systematische Testung in Schulen und Kitas nur als Ziel, das man möglichst bald erreichen wolle.
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