Kommentar zum Wirecard-SkandalEine Blamage für den Finanzplatz Deutschland
Die deutsche Aufsicht hat bei der Kontrolle des Börsenlieblings krass versagt. Neue Köpfe müssen her.
Um wirtschaftspolitische Grossskandale hautnah zu erleben, muss man sich keine Serien wie Borgen oder Houses of cards anschauen. In Deutschland braucht der interessierte Bürger nur die Finanzbranche im Blick zu behalten, die seit einem Jahrzehnt, um es sarkastisch auszudrücken, beste Unterhaltung bietet.
Nach der erbärmlichen Pleite der Hypo Real Estate, zerschlagenen Landesbanken, einer gescheiterten Grossfusion von Commerzbank und Deutscher Bank sowie heftiger Kritik aus Brüssel am deutschen Sparkassensicherungssystem läuft jetzt gerade die nächste, besonders dramatische Folge: der tiefe Fall des hochgejubelten Börsenstars Wirecard.
Das Unternehmen hat bekanntlich Konkurs angemeldet, weil umgerechnet mehr als zwei Milliarden Euro in der Bilanz fehlen. Damit nicht genug. Der Finanzchef ist abgetaucht; CEO Markus Braun ist zurückgetreten und nur gegen Kaution auf freiem Fuss. Die EU-Kommission hat die europäische Aufsichtsbehörde eingeschaltet, um den deutschen Kollegen gründlich auf die Finger zu schauen.
So ein Scherbenhaufen kann nur entstehen, wenn die Kontrollen in mehreren Instanzen versagen.
Es ist eine der grössten Pleiten der deutschen Geschichte. Und es ist eine Pleite, die schon wieder das Vertrauen in den Finanzstandort Deutschland erschüttert. Um so wichtiger ist es zu klären, wer für das Desaster verantwortlich ist.
So ein Scherbenhaufen kann nur entstehen, wenn die Kontrollen in mehreren Instanzen versagen: bei den Wirtschaftsprüfern und bei der Aufsichtsbehörde Bafin (vergleichbar mit der Schweizer Finma). Niemand hat es für nötig gehalten, die gesamte Wirecard AG kontrollieren zu lassen – und nicht nur einen kleinen Teil davon, die Wirecard Bank.
Anstatt Hinweisen auf kriminelle Machenschaften nachzugehen, haben die Aufseher lieber gegen Journalisten und Whisteblower ermitteln lassen. Die Finanzaufsicht hat hingenommen, dass bei der deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung nur ein Mitarbeiter für eine Sonderprüfung von Wirecard zuständig war. Es ist ein Versagen auf der ganzen Linie.
Die Konsequenz daraus kann nur ein Neustart sein. Es ist nicht das erste Mal, dass die deutsche Aufsicht versagt. In der Bankenkrise waren umgerechnet 70 Milliarden Franken Steuergelder nötig, um die Finanzinstitute zu stabilisieren und das Ersparte der Bürger zu retten. Und weil deutsche Kontrolleure wohl auch nicht schlechter sind als die Kollegen aus anderen Ländern, liegt der Schluss nahe, dass das Versagen ein systematisches ist.
Grosse Skandale der jüngeren Vergangenheit wurden immer zuerst ausserhalb Deutschlands diskutiert.
Aber warum? Ist so ein Desaster möglich, weil Wirtschaftsprüfer ein Unternehmen prüfen, das sie dafür auch bezahlt, also ein klassischer Interessenkonflikt? Oder weil Mitarbeiter die Autorität der Chefs zu sehr respektieren? Oder, weil niemand als Nestbeschmutzer beschimpft werden mag, so wie einst EU-Kommissar Günter Verheugen, der in der Finanzkrise anprangerte, die Deutschen seien Weltmeister in riskanten Bankgeschäften – und dafür einen veritablen Shitstorm erntete.
Auffällig ist, dass grosse Skandale der jüngeren Vergangenheit wie die Betrugsfälle bei der Deutschen Bank, der Abgasbetrug von Volkswagen, die Fleischskandale und jetzt Wirecard immer zuerst im Ausland debattiert wurden. Für den Standort Deutschland ist das ein verheerendes Signal. Neues Vertrauen kann es nur geben, wenn glaubhaft die Fehler aufgearbeitet werden. Und zwar von neuen, unabhängigen Chefs.
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